Mangels aussagekräftiger Daten lassen sich bei sechs der sieben invasiven Verfahren aber keine belastbaren Aussagen machen zu Nutzen, Schaden oder Unwirksamkeit für die Betroffenen. In diesen Fällen hat das IQWiG jeweils Eckpunkte für fundierte Erprobungsstudien entwickelt, sofern nicht bereits vielversprechende Studien laufen.
Ein Nutzen zeichnet sich allerdings ab für den transkranialen Magnetresonanz-gesteuerten fokussierten Ultraschall (TK-MRgFUS) bei Personen mit essenziellem Tremor, die für eine Tiefe Hirnstimulation (THS) nicht infrage kommen.
Neuer Schwung für Bewertung besonders invasiver Verfahren
Nach ersten Bewertungen von invasiven Therapieverfahren mit Hochrisiko-Medizinprodukten gemäß §137h SGB V im Jahr 2016 hatte es im Zeitraum 2017 bis 2019 keine neuen Anträge für neue Methoden gegeben. Eine Gesetzesänderung im Jahr 2019 hat das Verfahren dann neu belebt: Jetzt muss eine neue Hochrisiko-Methode nicht mehr „mindestens ein Potenzial“ aufweisen, um von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt zu werden.
„In §137h-Bewertungen wird man nur selten Nutzen, Schaden oder Unwirksamkeit feststellen können, weil die Behandlungsmethoden neu und nur teilweise erforscht sind. Es geht also vor allem darum, dass zu den neuen Therapieverfahren geeignete Studien in Deutschland aufgesetzt werden,“ erklärt Stefan Sauerland, Leiter des IQWiG-Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren.
Die gesetzlichen Vorgaben dienten vor allem dazu, neue Therapien in sogenannten Erprobungsstudien zu prüfen, ohne den Versicherten die neuen riskanten Behandlungsoptionen vorzuenthalten. Nach der Gesetzesänderung hat vorrangig der G-BA (und nicht der Medizinproduktehersteller) die Kosten der Erprobungsstudie zu tragen. Die Finanzierungsfrage hatte in der Vergangenheit ebenfalls dafür gesorgt, dass vor allem Hersteller der §-137h-Bewertung negativ gegenüberstanden.
Sofern der G-BA auf Basis der IQWiG-Bewertungen entsprechende Beschlüsse fasst, können die neuen Behandlungsmethoden durch die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) erstattet werden. Allerdings bieten derzeit nur einige wenige Krankenhäuser die oben genannten neuen Behandlungsmethoden an, die vorrangig im Rahmen von Studien angewendet werden sollen.
Die Bewertungsergebnisse im Überblick
Unter Mitarbeit von externen klinischen Sachverständigen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG die sieben invasiven Verfahren mit Hochrisiko-Medizinprodukten gemäß §137h im Einzelnen wie folgt bewertet:
- Transkranialer Magnetresonanz-gesteuerter fokussierter Ultraschall bei essenziellem Tremor
Bei Patientinnen und Patienten, die für eine THS nicht infrage kommen, zeigte eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) in mehreren Endpunkten Vorteile einer TK-MRgFUS-Therapie im Vergleich zur Placebo-Behandlung bzw. Nichtbehandlung: beim Tremor, bei Aktivitäten des täglichen Lebens und bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Auf Basis der vorliegenden Unterlagen lässt sich deshalb ein Nutzen der Behandlung mittels TK-MRgFUS im Vergleich zur allein konservativen Behandlung erkennen.
Eingeschränkt lassen sich diese Ergebnisse auch auf Personen übertragen, die für eine THS infrage kommen. Letztlich aber ist fraglich, ob eine Person mit schwerem Tremor vom gezielten Ausschalten von Hirngewebe mittels TK-MRgFUS mindestens genauso profitiert wie von der Implantation einer THS-Sonde. Um diese Frage beantworten zu können, wäre eine vergleichende Erprobungsstudie sinnvoll – gegebenenfalls ergänzt durch ein indikationsbezogenes Register.
