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IP
International Psychoanalytical Association

45. Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Berlin

„Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten in Psychoanalyse und Kultur heute“

(lifePR) (London, )
Mehr als 60 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg und fast 100 Jahre nach der Gründung des ersten deutschen psychoanalytischen Institutes tagt in diesem Jahr die Internationale Psychoanalytische Vereinigung zu ihrem 45. Kongress „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten in der Psychoanalyse und Kultur heute" erstmalig wieder in Berlin. "Die besondere Bedeutung dieses Ereignisses liegt in der widersprüchlichen historischen Rolle, die Berlin in der Geschichte der Psychoanalyse gespielt hat“, so der Psychoanalytiker Prof. Georg Bruns in seiner Eröffnungsrede. „In den 20er und frühen 30er Jahren des letzten Jahrhunderts war Berlin der Ort, an dem die Psychoanalyse ihre wichtigsten Weiterentwicklungen erfuhr.“

Die Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland Mit der Gründung der „Berliner Psychoanalytischen Vereinigung“ 1908 durch Karl Abraham, der enger Vertrauter und Kollege Sigmund Freuds war, avancierte Berlin zu dem Ort, an dem die Geschichte der institutionalisierten Psychoanalyse in Deutschland begann. Bereits zwei Jahre später wurde auf Initiative von Freud auf dem Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Nürnberg (1910) die „Internationale Psychoanalytische Vereinigung“ (IPV) gegründet. Bis Anfang der dreißiger Jahre galt Berlin mit seinem Berliner Institut der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) als weltweit anerkanntes Zentrum der Psychoanalyse, das ganz bewusst von ausländischen Kandidaten als Ausbildungsstätte ausgewählt wurde. Jedoch schon 1933 erfuhr die Entwicklung der Psychoanalyse in Deutschland aufgrund der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine jähe Wende. Die öffentliche Verbrennung der Werke Freuds in Berlin war der Anfang von Verfolgung und Ausschluss jüdischer Psychoanalytiker aus der DPG, von Arbeitsverbot als auch des Exodus von Psychoanalytikern aus Nazideutschland.

Die neuere deutsche Geschichte, die tief greifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen und die Entwicklung Berlins als künstlerisches, intellektuelles und gesellschaftspolitisches Zentrum haben es jetzt ermöglicht, dass sich die internationale psychoanalytische Gemeinschaft hier in Berlin zu ihrem alle zwei Jahre stattfindenden Kongress trifft. Etwa 3000 Teilnehmer aus Europa, Nord- und Südamerika, Israel, Japan und Korea widmen sich vom 25. bis 28. Juli 2007 den verschiedensten Themen der Psychoanalyse. Hauptschwerpunkt des 45. IPV-Kongresses ist das Thema "Erinnerung".

Überlebende des Holocaust erinnern Auf diesem Kongress werden Überlebende des Holocaust und Nachkommen von Überlebenden, die Psychoanalytiker geworden sind, erwartet. Katastrophen und Extremerfahrungen, wie Krieg, Terror, politische oder ethnische Verfolgung oder sonstige Formen politisch-sozialer Gewalt, traumatisierten im 20. Jahrhundert einzelne Menschen, Familien, Gruppen und ganze Völker. Ein besonders komplexes Beispiel ist der Holocaust mit seinen ungeheuerlichen Verbrechen, dem namenlosen Grauen und dem unermesslichen Leid der Opfer. Die Verschleppung von Millionen jüdischer Menschen in Konzentrationslager sowie deren systematische Vernichtung erzeugte Zerstörung von bis dahin unvorstellbarem Ausmaß und stellt bis heute eine besondere Herausforderung für die Erinnerungskultur dar.

John Kafka, 1921 in Linz (Österreich) geboren, gehört zu jenen Kongressteilnehmern, die durch ihre eigene Lebensgeschichte diesen 45. IPV-Kongress enorm bereichern. Österreich war bis zum Anschluss an Deutschland Kafkas Heimat. Er floh 1940 aus dem deutschsprachigen Kulturraum in die USA und kehrte später als international anerkannter Psychoanalytiker immer wieder als Besucher aber vor allem auch als Wissenschaftler nach Deutschland zurück. Er arbeitete z.B. als Gastprofessor an der Universität Ulm. Obwohl Kafka wegen seines jüdischen Glaubens selbst von den Nazis verfolgt wurde und fliehen musste, setzt er sich seit langem für die Wieder-Integration der deutschen Psychoanalytiker in die IPV ein. Er verkörpert in seiner Geschichte die riesige Anforderung des Durcharbeitens von Verfolgung und Bedrohung durch das Naziregime, das letztlich Voraussetzung dafür war, diesen IPV-Kongress in Berlin veranstalten zu können.

