Arzneimittel: Marktwachstum durch Innovationen
Zum Auftakt der vormittäglichen Plenumsveranstaltung gab Dr. Frank Wartenberg, President Central Europe von QuintilesIMS, im ersten Teil seines Vortrages zunächst einen Einblick in den aktuellen Pharmamarkt. Er unterstrich die Bedeutung des deutschen Marktes für den globalen Gesamtmarkt und verwies auf die derzeitige Wachstumsprognose für den hiesigen Markt, die für die nächsten fünf Jahre bei 2 bis 5 % liege. Das Wachstum werde wie schon in den letzten Jahren auch in der Zukunft aus Spezialbereichen kommen, in denen Fachärzte die Verordner stellen, wie z.B. in der Onkologie oder bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen. Dabei spielten Innovationen eine erhebliche Rolle. Im Zeitraum von 2016 bis 2020 sei mit der Markteinführung von 225 neuen Substanzen zu rechnen, von denen fast die Hälfte Biologika ausmachten. Da diese Medikamente zunächst oft nur spezifischen und damit kleineren Populationen zu Gute kämen, könne Biosimilars die Rolle von Wegbereitern für eine erweiterte Anwendung zukommen. Wartenberg erwähnte in Zusammenhang mit der Innovationsdynamik, dass damit dennoch Einspareffekte für die Krankenkassen einhergehen, indem sich etwa allein das Volumen von Einsparungen durch Erstattungspreise und Rückforderungen im ersten Halbjahr 2017 auf über 1,5 Mrd. Euro summierte. Auf AMNOG-Produkte entfalle inzwischen ein Anteil von 16 % am gesamten verschreibungspflichtigen GKV-Segment in Deutschland.
Herausforderungen mit weiterentwickelten und neuen Dienstleistungen begegnen
Im zweiten Teil seiner Präsentation informierte Wartenberg vor dem Hintergrund der QuintilesIMS Kernkompetenzen – als solche benannte er: Verfügbarkeit der weltweit größten Datenbank für Gesundheitsdaten, umfangreiches Wissen über Indikationen, Geographien und wissenschaftliche Methoden, moderne Technologien zur Auswertung von Daten sowie Analyseexpertise zur Unterstützung von präzisen und schnellen Entscheidungen im Gesundheitswesen - über aktuelle Weiterentwicklungen und neue Dienstleistungen.
Beispiel „Next Generation Clinical Development“
Vor dem Hintergrund der seit einem Jahr fusionierten Unternehmen IMS Health und Quintiles zu QuintilesIMS zeigte Wartenberg, wie durch den Zusammenschluss ganzheitliche Dienstleistungen entwickelt wurden. So habe sich z.B. die Komplexität klinischer Studien infolge von mehr Prozeduren, Einschlusskriterien, Ländern und Studienzentren (Sites) erhöht, was mit einer sinkenden Zahl von Patienten einhergehe, da deren Rekrutierung immer schwieriger werde (Abb. 1 zum Herunterladen). Für die pharmazeutischen Hersteller bedeute dies erhöhte Kosten. Diese ließen sich jedoch reduzieren wie Projekte von QuintilesIMS zeigten. Sogenannte „Real World Daten“, die verschiedene Einblicke in das Therapiegeschehen in der Alltagspraxis geben, stifteten auch für die Optimierung klinischer Studien einen Nutzen. Als wichtiges Analyseresultat habe sich hier ergeben, das Augenmerk verstärkt auf Überweisungsprozesse zu richten.
Pharmapolitik nach der Wahl: Standpunkte und Podiumsdiskussion
Die Themen auf der gesundheitspolitischen Agenda bleiben auch nach der Bundestagswahl aktuell. Mit dieser Feststellung eröffnete Moderator Elmar Esser die Podiumsdiskussion, in der es inhaltlich insbesondere um Mischpreise und Arzneimittelinformationssysteme sowie Lieferengpässe und Rabattverträge ging. Teilnehmer waren Dr. Jürgen Bausch, Ehrenvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen, Dr. Markus Frick, Geschäftsführer Markt und Erstattung beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA), Peter Kurt Josenhans, Leiter der Direktion Versorgung bei der AOK Bremen/Bremerhaven und Wolfgang Späth, Vorsitzender Pro Generika e.V. Der Diskussion voraus gingen Eingangsstatements der Teilnehmer zu den in der Folge vertieften Punkten.
