Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass bei Menschen mit Typ-2-Diabetes das Risiko für gefäßbedingte Erkrankungen oder Todesfälle mit der Höhe der Blutzuckerwerte steigt. Um diabetesbedingte Folgeschäden zu vermeiden, empfehlen Leitlinien deshalb die Senkung der Blutzuckerwerte auf Werte im "normnahen" Bereich. Darunter versteht man Werte, die denen von Menschen ohne Diabetes nahekommen. In dem jetzt vorgelegten Bericht, einem sogenannten Rapid Report, hat das IQWiG untersucht, ob diese Therapiestrategie, also das Anstreben von (nahezu) normalen Blutzuckerwerten tatsächlich auch das Risiko für Diabetes-Folgekomplikationen vermindert.
Vergleich von zwei Therapiestrategien
Das IQWiG hat dazu randomisierte kontrollierte Studien gesucht, die zwei Therapiestrategien bei Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes miteinander verglichen: In einer Gruppe sollten die Maßnahmen darauf zielen, den Blutzucker langfristig auf normnahe Werte zu bringen. In der Vergleichsgruppe sollte es diese Absicht nicht oder nicht in gleichem Maße gegeben haben. Maßgebliche Kriterien für die Bewertung des Nutzens oder Schadens waren dabei die Sterblichkeit (Gesamtsterblichkeit), Diabetes-Folgekomplikationen (Herzinfarkte, Schlaganfälle, Nieren- oder Augenschädigungen u.a.) sowie die Lebensqualität.
Drei Studien nach 2000 durchgeführt
Insgesamt konnte das IQWiG sieben Studien in die Bewertung einbeziehen, an denen insgesamt 28.000 Patientinnen und Patienten teilgenommen hatten. Die Studien waren recht unterschiedlich: Vier Studien waren bereits zwischen den 1960er und 1990er Jahren entstanden, die übrigen nach dem Jahr 2000. Teils handelte es sich um Patienten einer bestimmten Ethnie (Japan) und in einigen Studien wurden Medikamente breit eingesetzt, die heute nicht mehr auf dem Markt sind (Rosiglitazon).
IQWiG findet bei wichtigen Therapiezielen keine Unterschiede
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden bei der Auswertung dieser Studien bei maßgeblichen Aspekten der Therapie keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: Weder zur Gesamtsterblichkeit noch zu tödlichen Herzinfarkten, (tödlichen und nichttödlichen) Schlaganfällen, zu Niereninsuffizienz (und ihren Vorstufen), Amputationen oder Vorstufen der Erblindung gibt es Belege oder Hinweise darauf, dass eine der beiden Therapiestrategien mehr Vor- oder Nachteile bietet. Was die Zielgrößen Lebensqualität und Erblindung betrifft, gibt es nicht genügend Daten.
Lediglich beim Therapieziel nichttödliche Herzinfarkte fand das Kölner Institut in den Studien Hinweise, dass Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes von einer normnahen Blutzuckersenkung einen Vorteil hatten. Gleichzeitig gibt es aber auch Hinweise, dass schwere Unterzuckerungen sowie andere schwerwiegende Ereignisse zum Teil deutlich häufiger auftreten als bei einer weniger intensiven Blutzuckersenkung.
In der Gesamtschau decken sich die Ergebnisse des aktuellen IQWiG-Berichts mit denen von Übersichtsarbeiten und Metaanalysen, die andere Wissenschaftler in jüngerer Zeit durchgeführt und vorgelegt haben.
Frage nach der besseren Therapiestrategie bleibt weiter unbeantwortet
"Es ist schon erstaunlich: Einzelne Interventionen, vor allem Medikamente sind zum Teil gut in Studien untersucht. Über Vor- und Nachteile von Therapiestrategien wissen wir aber relativ wenig", kommentiert IQWiG-Leiter Jürgen Windeler den aktuellen Bericht. "Wenn Ärzte also vor der Frage stehen, was sie ihren Diabetes-Patienten konkret anbieten können, ob sie den Blutzucker möglichst weit absenken sollen und bei welchen Patienten dies vielversprechend ist, und bei welchen weniger, bekommen sie noch immer keine befriedigenden Antworten." Obwohl dies eine zentrale Fragestellung bei der Versorgung von Menschen mit Typ-2-Diabetes sei, lassen die wenigen Studien keine zuverlässigen Aussagen zu.
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das IQWiG beauftragt, den Bericht in einem beschleunigten Verfahren, als sogenannten Rapid Report zu erarbeiten. Im Unterschied zum sonst üblichen Prozedere werden hier keine Vorberichte veröffentlicht. Zwar wird eine Vorversion des Berichts extern begutachtet, es entfällt aber die Anhörung, bei der alle Interessierten Stellungnahmen abgeben können. Der Bericht wurde in Zusammenarbeit mit externen Sachverständigen erstellt und Anfang Juni 2011 an den Auftraggeber versandt.