Kein seltenes Phänomen
Unter Mobbing wird die systematische, andauernde psychische Schikane von Einzelnen durch Vorgesetzte, Kollegen oder Mitarbeiter im beruflichen Kontext verstanden. Eine häufig zitierte Repräsentativbefragung aus dem Jahr 2001 zur Auftretenshäufigkeit von Mobbing bei Erwerbstätigen ergab je nach Zeitraumbezug eine Betroffenheitsquote zwischen rund 3 % und 11 %2. Auch neuere Untersuchungen kommen auf vergleichbare Zahlen3. Das zeigt, dass es sich um kein seltenes Phänomen handelt und verdeutlicht die Relevanz für die aus Mobbing resultierenden möglichen Krankheitsfolgen.
Inwieweit Mobbingopfer nicht nur psychische Störungen, sondern auch körperliche Schädigungen erleiden, ist noch relativ wenig erforscht. Eine litauische Studie aus dem Jahr 2011, in der Lehrer nach Mobbingerfahrungen befragt wurden, wies auf mehr kardiovaskuläre Erkrankungen bei Betroffenen als bei Nichtbetroffenen hin4. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Wissenschaftler aus Finnland bei einer Analyse von Beschäftigten in Kliniken5. Forscher von IMS Health sind der Fragestellung nun für Deutschland nachgegangen.
Die Forscher analysierten Dokumentationen von Ärzten aus niedergelassenen Praxen auf Basis der retrospektiven Datenbank IMS® Disease Analyzer6. In die Auswertung flossen anonymisierte Behandlungsverläufe von 7.374 Patienten ein, bei denen Hausärzte im Zeitraum zwischen Januar 2005 und Dezember 2014 zum ersten Mal eine Mobbingerfahrung dokumentierten. 67% dieser Personen waren Frauen. Die Patienten waren im Schnitt 38 Jahre alt, wobei 35% unter 30 und 18% über 50 Jahre alt waren.
Diese Patienten wurden mit anderen ohne Mobbing-Dokumentation verglichen, wobei die selektierte Kontrollgruppe den Mobbingopfern hinsichtlich Alter, Geschlecht, Nachbeobachtungszeit, behandelndem Arzt und Co-Diagnosen (Diabetes, Hypertonie, Übergewicht, Hyperlipidämie) entsprach. Beide Patientengruppen wurden über maximal fünf Jahre weiterverfolgt, die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 3,4 Jahre.
Mobbing erhöht Risiko für Herzinfarkt, Angina Pectoris und Schlaganfall
Innerhalb der fünf Jahre nach dem Indexdatum (Mobbing-Dokumentation bei Patienten mit Mobbing-Erfahrung bzw. ein Zufallsdatum bei der Kontrollgruppe) erlitten 2,9 % in der Mobbinggruppe, jedoch nur 1,4% in der Kontrollgruppe ein sog. kardiovaskuläres Ereignis, was einen statistisch signifkanten Unterschied bedeutet. Berechnungen unter Anwendung eines Regressionsmodells ergaben, dass das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses durch die Mobbingerfahrung um 69% erhöht war (Abb. 1). Am stärksten zeigte sich der Effekt beim Myokardinfarkt (203% Risikoerhöhung), am schwächsten beim Schlaganfall (56%). Signifikant war er beim häufigst auftretenden Ereignis Angina Pectoris (88 %), die oft eine Vorstufe des Myokardinfarkts darstellt. Schlaganfälle wurden nur bei wenigen Patienten diagnostiziert. Weitere mit einem erhöhtem Risiko für Herzinfarkt, Angina Pectoris oder Schlaganfall assoziierte Faktoren waren ein höheres Alter, männliches Geschlecht und Übergewicht.
Mit den vorhandenen Daten lassen sich nur nichttödliche Ereignisse erfassen. Die Bedeutung der Ergebnisse reicht jedoch weiter: „Dadurch, dass ein Teil der kardiovaskulären Ereignisse tödlich verläuft, ist davon auszugehen, dass ihre Häufigkeit noch höher ist und der negative Effekt von Mobbing noch größer. Außerdem sind Depressionen und Angststörungen als Reaktion auf Mobbing ihrerseits mit einem höheren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse verknüpft. Das heißt, die Betroffenheit dürfte somit insgesamt noch höher sein als angenommen. Da es sich bei Mobbing nicht um ein Kavaliersdelikt handelt, sondern um ein Verhalten, welches das Risiko einer schweren Erkrankung erhöht bzw. deren Entwicklung beeinflussen kann, ist es wichtig, darauf zu reagieren, um den Betroffenen zu helfen. Ein Weg, wenn auch sicherlich nicht der einzige, besteht in einem individuellen kardiovaskulären Gesundheitsmanagement, da die Art der Herz-Kreislauf-Ereignisse unterschiedlich ist. Hierzu besteht auch noch Forschungsbedarf" resümiert Prof. Dr. Karel Kostev, Forschungsleiter bei IMS Health.
1 Kostev, K., Rex, J., Waehlert, L., Hog, D. & Heilmaier, C., 2014: Risk of psychiatric and neurological diseases in patients with workplace mobbing experience in Germany: a retrospective database analysis. German Medical Science: GMS E-Journal, 12, Doc 10. http://doi.org/10.3205/000195
2 Meschkutat, B., Stackelbeck, M., Langenhoff, G., 2001: Der Mobbing-Report. Eine Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
3 Eurofound, 2012: Fifth European Working Conditions Survey, Publications Office of the European Union, Luxembourg.
4 Malinauskienë, V., Obelenis, V. & Dopagienë, D., 2005: Psychological terror at work and cardiovascular diseases among teachers. ACTA MEDICA LITUANICA, 12 (2), 20-25.
5 Kivimäki, M., Virtanen, M., Vartia, M., Elovainio, M., Vahtera, J. & Keltikangas-Järvinen, L., 2003: Workplace bullying and the risk of cardiovascular disease and depression. Occupational and Environmental Medicine, 60 (10), 779-783.
6 IMS® Disease Analyzer ist eine Datenbank von IMS Health, die anonymisierte Therapie- und Behandlungsverläufe zeigt. Dadurch lassen sich Krankheits- und Therapieverläufe über viele Jahre darstellen. IMS® Disease Analyzer beruht auf einer repräsentativen Stichprobe von mehr als 2.500 niedergelassenen Ärzten in der Bundesrepublik Deutschland, die mit EDV-Systemen ausgestattet sind.