AMNOG-Präparate: höherer Anteil im Bereich der GKV als der PKV - Morbiditätsunterschiede
Die Stabilisierung der Ausgaben für Arzneimittel ist ein Dauerthema auf der gesundheitspolitischen Agenda. In Anbetracht dessen mutet die Umsatzentwicklung von +3,5 % im gesamten deutschen Apothekenmarkt des 1. Halbjahres 2017 moderat an. Definiert ist der Gesamtmarkt über Verordnungen auf Basis von Rezepten zu Lasten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung (GKV/PKV) sowie von Patienten auf eigene Rechnung bezahlten Arzneimitteln. Das Umsatzvolumen über alle diese Zahlarten beläuft sich in den ersten sechs Monaten d.J. auf 26,6 Mrd. Euro (Apothekenverkaufspreis abzüglich der von Herstellern und Apotheken zu leistenden Zwangsabschläge und abzüglich gemeldeter Rabatte aus Erstattungsbeträgen nach § 130 SGB V, ohne Einsparungen von Rabattverträgen). Der Absatz stagniert bei rund 800 Mio. Packungen.
Unterschiede zeigen sich nach den Zahlarten. Betrachtet man allein den umsatzstärksten Bereich rezeptpflichtiger Medikamente (Rx), so liegt die GKV im Korridor der Gesamtmarktentwicklung (+3,5 %), während sich der PKV-Umsatz um 6 % erhöht. Die Mengenentwicklung ist im GKV-Bereich für Rx-Präparate tendenziell rückläufig, während sie im PKV-Bereich um 1% steigt. Aufschluss über die Hintergründe dieser unterschiedlichen Entwicklung gibt eine vertiefte Analyse zum Arzneimittelstatus der Präparate, die in beiden Sektoren verordnet werden. So liegt der Anteil patentgeschützter Präparate bei acht der führenden zehn Arzneigruppen im GKV-Segment zwischen 70 und 100 %. Im PKV-Bereich gilt dies nur für sechs Kategorien. „Dass die führenden Produktgruppen sich teilweise unterscheiden, dürfte mit einer unterschiedlichen Morbiditätsstruktur der Versicherten zusammenhängen“, erläutert Dagmar Wald-Eßer, Senior Manager Health Policy bei QuintilesIMS. Unterstrichen wird dies auch durch die Verteilung der AMNOG-Präparate in jedem der beiden Versicherungssegmente: Auf patentgeschützte Präparate mit und ohne Erstattungsbetrag entfällt bei der GKV jeweils ein höherer Marktanteil als bei der PKV (Abb. 1 zum Herunterladen).
Mehr Einsparungen durch Zwangsabschläge und Erstattungsbeträge bei GKV und PKV
Je mehr AMNOG-Präparate den Prozess der frühen Nutzenbewertung durchlaufen, für umso mehr Arzneimittel werden Erstattungsbeträge festgesetzt. Dadurch steigt das Einsparvolumen. Vom ersten Tag der Markteinführung an gelten jedoch die Zwangsabschläge nach §130 a SGB V. Beide Regulierungsmaßnahmen führten im ersten Halbjahr 2017 zu vermehrten Einsparungen sowohl für die GKV (+13 %) als auch für die PKV (+17 %). Die Apothekennachlässe gegenüber der GKV, die bei rezeptpflichtigen Medikamenten anfallen, sind aufgrund der Mengenstagnation des Segments nahezu gleich geblieben (Abb. 2 zum Herunterladen). In Summe ergibt sich für die GKV in den ersten sechs Monaten des Jahres ein Einsparbetrag von 2,1 Mrd. Euro durch Hersteller- und Apothekenabschläge bei Arzneimitteln, 9 % mehr als im Vorjahr.
