Bereits bei der ersten Dossierbewertung im Dezember 2012 ergaben sich keine Belege für einen Zusatznutzen von Perampanel, weil das Herstellerdossier keine geeigneten Daten lieferte. Die erneute Bewertung geht auf einen Antrag des Herstellers beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zurück, der die zweckmäßige Vergleichstherapie festlegt.
Zweckmäßige Vergleichstherapie erweitert
Sogenannte fokale Anfälle betreffen nur einen kleinen Teil des Gehirns, die Muskelzuckungen und -krämpfe bleiben dabei auf einzelne Körperstellen begrenzt. Sie können sich aber auch über den ganzen Körper ausbreiten und werden dann als "sekundäre Generalisierung" bezeichnet. Perampanel ist als Zusatztherapie zugelassen zur Behandlung von fokalen Krampfanfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung bei Menschen ab 12 Jahren.
Dem Antrag des Herstellers für eine Neubewertung des Wirkstoffs gemäß AMNOG hat der G-BA stattgegeben, denn mit der Änderung der Nutzenbewertungsverordnung zum AMNOG (in § 6 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV) war die zweckmäßige Vergleichstherapie weiter zu fassen: Ursprünglich musste bei mehreren Alternativen die wirtschaftlichere Vergleichstherapie gewählt werden, vorzugsweise eine Therapie, für die ein Festbetrag gilt. Diese Regelung wurde 2013 aufgehoben. Legt der G-BA mehrere Alternativen als zweckmäßige Vergleichstherapien fest, kann der Hersteller seither unabhängig von den Kosten daraus frei wählen.
Zehn Wirkstoffe als zweckmäßige Vergleichstherapie möglich
Deshalb hat der G-BA für die zweckmäßige Vergleichstherapie in Form einer individuellen antiepileptischen Zusatztherapie zehn verschiedene Wirkstoffe festgelegt: Gabapentin, Lamotrigin, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Topiramat, Valproinsäure oder Zonisamid für alle Altersgruppen oder auch Eslicarbazepin oder Pregabalin, jeweils nur für Erwachsene, oder auch Lacosamid nur für Patienten ab 16 Jahre. Welcher dieser Wirkstoffe eingesetzt wird, ist abhängig von Basis- und Vortherapie sowie dem Grund für den Therapiewechsel. Sind Pharmakoresistenz, Unverträglichkeit oder andere Kontraindikationen eines Patienten gegen den gewählten Wirkstoff bekannt, kann er nicht eingesetzt werden.
Hersteller schränkt ein auf Teilpopulation
Der Hersteller will in seinem zweiten Dossier den Zusatznutzen von Perampanel als Zusatztherapie nur für einen bestimmten Teil der Zulassungspopulation nachweisen: für Patientinnen und Patienten mit pharmakoresistenten und anhaltend aktiven Epilepsien. Diese definiert er in seinem Dossier als Patienten, deren Diagnose mehr als fünf Jahre zurückliegt und die als Zusatzbehandlung bereits in der Basistherapie mindestens ein Antiepileptikum erhalten, das der G-BA als zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmt hat.
Der Hersteller begründet dies damit, dass neue Antiepileptika zunächst überwiegend bei resistenten Patientinnen und Patienten sowie in Epilepsiezentren oder Schwerpunktpraxen verordnet würden. Der Hersteller-Nachweis für den Zusatznutzen solle möglichst die Population abdecken, die von Perampanel in absehbarer Zeit am ehesten profitieren würde.
Vergleiche mit Placebo statt mit Wirkstoffen
In den drei relevanten randomisierten und kontrollierten Studien (RCT), die der Hersteller heranzieht, wird Perampanel in drei verschiedenen Dosierungen jeweils verglichen mit einem Scheinmedikament (Placebo): Die Patientinnen und Patienten erhielten entweder Perampanel als Zusatztherapie oder ein Placebo zusätzlich zu ihrer bestehenden Basistherapie, die aus ein bis höchstens drei Antiepileptika bestand. Mindestens einer der vom G-BA benannten zehn Wirkstoffe war Bestandteil der Basistherapie.
Während der Behandlungsphase von jeweils 19 Wochen durfte die Dosis der Antiepileptika der Basistherapie nicht verändert werden. Bei Patienten, die weiterhin epileptische Anfälle erlitten, bestand demnach keine Möglichkeit, ihre Behandlung anzupassen oder zu verändern.
Zweckmäßige Vergleichstherapie nicht umgesetzt
Nach Auffassung des Herstellers ist die Therapie in der beschriebenen Teilpopulation bereits in hohem Maße individuell ausgerichtet. Deshalb ließe sie sich durch eine Zusatztherapie nicht mehr verbessern. Der Zusatznutzen von Perampanel als Zusatztherapie ergebe sich folglich aus dem Vergleich mit Placebo.
Im Dossier ist jedoch nicht nachvollziehbar dargestellt, warum keiner der zehn Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie als Zusatztherapie geeignet sein soll. Der G-BA ermöglicht ausdrücklich eine patientenindividuelle Auswahl. Und es gibt keinerlei Hinweise, dass die Studienteilnehmer nicht mehr für eine individuelle Zusatztherapie infrage gekommen wären. Im Gegenteil lassen die Studiendaten darauf schließen, dass bei diesen Patientinnen und Patienten noch nicht alle medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren.
Demnach wurde die zweckmäßige Vergleichstherapie in keiner der vorgelegten Studien umgesetzt. Der Hersteller legt also abermals keine relevanten Daten für die Bewertung des Zusatznutzens von Perampanel vor. Ein Zusatznutzen des Wirkstoffs ist daher weiterhin nicht belegt.
G-BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens
Die Dossierbewertung ist Teil des Gesamtverfahrens zur frühen Nutzenbewertung, das der G-BA leitet. Nach der Publikation von Herstellerdossier und Dossierbewertung führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch, das ergänzende Informationen liefern und in der Folge zu einer veränderten Nutzenbewertung führen kann. Der G-BA trifft einen Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens, der die frühe Nutzenbewertung abschließt.
Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt folgende Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem eine allgemeinverständliche Kurzinformation.
Auf der Website des G-BA sind sowohl allgemeine Informationen zur Nutzenbewertung nach §35a SGB V als auch zur Bewertung von Perampanel zu finden.