Dr. Frank Wartenberg, Präsident Central Europe von IMS Health, skizzierte in seinem Eröffnungsvortrag die Eckpunkte der digitalen Zukunft für die Gesundheitsversorgung. Neue technische Entwicklungen eröffnen der Medizin neue und zunehmend individualisierte Felder in der Versorgung von Patienten. Die Anwendungsbeispiele reichen vom Miniatur-Chip in der Pille, der aus dem Körper heraus Informationen über die Wirkstofffreigabe an den Arzt übermittelt, bis zum digitalen Asthmaspray, das sich via Blutooth-Technologie mit dem Smartphone koppeln lässt. Pharmaunternehmen griffen diese Chancen auf, indem sie zunehmend Partnerschaften mit Technologiefirmen eingingen.
Real-World-Daten relevant für Erkenntnisse aus dem Behandlungsalltag
„Innovationen werden nicht nur zur Entwicklung neuer Arzneimittel eingesetzt, sondern sind auch relevant für die direkte Patientenversorgung“, sagte Wartenberg. „Durch die technologischen Entwicklungen lassen sich wertvolle Daten aus der Alltagsversorgung generieren, die es sinnvoll zu nutzen gilt.“ Denn: Daten aus dem Behandlungsalltag liefern ein realistischeres Bild über die Wirksamkeit einer Therapie als es die Ergebnisse aus randomisierten Klinischen Studien vermögen. „Die Informationen aus diesen Real-World-Daten helfen an den unterschiedlichsten Stellen im Gesundheitswesen, wichtige Entscheidungen zu treffen: Krankenkassen können damit zum Beispiel die Versorgung der Versicherten optimal gestalten, Unternehmen ihre Strategien besser bewerten. Selbst auf die künftige Gestaltung der regulatorischen Rahmenbedingungen können reale Daten Einfluss nehmen.“
Innovation als Demokratisierungsbewegung für den Gesundheitsmarkt
Was Innovation ausmacht, welche Voraussetzungen sie braucht und was das für den Gesundheitsmarkt bedeutet, zeichnete Dr. Tobias Gantner, Geschäftsführer HealthCare Futurists GmbH, in seinem Vortrag nach. In provokanten Thesen verfolgte er die Frage, wie Digitalisierung und Demokratisierung zu Disruptoren des medizinischen Wandels werden – und inwiefern die etablierten Player des Gesundheitsmarktes fähig und bereit seien, diesen Wandel mit zu vollziehen. Den Begriff Innovation auf technische Erfindungen und Entwicklungen zu begrenzen, greife dabei zu kurz, so Gantner. Neue Technologien bildeten zwar den Grundstock für eine Innovation. Aber erst wenn sie sinnvoll und auf neue Weise mit etwas Vorhandenem kombiniert werden, entstehe echte Innovation, die im Sinne einer Disruption die Gesellschaft nachhaltig verändert.
Innovation in diesem Sinne ist unmittelbar mit einer Demokratisierung bestimmter Lebens- und Gesellschaftsbereiche verbunden. Die Auktionsplattform eBay hat demnach den Handel demokratisiert, indem es nun den einstigen Endverbrauchern möglich ist, Waren direkt miteinander zu handeln. Entsprechende Geschäftsmodelle lassen sich für zahlreiche Wirtschaftsbereiche finden: „Apple hat die Angst vieler Menschen vor dem Computer gekappt und damit die PC-Nutzung demokratisiert, Airbnb hat die Hotellerie demokratisiert. Wir können gespannt sein, wer das Gesundheitswesen auf diese Weise demokratisieren wird“, sagte Gantner.
Digitale Technologie ermöglicht Teilhabe der Patienten an Diagnose- und Therapieprozess
Hier stehen Unternehmen vor einer großen Herausforderung. „Innovation ins eigene Unternehmen zu implantieren ist nicht einfach“, betonte Gantner. „Denn um Innovation zu schaffen ist es nötig, Denkbegrenzungen aus Gewohnheiten, Regularien und Hierarchien zu überwinden und Ideen auch scheitern lassen zu können“, so Gantner. Hier seien Start-ups gegenüber etablierten Unternehmen klar im Vorteil. „Start-ups sind Formen einer Demokratisierungsbewegung“, sagte Gantner. Für den Gesundheitsmarkt bedeutet dies, dass sich die Rollen von Patienten und Ärzten in der Zukunft drastisch verändern werden. „Stichwort Patient Empowerment“, so Gantner: „Menschen erhalten durch digitale Technologien Zugang zu medizinischen Informationen, sie suchen sich Ärzte nach bestimmten Qualitätsindikatoren und fordern Teilhabe am Diagnose- und Therapieprozess.“ Dieser Forderung müsse sich jeder Akteur im Gesundheitswesen künftig stellen.