Auf die Frage, ob sich heute spezifische Aspekte der Entwicklung der Psychoanalyse in Deutschland von der Entwicklung anderswo unterscheidet, antwortet Kafka: „Ein Aspekt der Entwicklung der Psychoanalyse in der Nachkriegszeit musste bewältigt werden, bevor man sich kritisch über gewisse ‚orthodoxe’ Elemente in Theorie und Behandlungstechnik äußern konnte: Berechtigte Kritik musste abgekoppelt werden, von der Furcht vor der Anschuldigung, sich der Nazi-Ideologie nicht wirklich entzogen zu haben, bzw. noch immer mit der von den Nazis geübten Zurückweisung der ‚jüdischen’ Psychoanalyse infiziert zu sein. Abgesehen davon weicht die psychoanalytische Kultur in ihren Einzelheiten in Deutschland heute nicht radikaler von anderen psychoanalytischen Kulturen ab, als diese jeweils voneinander.“

Der Kampf um die Erinnerung in der Psychoanalyse

„Wie ist der innere Erlebniskern solcher Erfahrungen von Entsetzen, Schmerz, Verlust und Todesangst, die das eingespielte seelische Gleichgewicht umstürzen, psychoanalytisch zu beschreiben“, fragt der Psychoanalytiker Dr. Werner Bohleber auf dem IPV-Kongress in Berlin.

Das Trauma und die Überwältigung durch die Erinnerung der Überlebenden des Holocausts belasten nicht nur sie selbst sondern auch die nachfolgenden Generationen - ihre Kinder und Kindeskinder. Für das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft stellt sich die Aufgabe, sowohl die Opfer als auch die Täter sowie deren Familien in den Erinnerungsprozess mit einzubeziehen. Das Erinnern der Opfer ist Zeugnis einer zerstörerischen Wirklichkeit und erzeugt bei den Familien der Täter Gefühle wie Angst, Schmerz, Wut und Scham. Auswirkungen dessen übertragen sich ebenfalls in die nachfolgenden Generationen der Täter. In der deutschen Nachkriegsgesellschaft hatte beispielsweise die Abwehr von Schuld und Verantwortung durch die Angehörigen der Generation, die in den Nationalsozialismus involviert war, Erinnerungsstrategien nach sich gezogen, die das Realitätsgefühl der Kinder beschädigte und eine transgenerationelle Dynamik mit spezifischen Identifizierungsprozessen in Gang setzte. Ebenso war bei den nachfolgenden Generationen der Opfer und Täter zu beobachten, dass sie mit einem „Nicht-Sprechen-Wollen“ konfrontiert wurden oder selbst mit „Nicht-Hören-Wollen“

reagierten. In Folge kam es zu familiärem und gesellschaftlichem Schweigen. Dieses Schweigen zu durchbrechen, erfordert Erinnern, Gespräch, das Zulassen von Schmerz, Trauer und Wut. „Sich diesen Problemen einer vielfältigen traumatischen Realität auf der individuellen und gesellschaftlichen Ebene zu stellen und sie für die klinisch-theoretische Diskussion fruchtbar zu machen, heißt auch, einen Kampf darum zu führen, der Erinnerung wieder einen angemessenen Platz in der Psychoanalyse zu verschaffen“, so Werner Bohleber.

Erinnerung an Kriegskindheiten

„Ein 'deutsches Kind' weint nicht, sondern sollte gemäß dem Ideal der nationalsozialistischen Erziehung 'tapfer' und 'wehrhaft' sein“, erklärt die Vorsitzende der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung, Gertraud Schlesinger-Kipp, in ihrem Vortrag über ein Forschungsprojekt zur Erinnerung von Kriegskindheiten deutscher PsychoanalytikerInnen auf dem 45. IPV-Kongress. „Kriegserlebnisse von Kindern, die in der Kriegszeit schon gut sprachfähig waren, unterscheiden sich von denen der jüngeren, d. h. der nach 1940/42 geborenen“, so Gertraud Schlesinger-Kipp. Entscheidend sei die individuell verarbeitete Speicherung und nachträgliche Umarbeitung von Erinnerungen und Gefühlen, die damals nicht verbalisiert werden konnten. Erinnerungen schrieben sich eher in den Körper ein, der noch zu klein war, um Erlebnisse kognitiv zu behalten. „Erschreckende oder traumatisierende Kriegsereignisse konnten von den Kindern oft nicht im „memory talk“ mit der Mutter aufgegriffen, symbolisiert und gespeichert werden. Und nachträglich in Psychotherapien aufkommende Erinnerungen werden aufgrund des Wissens um die Verbrechen des Nationalsozialismus und im Zusammenhang mit dem „kollektiven Gedächtnis“ umgeschrieben“, so Schlesinger-Kipp.