84 % der GKV-Verordnungen unterliegen Festbetrag und/oder Rabattvertrag
Dass die Ausgabenentwicklung für Arzneimittel im ersten Halbjahr 2017 im niedrigen einstelligen Bereich verblieb, liegt u.a. auch daran, dass sich Ausgaben für verschiedene Krankheitsgebiete austarieren. So zeigt sich z.B. im GKV-Segment ein deutlicher Umsatz- wie Mengenzuwachs bei einigen innovativen Präparategruppen zur Behandlung schwerer Erkrankungen wie Krebs, Rheuma oder entzündlichen Erkrankungen. Auch Antikoagulanzien (moderne Blutverdünnungsmittel) zur Vorbeugung von Thrombose und Schlaganfall wachsen im unteren zweistelligen Bereich. Dem stehen jedoch Umsatzrückgänge in anderen Therapiegebieten gegenüber, in denen entweder die Preise von Originalpräparaten als Ergebnis der Verhandlungen um den Erstattungsbetrag gesunken sind, Beispiel Hepatitis C-Therapie; oder aber es werden verstärkt festbetrags- und rabattvertragsgeregelte Arzneimittel eingesetzt wie eine Analyse über die letzten zehn Jahre belegt (Abb. 3 zum Herunterladen). Dazu Wald-Eßer: “Durch immer mehr Regulierungsmaßnahmen unterlagen im Jahr 2016 immerhin 84 % der GKV-Verordnungen, gemessen über Tagestherapiedosen, einem Festbetrag und/oder einem Rabattvertrag. Die kontinuierliche Absenkung der Festbeträge reduzierte die Ausgabenbelastung der Kassen, führte aber auch dazu, dass einige Hersteller die Preise der betroffenen Produkte nicht mehr auf Festbetragsniveau absenkten. In der Konsequenz führt das dazu, dass es zu mehr Aufzahlungen der Patienten kommt, die den Differenzbetrag zwischen dem Festbetrag der gesetzlichen Krankenkasse und dem Arzneimittelendpreis zu bezahlen haben. Im ersten Halbjahr 2017 machen die Aufzahlungen in Summe immerhin 73 Millionen Euro aus.“ Gleichzeitig ging auch die Zahl der Produkte mit einem Preis von 30% unter dem Festbetrag deutlich zurück, was wiederum zu weniger Befreiungen und steigender Zuzahlung führt. Im Zusammenhang mit Rabattverträgen darüber hinaus erwähnenswert: Mehr als jede zweite abgegebene Packung im GKV-Markt ist heute ein „Rabattmedikament“, unter Einschränkung auf Generika entfallen gar drei Viertel der Packungen auf rabattierte Arzneien.
Versandhandelsanteil rezeptpflichtiger Arzneimittel unverändert bei 1 %
Im Kontext von Maßnahmen zur Steuerung der Gesundheitsversorgung steht auch das Thema „Versandhandel von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“ weiterhin im Fokus. Der Marktanteil dieser Präparate im ersten Halbjahr zeigt sich weiterhin unverändert: 99 % der rezeptpflichtigen Medikamente im Wert von 15,1 Mrd. Euro (Apothekenverkaufspreis ohne Abzug jeglicher Rabatte) werden in Vorort-Apotheken abgegeben. Der Umsatzanteil des Versandhandels beträgt entsprechend 1 % bzw. macht 150 Mio. Euro aus.
Versorgungsforschung: Erkenntnisse zu Behandlungen im Alltag gewinnen
Zunehmende Bedeutung kommt im Gesundheitswesen Fragen zur medizinischen Versorgung von Patienten unter Alltagsbedingungen zu. Auf Basis sogenannter „Real World Daten“ (RWD) lassen sich ganz unterschiedliche Erkenntnisse für Verbesserungen in der Versorgung gewinnen wie Dr. Gisela Maag, Pressesprecherin bei QuintilesIMS, aufzeigte. Ausgehend von spezifischen Merkmalen von RWD wie z.B. einer ausreichend großen Untersuchungspopulation über anonymisierte Behandlungsverläufe aus der alltäglichen Praxis, langen Beobachtungszeiten, modifizierbaren Therapievergleichen noch während der Untersuchung und geringeren Kosten als bei randomisierten klinischen Studien böten auf RWD basierende Studien die Chance, herkömmliche klinische Studien in vielfacher Weise zu ergänzen. So ließen sich z.B. Fragestellungen zu epidemiologischen Aspekten von Krankheiten oder zu Anwendungsaspekten von Arzneimitteln ebenso untersuchen wie zur Arzneimitteltherapiesicherheit oder Fragen im Kontext des „Market Access“. Auch für die Optimierung klinischer Studien könnten „Real World Daten“ herangezogen werden. Maag verdeutlichte an mehreren Praxisbeispielen die jeweilige Konsequenz in Form konkreter Ansatzpunkte für Verbesserungen in der Versorgung.
Nutzen für Leistungserbringer, Entscheider, Patienten
Studien zur Versorgung in der alltäglichen Praxis nützen mehreren Akteuren bzw. Instanzen. Ärzte gewinnen neue Erkenntnisse aus der Praxis z.B. zu Therapievergleichen oder zur Leitlinientreue und können dadurch ihr Wissen verbreitern. Für Patienten lassen sich Therapierisiken identifizieren und die Qualität von Diagnostik und Therapie verbessern. Kostenträger können bspw. Einblicke in „best“ und „worse practices“ erhalten oder auch Informationen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Behandlungen bekommen. Die pharmazeutische Industrie erhält u.a. Aufschluss über die Anwendung von Arzneimitteln im Versorgungsalltag oder auch für die Anlage klinischer Studien. Aufsichtsbehörden erhalten u.a. vertiefte Einblicke zu Sachverhalten, die für Zulassungen relevant sind.
Fazit: Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung schaffen ein ganzheitlicheres Bild zur Sicherheit und Wirksamkeit sowie den Vor- und Nachteilen am Markt befindlicher Therapien. Außerdem können sie dazu beitragen, die „richtigen“ Therapien besser und gegebenenfalls schneller zu den „richtigen“ Patienten zu bringen.