Welchen Nutzen haben Gesundheits-Apps?
Einem der aktuell aktivsten Bereiche des digitalen Gesundheitsmarktes widmete sich der selbständige Berater für Digitalisierung und Versorgungsmanagement Karsten Knöppler in seinem Vortrag zu Digital-Health-Anwendungen. Mehr als 100.000 sogenannter Gesundheits-Apps und unzählige weitere Webangebote rund um das Thema Gesundheit seien derzeit in Umlauf. „Der Nutzen von Gesundheits-Anwendungen ist heute mit übergroßen unspezifischen Erwartungen belegt“ sagte Knöppler. „ Es bestehen jedoch für Kassen, Ärzte und Verbraucher keine verlässlichen Übersichten und Informationen zu tatsächlichem Angebot, Qualität und Nutzen“, so Knöppler. Das liege neben der großen Zahl der Anwendungen unter anderem an einer sehr starken Marktdynamik sowie der geringen Systematisierung und der Unvollständigkeit von Rang- und Linklisten zu bestimmten Angeboten. „Die daraus resultierende Unsicherheit führt insbesondere im ersten Gesundheitsmarkt nach wie vor zu einer sehr verhaltenen Adaption“, führte der Referent aus.
Studie macht Relevanz von Gesundheits-Apps sichtbar
Licht in dieses Dickicht bringt eine aktuelle Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung mit dem Titel „Digital-Health-Anwendungen für Bürger. Kontext, Typologie und Relevanz aus Public-Health-Perspektive“, die Knöppler vorstellte. „Unser Ziel war es, die bestehenden Angebote zu klassifizieren und ihre Relevanz für das Gesundheitssystem bewertbar zu machen“, erläuterte Knöppler. Im Ergebnis wurden in der Studie sieben Anwendungstypen identifiziert, darunter Apps zur Stärkung der Gesundheitskompetenz, Verwaltungstools und Anwendungen, die auf eine Veränderung von Verhalten zielen. Damit Entscheider im Gesundheitswesen die Relevanz von Anwendungen für ihre Zwecke besser abschätzen können, beziehen die Autoren die sieben Anwendungstypen beispielhaft auf die aktuellen nationalen Gesundheitsziele, darunter allgemeine Ziele wie gesundes Altern oder die Reduzierung von Alkohol- und Nikotinkonsum bis zu Maßnahmen bei chronischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Depressionen.
Wie das Bewertungsverfahren z.B. für Marktanalysen genutzt werden kann, machte Knöppler anhand einer Analyse des aktuellen Angebots an Gesundheits-Apps deutlich. Demnach unterstützen die meisten Anwendungen Bürger im Gesundheitshandeln bei Information und Orientierung, Expertensuche, Assessment und Untersuchung, Kontrolle und Monitoring sowie Intervention. „Die größten ungenutzten Potenziale finden sich bei Anwendungen zur Analyse und zur direkten oder indirekten Intervention vor allem für akut und chronisch Kranke“, fasste Knöppler zusammen. Das Klassifizierungsverfahren der Studie könne z.B. Anbieter und Krankenkassen dabei unterstützen, das eigene Portfolio u.a. im Kontext von Marktchancen und Mitbewerbern auszurichten.
Marktbearbeitung in Zeiten des digitalen Wandels am Beispiel eines Unternehmens
Einen Einblick in den Veränderungsprozess eines Pharmaunternehmens gewährte Günter Seiffert, Leitung Controlling & Services bei Daiichi Sankyo Deutschland. Der japanische Pharmahersteller hat das klassische Außendienstmodell mit seiner Eins-zu-eins-Betreuung der Ärzte zu einer accountzentrierten Struktur umgeformt. „Die Kundenstruktur hat sich heute grundlegend verändert“, erläuterte Seiffert den Ansatz von Daiichi Sankyo. „Heute sind verschiedene Stakeholder auf unterschiedlichen Ebenen an einer Therapieentscheidung beteiligt.“ Dazu gehören neben Arzt, Apotheker und der Krankenkasse auch Patientenorganisationen und Behörden. „Zwischen diesen verschiedenen Marktteilnehmern bestehen verschiedenartigste Beziehungen“, so Seiffert weiter.