Kunst als eine Form der Erinnerung Kunst ist eine Form der Erinnerung. Man kann sie als Erinnerung an die historische und individuelle Vergangenheit sowie an das Eingebundensein in eine jahrtausend alte kulturelle Tradition verstehen.

Vergangene Kulturen können durch ihre Kunstschätze vor dem Vergessen bewahrt werden und bereits vergessene Kulturen können durch den Fund von Skulpturen, Gemälden und Reliefs wieder in unser Bewusstsein rücken.

Die Mutter mit dem Kind, als eines der bekanntesten Motive in der westlichen Kunst, ist ein zentrales Thema in der Psychoanalyse und Säuglingsforschung. An herausragenden Kunstwerken Berliner Museen zeichnet Psychoanalytikerin Herta Harsch aus Karlsruhe die Darstellung der frühen Mutter-Kind-Beziehung in sechs Jahrtausenden abendländischer Kunst nach.

Nicht nur in der Kunst kommen gesellschaftliche Traditionen und Werte zum Vorschein. „Eine wichtige Aufgabe jeder gestandenen Kultur besteht darin, ihren Angehörigen ein Ziel zu setzen – ihnen zu vermitteln, weshalb das Leben kostbar ist, was es heißt, sich als Mensch zu entfalten und zu gedeihen“, sagt Prof. Jonathan Lear auf dem 45. IPV-Kongress. „Sie vermittelt die zentralen Konzepte, mit deren Hilfe ihre Mitglieder verstehen können, was in der Welt gut ist und böse, wahr und falsch, wertvoll und nutzlos.“ Am Beispiel des Indianerstammes der Crow und seines Häuptlings, Plenty Coups, illustriert der Psychoanalytiker Jonathan Lear von der University of Chicago, USA, in seinem Hauptvortrag "Working Through the End of Civilization", wie eine Kultur die Gefährdung ihrer eigenen Existenz durcharbeitet. Die kollektive Benutzung von Träumen und Traumdeutung ermöglichte dem Stamm der Crows, ein neues Ich-Ideal zu entwickeln und Scham- und Demütigungszuweisungen zu transformieren und so das Überleben ihres Stammes und ihrer Stammeskultur zu meistern.

Wie Erinnerung funktioniert Das Gedächtnis ist in seiner neuronalen Struktur und Funktionsweise auch nach neuen Erkenntnissen der Gehirnforschung kommunikativ. Wir erinnern nicht die frühen realen Kindheitsszenen. Doch wie funktioniert die Erinnerung auf der neuronalen Ebene? Klar ist: Gehirn und Geist bilden eine Einheit.

Sie sind gemeinsamer Untersuchungsgegenstand von Psychoanalyse und Neurobiologie. Jedoch gibt es bisher wenige Kooperationen zwischen beiden Wissenschaften. In der Hanse-Neuro-Psychoanalyse-Studie (HNPS) wird nun erstmals die neurobiologische Wirkung einer psychoanalytischen Langzeittherapie untersucht. Das heißt, ein spannender Dialog hat begonnen.

Das Wissenschaftlerteam aus Psychoanalytikern und Neurobiologen versucht die Veränderungen, die durch eine Psychoanalyse bewirkt werden, mit bildgebenden Verfahren sichtbar zu machen. Ca. 20 Patienten mit chronischer Depression werden dazu im Verlauf einer psychoanalytischen Behandlung psychometrisch (ausgedehnte testpsychologische Untersuchungen) und mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) und Elektroenzephalogramm (EEG) über einen Zeitraum von 15 Monaten untersucht. Geprüft werden soll, ob sich im Laufe der Behandlung sowohl bei der psychischen Verarbeitung als auch der hirnfunktionellen Ebene Veränderungen zeigen. "Interessant wäre es, zu sehen, ob sich mit Hilfe der bildgebenden Verfahren Prädikatoren finden lassen, von denen die Patienten im Rahmen ihrer psychoanalytischen Therapie profitieren – so wie es kürzlich für die kognitive Verhaltenstherapie gezeigt werden konnte", sagt Dr. Anna Buchheim, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universität Ulm und Forschungskoordinatorin der HNP-Studie.
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