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Tenofoviralafenamid bei chronischer Hepatitis B: Zusatznutzen nicht belegt, Daten unvollständig

(lifePR) (Köln, )
Der antivirale Wirkstoff Tenofoviralafenamid (TAF) ist in unterschiedlichen Kombinationen seit 2015 in der HIV-Therapie im Einsatz und hat für diese Indikation bereits drei frühe Nutzenbewertungen durchlaufen. Nun wurde er auch zur Behandlung von Erwachsenen und Jugendlichen mit chronischer Hepatitis B zugelassen. In einer weiteren frühen Nutzenbewertung hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) daher untersucht, ob der Wirkstoff diesen Patientinnen und Patienten einen Zusatznutzen bietet.

Für therapienaive oder vorbehandelte Jugendliche ab zwölf Jahren hat der Hersteller in seinem Dossier keine Daten vorgelegt. Die Daten aus zwei Studien, die er für therapienaive oder vorbehandelte Erwachsene vorgelegt hat, sind in erheblichem Maße unvollständig und schon deshalb für eine Nutzenbewertung nicht geeignet. Darüber hinaus ist die Abgrenzung zwischen therapienaiven und therapieerfahrenen Patienten widersprüchlich, und die zweckmäßige Vergleichstherapie wurde zum Teil nicht umgesetzt. Daher ist ein Zusatznutzen gegenüber der jeweiligen zweckmäßigen Vergleichstherapie für keine der vier genannten Patientengruppen belegt.

Was heißt „vorbehandelt“?

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat je nach Alter (Erwachsene oder Jugendliche) und nach antiviraler Vorbehandlung (therapienaiv oder therapieerfahren) vier Gruppen von Patientinnen und Patienten unterschieden und entsprechende zweckmäßige Vergleichstherapien festgesetzt.

Der Hersteller von TAF hat für Erwachsene Daten aus zwei Studien vorgelegt. Beide Studien untersuchten sowohl therapienaive als auch therapieerfahrene Patientinnen und Patienten, sodass der Hersteller jeweils Teilgruppen für die jeweilige Fragestellung ausgewertet hat.

Als therapienaiv galten nach seiner Einteilung alle Teilnehmenden, die keine orale Medikation erhalten hatten. Etliche Studienteilnehmer, die auf anderem Wege bereits mit Interferon behandelt worden waren, wurden der Gruppe der therapienaiven Patienten zugeschlagen, was der Festlegung des G-BA widerspricht. Außerdem wurden auch einige oral vorbehandelte Patienten den Therapienaiven zugeordnet und einige nicht oral vorbehandelte Patienten den Therapieerfahrenen, ohne dass der Hersteller dieses Vorgehen erklärt. Die Bildung der Patientengruppen war daher nicht sachgerecht.

Starke Selektion der übermittelten Studienergebnisse

Vor allem aber hat der Hersteller für die Endpunktkategorie „spezifische unerwünschte Ereignisse“ Daten für die Teilpopulationen nur unvollständig vorgelegt. Dabei fehlen insbesondere Daten zu denjenigen Ereignissen, bei denen sich in den Gesamtstudien auffällige Unterschiede zuungunsten des neuen Arzneimittels zeigen.

„Es handelt sich hier um einen außergewöhnlichen Fall, da ganze Tabellen nachweislich gekürzt wurden“, sagt Thomas Kaiser, Leiter des Ressorts Arzneimittelbewertung im IQWiG. „Wir haben das in der Bewertung exemplarisch für eine der Studiendaten-Tabellen gezeigt, aus der wir lediglich drei von 38 Seiten erhalten haben. Bei den übrigen Tabellen zu spezifischen unerwünschten Ereignissen ist die Lage ähnlich.“

Für eine Bewertung nach den Methoden der evidenzbasierten Medizin ist eine vollständige Datenbasis unerlässlich. Ist die Berichterstattung selektiv, können die Daten nicht mehr verlässlich interpretiert werden.

Häufigere Erkrankungen des Nervensystems nicht auszuschießen

„Welche unerwünschten Ereignisse dabei von Interesse sind, entscheidet nicht der Hersteller. Das einzuschätzen, ist wesentlicher Bestandteil unserer gesetzlichen Aufgabe“, erläutert Thomas Kaiser.

Im vorliegenden Fall leitet der Hersteller einen Zusatznutzen seines Wirkstoffs gegenüber anderen antiviralen Behandlungsoptionen vor allem aus einem „verbesserten Verträglichkeitsprofil“ ab. Dabei ist nicht auszuschließen, dass TAF sogar einen geringeren Nutzen hat, da bestimmte unerwünschte Ereignisse, insbesondere Erkrankungen des Nervensystems, potenziell häufiger auftreten. Gerade da solche Erkrankungen bei einer bereits früher bewerteten Wirkstoffkombination mit TAF in der HIV-Therapie gehäuft auftraten, wären hier eine vollständige Datenübermittlung und besondere Sorgfalt bei der Auswertung vonnöten gewesen.

Zweckmäßige Vergleichstherapie nicht umgesetzt

Für die Gruppe der therapieerfahrenen Erwachsenen sind die Studiendaten noch aus einem weiteren Grund nicht geeignet: Die zweckmäßige Vergleichstherapie wurde nicht umgesetzt. Anstelle einer patientenindividuell festgelegten antiviralen Therapie erhielten alle Teilnehmer ein einheitliches Therapieregime. Und für Jugendliche, ob therapieerfahren oder noch nicht antiviral vorbehandelt, legte der Hersteller gar keine Daten vor.

In der Gesamtschau ist somit für keine der vier Patientengruppen ein Zusatznutzen von TAF gegenüber der jeweiligen zweckmäßigen Vergleichstherapie belegt. „Das ist besonders bedauerlich, weil es um den ersten Wirkstoff seit mehreren Jahren geht, der für die Behandlung von Hepatitis B zugelassen wurde“, so Kaiser.

G-BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens

Die Dossierbewertung ist Teil der frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), die der G-BA verantwortet. Nach Publikation der Dossierbewertung führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch und fasst einen abschließenden Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens.

Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können.

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