Relativ seltene Erkrankung
Das Hodgkin-Lymphom ist eine relativ seltene bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems. In Deutschland erkranken jährlich etwa 2.000 Menschen. Für diese Patientinnen und Patienten ist eine Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie die Standardbehandlung; rund 80% können auf diese Weise geheilt werden. Bei den übrigen sprechen die Tumorzellen jedoch nicht auf die Behandlung an oder die Erkrankung tritt nach zunächst erfolgreicher Therapie erneut auf. Deshalb wird in bestimmten Fällen empfohlen, eine Stammzelltransplantation anzuschließen.
Dabei wird zunächst mit einer Hochdosis-Chemotherapie das kranke Knochenmark des Patienten zerstört (Konditionierung). Anschließend werden Stammzellen eines Spenders übertragen, die sich im Knochenmark ansiedeln. Man spricht von einer autologen Stammzelltransplantation, wenn die übertragenen Stammzellen vom Patienten selbst stammen. Sie werden ihm vor der Hochdosis-Chemotherapie entnommen und danach wieder rückübertragen. Stammt das Transplantat von einem anderen Spender, spricht man von einer allogenen Stammzelltransplantation. Hierbei unterscheidet man zwischen verwandten und nicht verwandten Spendern.
Eine Stammzelltransplantation ist grundsätzlich ein riskanter Eingriff, weil es ein nicht unerhebliches Risiko gibt, an den Folgen der Konditionierung zu sterben oder schwerwiegende behandlungsbedingte Komplikationen zu erleiden. Es kommt zum Beispiel vor, dass die Spenderzellen die Organe des Empfängers "angreifen"
(Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit).
Noch immer ein experimentelles Verfahren
Fachgesellschaften empfehlen beim erneut aufgetretenen (rezidivierten) Hodgkin-Lymphom zuerst eine autologe Stammzelltransplantation. Die Heilungschancen betragen hier rund 50%. Bei Patientinnen und Patienten, bei denen auch nach einer oder mehreren autologen Transplantationen der Tumor erneut auftritt, kommt dann unter Umständen eine allogene Stammzelltransplantation in Betracht. Diese wird allerdings noch immer als experimentelles Verfahren eingestuft. Zwischen 1998 und 2008 wurden in Deutschland insgesamt 167 Patienten mit Hodgkin-Lymphom allogen transplantiert, bei rund der Hälfte stammte das Transplantat von einem nicht verwandten Spender.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das IQWiG beauftragt, die allogene Stammzelltransplantation mit nicht verwandtem Spender zu bewerten. Dazu sollte diese für erwachsene Patienten mit der autologen Transplantation oder einer Chemotherapie ohne Stammzelltransplantation verglichen werden. Außerdem sollten unter anderem Nutzen und Schaden einer allogenen Transplantation von verwandten und von nicht verwandten Spendern gegenübergestellt werden.
Nur zu einer Fragestellung gibt es Studien
Nur zu der letzten Fragestellung konnte das IQWiG Studien finden. Das war enttäuschend, weil das Institut seine Suche sehr breit angelegt hatte und auch Studientypen einbezogen hätte, die prinzipiell nur begrenzt aussagekräftig sind, wie etwa auch Daten aus Registern. Für den Vergleich zwischen nicht verwandtem und verwandtem Spender bei der allogenen Stammzelltransplantation standen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern letztlich 8 Studien zur Verfügung, darunter zwei Registerauswertungen.
Aus diesen Studien ließ sich aber nicht eindeutig ableiten, welcher Spendertyp für Patienten mit Hodgkin-Lymphom die besseren Erfolgsaussichten bietet. Insgesamt waren die Studien alle recht klein und fehleranfällig und enthielten zu vielen Aspekten keine Aussagen. Diese Unsicherheit gilt auch für unerwünschte Wirkungen und Komplikationen. Wesentlich ist, dass die Studien auch keine Aussagen darüber zuließen, ob die beiden Verfahren gleichwertig sind.
Patienten über unsichere Datenlage informieren
Das IQWiG identifizierte allerdings einige Studien zur allogenen Transplantation, die nicht in die Bewertung einbezogen werden konnten, weil bei den Ergebnissen nicht zwischen verwandten und nicht verwandten Spendern unterschieden worden war. In diesen Studien war die heute bei der allogenen Transplantation von Patienten mit Hodgkin-Lymphom übliche "dosisreduzierte" Konditionierung eingesetzt worden. Diese Variante ist weniger aggressiv (toxisch) und damit verträglicher. Diese Studien weisen darauf hin, dass Patienten, die eine allogene Stammzelltransplantation mit einer dosisreduzierten Konditionierung bekamen, länger überlebten als Patienten, die lediglich chemo- und/oder strahlentherapeutisch behandelt worden waren.
Alle Patienten in diesen Studien hatten bereits einen oder mehrere erfolglose Therapieversuche (auch autologe Transplantation) hinter sich. Das IQWiG hält es deshalb für gerechtfertigt, solchen Patienten trotz der Wissenslücken eine allogene Transplantation mit dosisreduzierter Konditionierung - auch mit nicht verwandtem Spender - anzubieten. Denn andere Therapiealternativen gibt es für sie nicht. Um die Wissenslücken zu schließen, empfiehlt das IQWiG, in allen künftigen Studien und Publikationen die Daten zu Transplantaten von verwandten und nicht verwandten Spendern getrennt auszuwerten. Das gilt auch und gerade für Studien, die einen Vergleich mit einer Behandlung ohne allogene Stammzelltransplantation beinhalten.
Für unabdingbar halten die Expertinnen und Experten des IQWiG, dass Patienten vor einer Entscheidung für oder gegen eine allogene Transplantation eingehend über die derzeit noch unsichere Datenlage informiert werden.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG Anfang Mai 2010 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahme-verfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht Anfang August 2010 an den Auftraggeber versandt. Da nur eine einzige schriftliche Stellungnahme eingegangen war, die zudem keine Fragen offen ließ, verzichtet das IQWiG auf eine mündliche Erörterung. Die schriftliche Stellungnahme wird in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.