Das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) sieht die Einführung eines Arztinformationssystems (AIS) vor, über das Ärzte von Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung (FNB) von Arzneimitteln Kenntnis erhalten sollen. Dr. Bausch bewertete in seinem Eingangsstatement dieses Ziel zwar positiv, äußerte jedoch Zweifel, ob es gelingen werde, es kurz gefasst in elektronischer Form umzusetzen. Abzulehnen sei aus Ärztesicht eine Verknüpfung des AIS mit Hinweisen zur wirtschaftlichen Verordnung. Die mit der FNB einhergehende Segmentierung in Subgruppen und je nach Ergebnis diskutierte Mischpreisbildung sei problematisch, da ein nicht zuerkannter Nutzen „….keinen Beleg dafür bedeutet, dass es keinen Nutzen gibt“, so Bausch. Im Blick auf zukünftige hochpreisige, innovative Medikamente sei festzustellen, dass Sparmöglichkeiten, wo sie bestünden, von den Ärzten genutzt würden. Der anfangs zögerliche, inzwischen jedoch zunehmende Umstieg auf Biosimilars sei dafür ein Beispiel.
Auch Dr. Frick unterstrich zu Beginn, dass das AIS auf Sicht das wichtigste Thema darstelle und bei falscher Umsetzung den Kern des AMNOG gefährde. So dürfe Ärzten nicht suggeriert werden, Arzneimittel ohne nachgewiesenen Zusatznutzen seien nicht verordnungsfähig oder „schlechter“ als die vom G-BA gewählte Vergleichstherapie. Das AIS beträfe nicht nur die Industrie, sondern auch Patienten und Ärzte, da es letztlich um die Festlegung medizinischer Standards gehe. Die Kostendiskussion werde seitens der Kassen auf eine isolierte Preisdiskussion innovativer Präparate verkürzt, obwohl der Kostenanstieg bei Arzneien seit Jahren moderat sei. Bei Arzneimittel- und Gesundheitsthemen „…ist es relevant zu verstehen, dass die Pharmaindustrie einen bedeutenden Wirtschaftszweig und ein Exportthema darstellt und nicht nur einen sozialpolitischen Kostenblock, unabhängig davon, welche Rolle welche Partei in einer zukünftigen Koalition einnimmt“, so Frick. Das von allen Parteien benannte Ziel der Digitalisierung sei auch eine Frage des Zugangs zu Daten und nicht ohne Berücksichtigung entsprechender Regelungen zum Datenschutz umzusetzen. Frick bedauerte, dass mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) dezentrale Verträge praktisch zum Erliegen gekommen seien, da für kassenindividuelle Vereinbarungen kein Verhandlungsspielraum mehr bestehe.
Wolfgang Späth betonte einen extrem hohen Kostendruck auf die generische Industrie, der inzwischen auch von gegenüber der Branche bekannt kritischen Vertretern konzediert werde. Er beklagte eine Oligopolisierung der Generikabranche mit Risiken für Lieferengpässe. „Eine konsequente Mehrfachvergabe wäre hier die Lösung, ohne die Rabattverträge in Frage zu stellen“, so Späth. Allerdings: „Bei versorgungskritischen Wirkstoffen plädieren wir für einen Verzicht auf Ausschreibungen“ machte der Vertreter von Pro Generika deutlich und warnte des Weiteren davor, nicht zu viele Regularien festzuschreiben, um „…das zart aufkeimende Pflänzchen Biosimilars nicht im Keim zu ersticken.“ Denn die Nachbauten stünden noch am Anfang und seien noch nicht in allen Therapiegebieten vertreten.
