Nach wie vor werden viele Studien nicht registriert, Registereinträge nicht aktualisiert und Ergebnisse nicht veröffentlicht - trotz aller eindringlichen Appelle und ethischen Verpflichtungen. So hat der Weltärztebund 2013 in seiner Aktualisierung der Deklaration von Helsinki klargestellt: "Jedes Forschungsvorhaben, an dem Versuchspersonen beteiligt sind, ist vor der Rekrutierung der ersten Versuchsperson in einer öffentlich zugänglichen Datenbank zu registrieren", und "Forscher sind verpflichtet, die Ergebnisse ihrer Forschung am Menschen öffentlich verfügbar zu machen, und sind im Hinblick auf die Vollständigkeit und Richtigkeit ihrer Berichte rechenschaftspflichtig."
Studienregister und Veröffentlichungen grob unvollständig
"Dass die WHO nun gegen diese fatalen Informationslücken vorgeht, findet unsere volle Zustimmung", so Beate Wieseler, Leiterin des Ressorts Arzneimittelbewertung im IQWiG. "Wie die HTA-Agenturen anderer Länder auch folgen wir in unseren Gutachten den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin. Dafür müssen wir uns ein vollständiges und ungefiltertes Bild von der Datenlage machen können. Dass bisher ein großer Teil der Ergebnisse klinischer Studien nicht offengelegt wurde, bedeutet, dass Patientinnen und Patienten möglicherweise nicht die bestmögliche Behandlung bekommen - weil wir diese gar nicht ermitteln können."
Siw Waffenschmidt, Leiterin des Stabsbereichs Informationsmanagement im Institut, sieht sich bei ihren Recherchen täglich mit der Unvollständigkeit von Studienregistern und veröffentlichten Studiendaten konfrontiert. "Um den Nutzen zweier medizinischer Interventionen zu vergleichen, benötigen wir alle Informationen über die Studien. Die Darstellung in den Registereinträgen oder in den Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften ist aber oft lückenhaft", erläutert sie.
Das gelte insbesondere für die anspruchsvollen sogenannten indirekten Vergleiche, die das Institut immer öfter untersucht: "Ob die Daten aus mehreren Studien überhaupt vergleichbar sind, können wir nur beurteilen, wenn die Methoden und die Patientenpools der Studien genau beschrieben sind. Oft ist eine Einschätzung erst möglich, wenn auch die Studienberichte vorliegen. Diese sollten daher allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Verfügung stehen."
Weitergehende Forderungen
Wie schon die neue Policy der European Medicines Agency (EMA) über die Veröffentlichung klinischer Studienberichte geht allerdings auch das WHO-Statement dem IQWiG nicht weit genug. Denn die WHO fordert lediglich die vollständige Offenlegung von Studiendaten künftiger Studien. Institutsleiter Jürgen Windeler betont: "Wenn wir den Auftrag erhalten, einen neuen Wirkstoff oder ein neues Medizinprodukt mit bereits länger eingesetzten Therapien zu vergleichen, benötigen wir logischerweise auch die Ergebnisse älterer Studien, in denen diese etablierten Therapien untersucht wurden. Und die Patientinnen und Patienten sollten sich auch über den Nutzen und Schaden älterer, noch gebräuchlicher Medikamente oder Produkte ein Bild machen können."
Die WHO-Forderung nach der Registrierung aller primären und sekundären Studienergebnisse geht seines Erachtens ebenfalls nicht weit genug: "Uns interessieren oft gerade andere Endpunkte, beispielsweise Angaben über die gesundheitsbedingte Lebensqualität der Studienteilnehmer."
Und schließlich fragen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG die WHO, wie sie ihre Forderungen praktisch durchsetzen will. Sinnvollerweise sollten die Studienregister, die über das ICTRP Search Portal - eine Metasuchmaschine für klinische Studien - Teil des WHO Registry Network sein möchten, auf die Einhaltung der im WHO-Statement erhobenen Forderungen verpflichtet werden.