Nur bei zwei Anwendungsgebieten, Uterusmyome und primäre Lebertumoren, konnte das Institut ein sogenanntes Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative erkennen. Bei den übrigen sechs Indikationen war aus den eingereichten Unterlagen kein Potenzial abzuleiten.
„Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative“ untersucht
Die Bewertung neuer Behandlungsmethoden, die maßgeblich auf Medizinprodukten hoher Risikoklasse beruhen, wurde 2015 mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) als § 137h in das Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V) eingeführt und 2016 durch entsprechende Verfahrensregeln des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) konkretisiert.
Ausgelöst wird das Bewertungsverfahren durch ein Krankenhaus, das erstmalig eine Anfrage auf zusätzliches Entgelt für die Vergütung, eine sogenannte NUB-Anfrage, an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) stellt und dem G-BA Informationen darüber übermittelt. Dabei steht NUB für „Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“. Wenn die Methode maßgeblich auf dem Einsatz von Medizinprodukten hoher Risikoklasse beruht und ein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept aufweist, muss der G-BA feststellen, ob der Nutzen der Methode belegt ist oder ob sie zumindest das „Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet“, also die Patienten womöglich schneller genesen lassen oder weniger belasten könnte als die bisher verfügbaren Therapien. Dazu beauftragt er das IQWiG mit einer Bewertung des wissenschaftlichen Erkenntnismaterials, den das Krankenhaus mit seiner NUB-Anfrage übermitteln muss.
Übertragbarkeit der Ergebnisse zwischen den Indikationen fraglich
Aus Sicht des IQWiG kann man ein Potenzial, das sich aus den Unterlagen zu einer Indikation ergibt, nicht ohne Weiteres auf andere Indikationen übertragen, bei denen dieselbe Methode zum Einsatz kommt. Beispielsweise sind Tumoren in der Leber etwas völlig anderes als gutartige Wucherungen in der Gebärmutter oder als bösartige Veränderungen von Knochen. Eine Ultraschallbehandlung, die bei einer Indikation die Wucherung zerstören kann, ohne das benachbarte Gewebe zu beschädigen, könnte bei einer anderen Indikation unwirksam sein oder Schäden anrichten.
Plausibilität reicht nicht
Ein plausibles Wirkprinzip reicht ebenfalls nicht aus, um der Methode ein Potenzial zuzuerkennen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Ein Potenzial für eine Erforderlichkeit kann sich etwa daraus ergeben, dass die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere aufwändigere, für den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patienten nicht erfolgreiche Methoden ersetzt werden können.“
Spärliche Angaben
Bei den beiden Indikationen, für die das IQWiG ein Potenzial sieht, gibt es solche Erkenntnisse. Zur Behandlung der Uterusmyome lagen positive Ergebnisse aus einer nicht randomisierten und einer randomisierten kontrollierten Studie vor; bei den primären Leberkarzinomen deuten zwei vergleichende Studien ebenfalls auf positive Effekte hin. In beiden Fällen ist eine Erprobungsstudie zur Gewinnung der notwendigen Erkenntnisse für eine Nutzenbewertung grundsätzlich möglich.
Bei den sechs übrigen Indikationen bestand die übermittelte Evidenz dagegen überwiegend aus Fallserien, die kaum Aufschluss über den potenziellen Nutzen oder Schaden der Methoden gaben – zumal keine Daten zum Verlauf ohne die neue Methode eingereicht wurden. Für eine Indikation wurden gar keine Daten mitgeteilt.
Bringschuld statt Holschuld
Bei Bewertungen nach § 137h SGB V sucht das IQWiG nicht selbst nach Studiendaten. Vielmehr müssen die anfragenden Krankenhäuser anhand nachvollziehbarer Daten darlegen, dass es ein Potenzial gibt. „Wenn sie das tun, stehen ihre Chancen gut“, betont Institutsleiter Jürgen Windeler. „Die beiden Fälle, in denen wir dem ultraschallgesteuerten hochintensiven fokussierten Ultraschall ein Potenzial bescheinigt haben, zeigen ja, dass man auch auf der Basis weniger Studien zu einem vorläufigen positiven Ergebnis kommen kann – auch wenn die Daten nicht ausreichen, um den Nutzen bereits als belegt anzusehen.“ Es gehe aber nicht an, dass das Institut zur ersten Einschätzung solcher Verfahren in eine Holschuld gerate und womöglich die weltweite Literatur erschöpfend durchforsten müsse, um nachzuweisen, dass eine Methode kein Potenzial habe.
Was heißt und wozu dient evidenzbasierte Medizin?
Die spärliche Evidenz für Methoden, die offenbar in der Versorgung bereits angewendet werden, sieht Windeler mit Besorgnis: „Man muss die Standards der evidenzbasierten Medizin offenbar immer wieder begründen; sonst werden sie als innovationsfeindlich zur Disposition gestellt. Wir beharren ja nicht aus bürokratischer Spitzfindigkeit auf gut geplanten, sauber durchgeführten, hinreichend großen, nicht verzerrungsanfälligen und transparent dokumentierten Studien: Anders lässt sich der Nutzen und Schaden für die Patienten einfach nicht beurteilen. Und wir reden hier nicht über Pflaster oder Windeln, sondern über Hochrisikoprodukte, bei denen Nerven irreversibel gekappt oder Organe mit enormer Energie beschallt werden.“