Teams ersetzen den klassischen Außendienstmitarbeiter
Um in diesem Beziehungsgeflecht die richtigen Ansprechpartner zu identifizieren, arbeiten Mitarbeiter unterschiedlicher Funktionen vernetzt in Account-Teams zusammen. Ein Account bezeichnet dabei die kleinste organisatorische Einheit, die für eine Verordnung zuständig ist. „Wir haben mehrere Accounttypen definiert, die sich durch ein bestimmtes Beziehungsgeflecht auszeichnen“, erläuterte Seiffert. So beeinflussen zum Beispiel Uni-Kliniken Ärzte innerhalb einer größeren Region, Fachärzte fungieren als Meinungsbildner für Allgemeinärzte oder mehrere Ärzte tauschen sich in sogenannten Qualitätszirkeln aus. „Die Kollegen aus den unterschiedlichen Abteilungen wissen, wie die verschiedenen Accounts zusammengesetzt sind und kennen die entsprechenden Entscheider“, erläuterte Seiffert.
Für das Unternehmen bedeutet ein accountzentrierter Ansatz eine grundlegende Veränderung, betonte Seiffert. „Der klassische Wettbewerb im Außendienst mit lukrativen Prämien und Incentives für einen einzelnen Kollegen fällt in unserem neuen Modell aus. Ein Accountgewinn kann nur noch auf das gesamte Team zurückgeführt werden.“ Für Mitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung im klassischen Außendienst und entsprechender Prägung sei dies ein grundlegender Wandel, der unbedingt mit umfangreichem Change Management begleitet werden müsse.
Fortschritte in der digitalen Transformation von Gesundheitsunternehmen
Über neue strategische Rollen für IT und Technik in Life-Science-Unternehmen sprach zum Abschluss des Plenums Murray Aitken, Senior Vice President & Executive Director beim IMS Institute for Healthcare Informatics. „Der Innovations- und Effizienzdruck auf die IT-Abteilungen der Unternehmen ist ungebrochen hoch“, fasste Aitken die aktuelle Situation zusammen. „Die Anforderungen für die IT-Abteilungen nehmen dadurch zu, ebenso die Notwendigkeit von Spezialwissen und besonderen fachlichen Fähigkeiten.“ Wie sieht die Realität in diesen Unternehmen aus? Aitken stellte eine Studie vor, die unter anderem die Rolle des Chief Information Officer (CIO) für die digitale Transformation der Unternehmen beleuchtet. Tatsächlich habe die Funktion des CIO in den untersuchten Unternehmen an Bedeutung gewonnen –in den wenigsten Fällen finde sie sich allerdings in der strategischen Organisation wieder. „Zwar spielt der CIO für die Transformation des Unternehmens eine große Rolle, ist aber in der Regel nicht in den Vorständen vertreten“, fasste Aitken die Ergebnisse der Studie zusammen. Weniger als ein Viertel der CIOs in den untersuchten Unternehmen gehören dem Vorstand an, bei Großunternehmen sind es nur 14 Prozent.
Die Verantwortung für technische Innovation sei dennoch nach wie vor beim CIO richtig verortet, allerdings hätten sich die Anforderungen an seine Rolle bereits verändert: „Digitale Kompetenz gilt heute als unabdingbar für den Unternehmenserfolg“, so Aitken. Ein CIO werde daher neben den klassischen Führungskompetenzen wie Ergebnisorientierung nach Aspekten wie Kundenorientierung, Versiertheit im Umgang mit Daten und Veränderungswillen beurteilt. „CIOs können eine wichtige strategische Rolle für die digitale Transformation im Unternehmen spielen, wenn sie die entsprechenden Fähigkeiten entwickeln“, sagte Aitken abschließend. „Schließlich will jedes Unternehmen im Gesundheitswesen die Chancen der Digitalisierung für sich nutzen.“
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