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Emtricitabin/Tenofoviralafenamid bei HIV-Infektion: Zusatznutzen nicht belegt

Abweichung von der zweckmäßigen Vergleichstherapie / höherer Schaden für bestimmte Patienten

(lifePR) (Köln, )
Die Wirkstoffkombination Emtricitabin/Tenofoviralafenamid ist in Kombination mit weiteren antiviralen Arzneimitteln zur Behandlung Erwachsener und Jugendlicher zugelassen, die mit dem humanen Immundefizienzvirus von Typ 1 (HIV-1) infiziert sind. In einer frühen Nutzenbewertung hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nun untersucht, ob diese Kombination Patientinnen und Patienten Vorteile gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie bietet. Ein solcher Zusatznutzen ist demnach nicht belegt: Für zwei von vier Fragestellung liegen keine Daten vor; die zur dritten Fragestellung angeführten Studien weichen von der zweckmäßigen Vergleichstherapie ab; bei der vierten Fragestellung zeigt sich für bestimmte Patienten ein höherer Schaden.

Keine relevanten Daten für Jugendliche

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat nach Alter und Behandlungsstatus vier Gruppen von Patienten unterschieden. Der Hersteller lässt in seinem Dossier zwei Gruppen unbeachtet, nämlich vorbehandelte und therapienaive Jugendliche. Seiner Begründung, dass in den Leitlinienempfehlungen nicht zwischen Jugendlichen und Erwachsenen unterschieden werde und die Jugendlichen weniger als ein Prozent der Zielpopulation ausmachten, folgt das IQWiG nicht. Eine Suche nach entsprechenden Studien an Jugendlichen verlief jedoch erfolglos. Damit gilt: Ein Zusatznutzen der Kombination Emtricitabin/Tenofoviralafenamid gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie ist weder für therapienaiv noch für vorbehandelte Jugendliche belegt.

Zweckmäßige Vergleichstherapie nicht eingehalten

Auch für therapienaive Erwachsene enthält das Dossier keine geeigneten Daten. Sie sollten laut G-BA im Vergleichsarm mit einer NRTI-Sockeltherapie, also mit zwei nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, und demselben dritten Kombinationspartner behandelt werden, der auch im Interventionsarm zusammen mit Emtricitabin/Tenofoviralafenamid zum Einsatz kommt: entweder Efavirenz oder Rilpivirin oder Dolutegravir. Stattdessen führt der Hersteller Studien an, in denen im Prüfarm die neue Kombination mit Elvitegravir/Cobicistat kombiniert wurde und im Vergleichsarm die NRTI-Sockeltherapie Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil jeweils mit Elvitegravir/Cobicistat. Der dritte Kombinationspartner (Elvitegravir/Cobicistat) entspricht also nicht der zweckmäßigen Vergleichstherapie.

Der Hersteller führt dafür drei Argumente an, denen das IQWiG aber nicht folgt. Erstens sei der dritte Kombinationspartner für einen Vergleich zwischen zwei NRTI-Sockeltherapien methodisch nicht relevant. Eine Effektmodifikation durch den dritten Partner ist aber nicht auszuschließen; dafür wären entsprechende Subgruppenanalysen nötig.

Nichtbeleg einer Ungleichwertigkeit ist kein Beleg einer Gleichwertigkeit

Zweitens sei die Kombination Elvitegravir/Cobicistat, mindestens gleichwertig zu einer der drei vom G-BA benannten dritten Kombinationspartner, nämlich Efavirenz. Dies gehe nach Auffassung des Herstellers aus einem G-BA-Beschluss hervor, in dem "keine ausreichenden Belege für einen Zusatznutzen oder geringeren Nutzen" einer Kombination mit Elvitegravir/Cobicistat gegenüber einer Kombination mit Efavirenz festgestellt wurde. Eine Nichtfeststellung einer Ungleichwertigkeit ist aber keine Feststellung einer Gleichwertigkeit. In einzelnen Endpunkten zeigten sich in dem Vergleich, der dem G-BA-Beschluss zugrunde lag, dann auch Nachteile von Elvitegravir/Cobicistat gegenüber Efavirenz.

Drittens sei der Einsatz von Elvitegravir/Cobicistat als dritter Kombinationspartner zweckmäßig, denn es seien solche Vergleichstherapien zu bevorzugen, deren patientenrelevanten Nutzen der G-BA bereits festgestellt habe. Das ist jedoch bei Elvitegravir/Cobicistat gerade nicht der Fall, im Unterschied zu Rilpivirin und Dolutegravir.

Keine Daten für Erwachsene mit Umstellungsindikation

Für vorbehandelte Erwachsene besteht die zweckmäßige Vergleichstherapie in einer individuellen retroviralen Therapie. Der Hersteller unterscheidet zwischen Personen mit Umstellungsindikation, etwa wegen Therapieversagen oder Nebenwirkungen, und solchen, bei denen die bestehende Therapie im Vergleichsarm fortgeführt werden kann. Für die erstgenannte Gruppe liegen keine Daten vor; ein Zusatznutzen von Emtricitabin/Tenofoviralafenamid gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie ist für sie daher nicht belegt.

Für die Gruppe ohne Umstellungsindikation führt der Hersteller zwei prinzipiell geeignete Studien an, in die aber möglicherweise auch einige Patienten mit Umstellungsindikation eingeschlossen wurden. Dies erschwert die Interpretation der Ergebnisse.

Mehr Erkrankungen des Nervensystem

Bei der Mortalität, Morbidität und gesundheitsbezogenen Lebensqualität ergeben sich aus den Analysen keine Anhaltspunkte für einen Zusatznutzen der neuen Kombination gegenüber der Fortführung der bisherigen Therapie. In der Endpunktkategorie Nebenwirkungen zeigen sich dagegen negative Effekte, und zwar beim Endpunkt Erkrankungen des Nervensystems: Mit einem sogenannten geboosterten Protease-Inhibitor als drittem Kombinationspartner gibt es einen Anhaltspunkt (Ausmaß: gering), mit anderen Partnern gar einen Beleg (Ausmaß: beträchtlich) für einen höheren Schaden der neuen Kombination.

Insgesamt ist ein Zusatznutzen von Emtricitabin/Tenofoviralafenamid gegenüber den zweckmäßigen Vergleichstherapien somit für keine der vier Fragestellungen belegt, und vorbehandelte Erwachsene ohne Umstellungsindikation haben von der Kombination einen höheren Schaden zu erwarten als von der Fortführung ihrer bisherigen Therapie.

G-BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens

Die Dossierbewertung ist Teil der frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), die der G-BA verantwortet. Nach Publikation der Dossierbewertung führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch und fasst einen abschließenden Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens.

Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt folgende Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem allgemein verständliche Informationen.

Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können.

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