Behandlungsalternativen im Vergleich
Prostatakrebs gilt als potenziell heilbar, solange der Tumor auf das Innere des Organs begrenzt ist. Für die Behandlung solch eines lokal begrenzten Tumors stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: Neben der kompletten operativen Entfernung der Prostata - der Prostatektomie - und der Strahlentherapie mit einer externen Strahlenquelle (perkutane Strahlentherapie) ist das die sogenannte permanente interstitielle LDR-Brachytherapie (LDR = Low Dose Rate). Bei dieser Behandlung werden über spezielle Nadeln kleine radioaktive Partikel dauerhaft in die Prostata eingebracht, die den Tumor vor Ort gezielt bestrahlen sollen. Da Prostata-Tumoren bei vielen Patienten auch ohne Behandlung nicht oder nur sehr langsam wachsen, kommt als vierte Option auch eine besondere Form des kontrollierten Zuwartens, die Active Surveillance (aktive Überwachung) in Betracht.
Studienlage noch immer unzureichend
In die jetzt vorliegende, in Form eines Rapid Report erstellte Untersuchung konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 20 zusätzliche Studien einbeziehen, darunter auch erstmals Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT). Insgesamt schätzt das IQWiG die Studienlage aber noch immer als unzureichend ein. Das liegt zum einen daran, dass viele Studien Mängel aufweisen, so dass die Ergebnisse nicht sicher interpretierbar sind. Zum anderen hatten die Studien teilweise zu wenige Teilnehmer und dauerten nicht lang genug, um Unterschiede zwischen den Therapien nachweisen zu können. Denn da Prostatakrebs im Frühstadium bei den meisten, insbesondere älteren Patienten günstig verläuft, machen sich Unterschiede zwischen den Therapien im Hinblick auf das Fortschreiten der Erkrankung und das Überleben möglicherweise erst nach vielen Jahren bemerkbar.
Keine belastbaren Aussagen zum Überleben möglich
Wie beim Abschlussbericht von 2007 kommt das IQWiG deshalb zu dem Ergebnis, dass bislang nicht belegt ist, dass die Brachytherapie im Hinblick auf das (krankheitsfreie) Überleben der Patienten den alternativen Behandlungsmöglichkeiten zumindest gleichwertig ist. Dies liegt auch daran, dass in den Studien häufig als Endpunkt das sogenannte PSA-basierte rezidivfreie Überleben betrachtet wurde. Dabei handelt es sich um ein nicht validiertes und vor allem um ein nicht für einen Vergleich zwischen den verschiedenen Behandlungsgruppen konzipiertes Surrogat. Deshalb lassen sich auch keine ausreichend belastbaren Schlussfolgerungen im Hinblick auf Vor- oder Nachteile der Brachytherapie im Vergleich zu den anderen Behandlungsoptionen ziehen. Es ist also nicht sicher auszuschließen, dass Patienten bei einer Brachytherapie früher versterben oder weniger lange krankheitsfrei überleben.
Vor dem Hintergrund dieser Wissenslücke können Hinweise, dass die Brachytherapie bestimmte Vorteile haben könnte, nicht zuverlässig eingeordnet werden. Auch im aktuellen Rapid Report kamen die Kölner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass es Hinweise gibt, dass die Brachytherapie die Sexualität weniger beeinträchtigt und seltener zu Harninkontinenz führen kann als eine operative Entfernung der Prostata. Im Vergleich zur perkutanen Strahlentherapie könnte sich die Brachytherapie zudem weniger nachteilig auf die Darmfunktion auswirken. "Solange wir aber nicht wissen, wie zuverlässig die Brachytherapie gegen den Krebs wirkt, reicht das nicht aus, um von einem Nutzen zu sprechen", sagt Stefan Lange, stellvertretender Leiter des IQWiG.
Hinzu kommt, dass die neuen Studien auch zusätzliche Hinweise auf Nachteile der Brachytherapie liefern: So scheint hier die Harntraktfunktion insgesamt, also verschiedenste Störungen beim Wasserlassen, stärker beeinträchtigt zu werden als bei einer Entfernung der Prostata.
G-BA setzt Beratungen für ambulanten Sektor aus
Mit der ersten Nutzenbewertung war das IQWiG bereits im Dezember 2004 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragt worden. Damals wollte das Gremium darüber entscheiden, ob die Brachytherapie künftig nicht nur in Kliniken, sondern auch ambulant durchgeführt und erstattet werden kann (§135 Abs. 1 SGB V). Da deren Nutzen unklar war, beschloss der G-BA im Dezember 2009, die Beratungen auszusetzen, d.h. die Entscheidung zu vertagen, bis zuverlässige Studienergebnisse vorliegen.
Im Juni 2009 kam durch einen weiteren Beratungsantrag die Brachytherapie auch im stationären Sektor auf die Tagesordnung des G-BA (§ 137c Abs. 1 SGB V). Da der Abschlussbericht des IQWiG bereits mehrere Jahre alt - und damit als Entscheidungsgrundlage möglicherweise veraltet - war, beauftragte der G-BA das IQWiG ein zweites Mal. Ziel dieses Auftrags für die jetzt vorliegende Aktualisierungsrecherche war es zu prüfen, ob inzwischen abgeschlossene Studien die Ergebnisse ersten IQWiG-Abschlussberichts verändern könnten.
Große deutsche Studie soll 2011 beginnen
Im Dezember 2009 machte das oberste Gremium der Selbstverwaltung zugleich den Weg frei für eine groß angelegte Studie: Unter Beteiligung mehrerer Institutionen, unter anderen auch des IQWiG, Vertretern der beteiligten Fachgebiete sowie Patientenvertretern plante der GKV-Spitzenverband daraufhin eine randomisierte kontrollierte Studie, die die Brachytherapie mit den drei alternativen Therapieoptionen vergleicht. Die Studie erlaubt es, Präferenzen der Patienten zu berücksichtigen. 2011 soll die Studie beginnen, sobald deren endgültige Planung und Finanzierung feststehen.
Zukunftsweisende Lösung
"Die Mitglieder des G-BA haben hier auf ein Versorgungsproblem in Beispiel gebender Weise reagiert", kommentiert Stefan Lange. "Statt auf unsicherer Wissensbasis zu entscheiden, haben sie eine Studie angestoßen, die helfen wird, die bestehenden Wissenslücken zu schließen. In jedem Fall wird dieses Vorgehen die Qualität der Versorgung von Patienten mit Prostatakrebs im Frühstadium verbessern."