Ihr Fazit: Im Vergleich zu anderen öffentlich zugänglichen Dokumenten über klinische Studien enthalten die Hersteller-Dossiers und die Dossierbewertungen des IQWiG, die im Rahmen der frühen Nutzenbewertung veröffentlicht werden, wesentlich mehr Informationen – insbesondere zu patientenrelevanten Endpunkten in zugelassenen Teilpopulationen. Die frühe Nutzenbewertung eignet sich mithin als Modell für mehr Transparenz auch in anderen Bereichen, etwa bei der Bewertung des Nutzens nichtmedikamentöser Verfahren oder der Arzneimittel-Nutzenbewertung in anderen Ländern.
Dokumente zu 22 Studien analysiert
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nahmen sich insgesamt 15 Dossiers mit 22 klinischen Studien sowie die dazugehörigen Dossierbewertungen des IQWiG vor. Diese verglichen sie mit herkömmlichen Dokumenten zu denselben klinischen Studien, das heißt mit Fachzeitschriftenartikeln, Studienregistereinträgen und den „European public assessment reports“ (EPARs), in denen die europäische Zulassungsbehörde EMA die Evidenz zu neuen Arzneimitteln darstellt. Dabei prüften sie, welcher Anteil aller Informationen über die Methoden und die Ergebnisse der Studien in den Dokumenten jeweils vollständig berichtet wurde.
In die Auswertung bezogen sie diejenigen Patienten ein, die den neuen Wirkstoff so erhielten, wie es die Fachinformationen vorsehen. Abhängig davon, ob die Zulassung für alle in den Zulassungsstudien untersuchten Patienten ausgesprochen wurde oder nur für einen Teil dieser Patienten, wurden also entweder die Angaben zur gesamten Studienpopulation untersucht oder nur die zur zugelassenen Teilpopulation. Den Informationsgehalt der herkömmlichen Dokumente verglichen die IQWiG-Mitarbeiter dann mit dem der AMNOG-Unterlagen, das heißt der Hersteller-Dossiers und der Dossierbewertungen des IQWiG.
Mehr Wissen über zugelassene Teilpopulationen
Während in den herkömmlichen Dokumenten nur 52 Prozent der Studienergebnisse für die gesamten Studienpopulationen vollständig berichtet wurden, waren es in den AMNOG-Unterlagen 89 Prozent. Bei den zugelassenen Teilpopulationen war die Diskrepanz noch größer. Für patientenrelevante Endpunkte betrug der Anteil in den herkömmlichen Dokumenten sogar nur fünf Prozent, im Vergleich zu 70 Prozent in den AMNOG-Unterlagen.
„Um das Vokabular unserer Dossierbewertungen einmal nicht auf einen Wirkstoff, sondern auf das AMNOG selbst anzuwenden: Es gibt einen Hinweis auf einen erheblichen Zusatznutzen“, erklärt Beate Wieseler, Leiterin des Ressorts Arzneimittelbewertung im IQWiG. „Die frühe Nutzenbewertung bringt viele zusätzliche Informationen aus klinischen Studien ans Licht. Das kommt der Forschung, der Ärzteschaft und den Patientinnen und Patienten zugute und kann somit die Versorgung verbessern.“
Europäische Harmonisierung darf Fortschritt nicht gefährden
Im British Medical Journal schlagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG daher vor, auch in anderen Ländern ähnliche gesetzliche Regelungen zu installieren. Aber auch in Deutschland ist nach ihrer Einschätzung das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht: Der Nutzen nichtmedikamentöser Verfahren beispielsweise ließe sich besser ermitteln, wenn auch auf diesem Gebiet vollständige Studienberichte bei Health-Technology-Assessment-(HTA-)Agenturen eingereicht und die relevanten Daten daraus veröffentlicht werden müssten.
„Dass Daten und Dokumente zu neuen Arzneimitteln heute nicht mehr in irgendwelchen Schubladen verschwinden, verdanken wir keiner freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller zur Transparenz, sondern dem Gesetz“, so der Institutsleiter Jürgen Windeler. „Das AMNOG zeigt auch, dass Studienberichte nahezu vollständig veröffentlicht werden können, ohne dass die Hersteller dadurch geschädigt werden.“
Nun gelte es, das in Deutschland erreichte Transparenzniveau zu wahren. In Europa werden zurzeit sogenannte Joint Assessments diskutiert, also Nutzenbewertungen, die von mehreren HTA-Agenturen gemeinsam durchgeführt werden sollen. Dafür muss man sich auf gemeinsame Bewertungsmethoden einigen. „Diese Harmonisierung darf aber keine Angleichung nach unten sein“, mahnt Windeler. „Im Gegenteil: Auch in den anderen europäischen Länder sollte die Transparenz, die durch das AMNOG erreicht wurde, zum Standard werden.“