- Medikamentenbeschichteter Ballonkatheter bei Harnröhrenstrikturen
Insgesamt ist die Datenlage für diese Methode im Vergleich zu den bereits existierenden Therapieoptionen zu dürftig, um eine Einschätzung abgeben zu können. Eine Erprobungsstudie könnte die notwendigen Erkenntnisse für die Nutzenbewertung der Methode liefern. Weil noch unklar ist, ob sich eine bereits im Ausland laufende Studie (ROBUST-III) für eine Nutzenbewertung zur Population A eignet, hat das IQWiG Eckpunkte für eine Erprobungsstudie in Deutschland konzipiert, die den Nutzen einer Harnröhren-DCB im Vergleich mit einer Urethrotomia interna bei Männern mit kurzen Strikturen in der vorderen Harnröhre überprüft.
Weil ein Harnröhren-DCB weniger invasiv wirkt als eine Urethroplastik, genügt beim Vergleich dieser beiden Verfahren der Nachweis, dass der Harnröhren-DCB der Urethroplastik nicht unterlegen ist bei Männern mit symptomatischer, kurzer und radiogen induzierter Harnröhrenverengung. Für beide Populationen sind RCTs mit 100 bis 500 Patienten erforderlich.
- Irreversible Elektroporation bei chronischer Bronchitis
Wegen der unzureichenden Datenlage lassen sich keine Erkenntnisse zu Vor- und Nachteilen der IRE ableiten. Vor dem Start einer eigenen Erprobungsstudie empfiehlt das IQWiG, die Ergebnisse einer gerade angelaufenen und erfolgversprechenden Studie im Ausland (RheSolve in USA, Kanada, Europa) abzuwarten.
- Endoskopische Thermoablation der Duodenalschleimhaut bei Typ-2-Diabetes
Die vier vorliegenden Studien liefern nur Daten zur Häufigkeit von (schweren) Nebenwirkungen. Eine Erprobungsstudie könnte aber die notwendigen Erkenntnisse für eine Nutzenbewertung bringen: Um einen Unterschied in der Diabetes-Remissionsrate nachweisen zu können, wäre eine mittelgroße randomisierte kontrollierte Studie (RCT) zum Vergleich von endoskopischer duodenaler Thermoablation und konservativer Behandlung erforderlich.
- Perkutan-implantierter interatrialer Shunt zur Behandlung der Herzinsuffizienz
Doch mangels verwertbarer vergleichender Daten lassen sich aus den vorgelegten Studien und Fallserien keine Erkenntnisse zu Vor- und Nachteilen der Methode ableiten.
Von den drei laufenden RCTs erscheint vor allem die Studie RELIEVE-HF (mit mehreren deutschen Studienzentren) geeignet: Wird die Studie wie geplant durchgeführt, abgeschlossen und liefert sie verwertbare Auswertungen, könnten in absehbarer Zeit die notwendigen Ergebnisse zur Nutzenbewertung eines implantierten interatrialen Shunts bei Herzinsuffizienz mit eingeschränkter Pumpfunktion vorliegen. Dann wäre eine separate Erprobungsstudie nicht erforderlich.
- Koronare Lithoplastie bei koronarer Herzkrankheit
Eine Erprobungsstudie in Form einer RCT mit Patientinnen und Patienten mit kalzifizierten, nicht vorbehandelten Koronarstenosen und Indikation zur perkutanen Koronarintervention könnte die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Nutzenbewertung liefern. Das Studienziel bestünde darin, die koronare intravaskuläre Lithoplastie mit alternativen Präparationsverfahren zu vergleichen, um schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse zu vermeiden.
- Endovaskulärer Stentgraft bei Trikuspidalklappeninsuffizienz
Mangels vergleichender Daten bleiben Vor- und Nachteile der Methode unklar. Um einen Unterschied in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität nachzuweisen, wäre als Erprobungsstudie eine RCT mittlerer Größe zum Vergleich der endovaskulären Implantation des Stentgrafts mit einer Scheinbehandlung erforderlich.