Breite Palette von Konzepten und Techniken
Bei der Systemischen Therapie handelt es sich um eine ausgesprochen vielgestaltige Therapieform – für die theoretischen Konzepte gilt das ebenso wie für die eingesetzten Techniken. So kann es in der Systemischen Therapie darum gehen, nicht die einzelne Person oder das Symptom zu betrachten, sondern den Kontext, in dem es auftritt. Primär stehen dann die Beziehungen einer Familie oder Gruppe im Fokus, die ein System aufrechterhalten.
Mittels einer Vielzahl von Techniken wird unter anderem versucht, symptomfördernde Interaktionen und Strukturen, dysfunktionale Lösungsversuche und einschränkende Familienerzählungen infrage zu stellen und ihnen neue, gemeinsam mit dem Patienten zu entwickelnde Interaktionen entgegenzusetzen. Im Idealfall kann das System so verändert werden, dass das Symptom nicht mehr „notwendig“ ist.
Das Verfahren wird mittlerweile sowohl ambulant als auch stationär eingesetzt und ist auf kein bestimmtes Setting eingegrenzt. Es gibt sowohl Systemische Einzeltherapie als auch Paar- oder Gruppentherapie.
IQWiG bewertet erstmals Psychotherapieverfahren
Die Systemische Therapie ist bislang keine Leistung der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Von der GKV erstattet werden bislang nur die analytische und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sowie die Verhaltenstherapie („Richtlinienverfahren“).
Zwar wurde die Systemische Therapie 2008 vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wissenschaftlich anerkannt. Um in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen werden zu können, muss aber auch der Nutzen nachgewiesen sein. Deshalb hatte der G-BA das Institut beauftragt, Nutzen und Schaden der Systemischen Therapie bei Erwachsenen zu bewerten. Der Vergleich sollte sowohl gegenüber anderen Interventionen als auch gegenüber keiner Behandlung angestellt werden.
Viele Studien passen nicht zur Fragestellung des Berichts
Bei ihrer Recherche fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine relativ hohe Zahl von Studien, die die Systemische Therapie untersuchten. Doch konnte nur ein Teil in die Bewertung einbezogen werden. Das lag unter anderem daran, dass ihre sogenannten Studienpopulationen nicht der Fragestellung des Auftrags entsprachen, etwa wenn die Studien nicht psychisch Kranke, sondern Schwangere untersuchten, bei denen Angst vor der Geburt mittels Systemischer Therapie reduziert werden sollte.
Zumeist waren die Studien relativ klein: Die größte hatte 326, die zweitgrößte 209 Patientinnen und Patienten randomisiert. Zwar passten insgesamt 42 Studien zur Fragestellung des Berichts, aber nur 33 lieferten verwertbare Daten.
Probleme und Mängel bei der Studiendurchführung
Aufgrund der Art der Therapie handelt es sich um offene, nicht verblindete Studien – bei einer Psychotherapie wissen die Therapeutinnen und Therapeuten natürlich, welche Art der Therapie sie jeweils durchführen.
Bei einem großen Teil der einbezogenen Studien stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zudem fest, dass ihre Durchführung nicht ausreichend beschrieben ist, um die Qualität bewerten zu können. Unter anderem war nicht immer klar, ob die zufällige Zuteilung der Studienteilnehmer zu einem der Studienarme verdeckt geschah (Allocation Concealment).
Ergebnisse zu neun Störungsbereichen gebündelt
Das IQWiG bündelte die Studienergebnisse zu insgesamt neun „Störungsbereichen“: Angst- und Zwangsstörungen, Demenz, depressive Störungen, Essstörungen, gemischte Störungen, körperliche Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie und affektive psychotische Störungen sowie Substanzkonsumstörungen (Abhängigkeit, Missbrauch).
Unter anderem aufgrund der oben beschriebenen methodischen Defizite ließ sich aus den Daten insgesamt, über alle Endpunkte hinweg, bei zwei Störungsbereichen ein „Hinweis“ ableiten, bei fünf weiteren waren es „Anhaltspunkte“.
Bei zwei Störungsbereichen Hinweis auf Nutzen
Weder Vor- noch Nachteile der Systemischen Therapie konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Demenz sowie bei Persönlichkeitsstörungen feststellen. Entweder es gab keine Daten oder sie zeigten keine (relevanten) Unterschiede.
Jeweils einen Hinweis auf einen Nutzen gibt es bei Angst- und Zwangsstörungen sowie bei der Schizophrenie, allerdings gilt dies nur für den Vergleich mit „keine Behandlung“. Gegenüber Beratung und Informationsvermittlung zeigen die Daten bei den Angst- und Zwangsstörungen lediglich einen Anhaltspunkt für einen Nutzen und gegenüber der Psychotherapie fallen die Ergebnisse sogar zuungunsten der Systemischen Therapie aus (Anhaltspunkt für geringeren Nutzen). Bei Schizophrenie fehlen für den Vergleich mit anderen psychotherapeutischen Verfahren Daten, gegenüber Beratung und Informationsvermittlung lässt sich aus den verfügbaren Studienergebnissen kein Nutzen oder Schaden ableiten.
Bei den übrigen fünf Störungsbereichen (depressive Störungen, Essstörungen, gemischte Störungen, körperliche Erkrankungen, Substanzkonsumstörungen) liefern die Daten jeweils Anhaltspunkte für einen Nutzen bei einem oder mehreren Vergleichen.
Aussagen zu unerwünschten Ereignissen nicht möglich
Nur vier der insgesamt 42 eingeschlossenen Studien waren so hochwertig konzipiert und berichtet, dass die Ergebnissicherheit der Studie nicht vermindert ist. „Was wir hier sehen, scheint leider typisch zu sein für die psychotherapeutische Forschung“, konstatiert Stefan Sauerland, Leiter des Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren im IQWiG. „Internationale Standards haben sich hier bedauerlicherweise noch immer nicht durchgesetzt.“
Das gilt insbesondere für den Umgang mit unerwünschten Ereignissen, wozu auch Nebenwirkungen der Therapie zählen. Auch bei psychotherapeutischen Verfahren ist mit unerwünschten Ereignissen zu rechnen. Darauf haben Sachverständige unter anderem im Stellungnahmeverfahren hingewiesen. Aber in den vom IQWiG ausgewerteten Studien zur Systemischen Therapie wurden unerwünschte Ereignisse nicht abgebildet. „Wir können deshalb hier keine Aussagen treffen und es ist auch nicht möglich, den festgestellten Nutzen gegen einen möglichen Schaden abzuwägen“, bemängelt Stefan Sauerland.
„Studien zu nichtmedikamentösen Verfahren mögen in mancher Hinsicht schwieriger sein als Arzneimittelstudien, etwa bei der Verblindung“, führt Stefan Sauerland aus. „Aber auch hier sind aussagekräftige Studien nicht nur geboten, sondern auch machbar.“
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG im August 2016 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht im Mai 2017 an den Auftraggeber versandt. Die eingereichten schriftlichen Stellungnahmen werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.