Peter Kurt Josenhans plädierte dafür, den Zusatznutzen zukünftig zielgenauer abzubilden, Nutzenbewertungen auch im Bestandsmarkt einzuführen und die Informationen im AIS abzubilden. Er verwies in diesem Zusammenhang auf das Bremer Arzneimittelregister, das Ärzten bei der Verordnung nicht nur wirtschaftlich, sondern auch nach qualitativen Gesichtspunkten Unterstützung bietet. „Die Arzneimittelauswahl wird bei Orientierung an unserem Register erleichtert. Hierin werden nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin und geordnet nach den häufigsten Indikationen in der hausärztlichen Praxis Erstwahl- und Alternativmedikamente sowie Wirkstoffe für besondere Indikationen gelistet. Dabei erfolgen immer wieder Anpassungen und Erweiterungen, wozu ein regelmäßiger Austausch zwischen Pharmakologen und Ärzten stattfindet.“
In der anschließenden Diskussion waren sich die Diskutanten beim Thema AIS einig, dass der Nutzen des Tools von seiner Ausgestaltung abhängen werde. Dr. Bausch unterstrich, dass die ärztliche Therapiefreiheit gewährleistet sein müsse. Aus Sicht von Dr. Frick kann das AIS als Informationsmedium hilfreich sein. Er warnte jedoch davor, es als Steuerungsinstrument im Sinne eines falsch verstandenen Positivlistensystems auszugestalten. Zur Frage, ob Nutzenbewertungen der Individualität des einzelnen Patienten gerecht werden und Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften mit den Ergebnissen der Nutzenbewertung in Einklang zu bringen sind, verwies Bausch auf die zunächst andere ursprüngliche Zielsetzung des AMNOG und plädierte dafür, besser mit Vorhandenem umzugehen, wofür die Orientierung an den wissenschaftlichen Fachgesellschaften vonnöten sei. Frick unterstützte diese Sicht und vermerkte, dass die evidenzbasierten Leitlinien der Ärzteschaft und AMNOG-Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sich grundsätzlich und häufig auch im Ergebnis unterschieden. Das AMNOG sei bewusst ein komplexitätsreduzierendes Instrument und die Einstufung eines „nicht nachgewiesenen Zusatznutzens“ bedeute nicht, dass das Arzneimittel nicht gebraucht würde. Josenhans verwies darauf, dass man mit dem Bremer Arzneimittelregister inzwischen genügend Erfahrungen habe, um zu wissen, dass es funktioniere und mit mehreren KVen im Gespräch sei, die an einer Übernahme entweder interessiert seien oder bereits damit arbeiteten. Zu den Auswirkungen auf Generika und Biosimilars sieht Späth für die letzten drei Jahre Bewegung. In Anbetracht von mehr Erfahrungen mit Biologika würden Patienten inzwischen auf similare Therapien nicht nur neu ein-, sondern auch umgestellt. Bausch verwies in diesem Zusammenhang auf eine zwischenzeitliche Kehrtwende der Arzneimittelkommission, die nunmehr auch Switches erlaube, so dass Mittel zur Finanzierung von Innovationen frei würden. Im Kontext des Themas Lieferengpässe sprach sich Bausch in Analogie zu nationalen Reserven für Öl und Gas für eine eben solche Arzneimittelvorhaltung aus, wenn international nur ein Monopolist für die Herstellung existiert. Späth entgegnete dem, dass keine wie immer geartete Vorratshaltung die richtige Antwort auf strukturelle Probleme sein könne. Angesichts einer Befristung von Rabattverträgen auf zwei Jahre bei einer erforderlichen Zeit von einem Jahr für die Planung über verschiedene Stufen bis zur Herstellung plädierte er für die Mehrfachvergabe von Verträgen, um Lücken abzupuffern. Aus Sicht von Josenhans stellen Open-House-Verträge hier die richtigen Weichen. Für die forschende Industrie stellt sich das Thema nach Sicht von Frick noch nicht in größerem Maße. Er problematisierte jedoch die öffentlichen Preise der AMNOG-Produkte, da niedrigere Erstattungspreise dazu führten, dass die Präparate in andere Länder gingen und dadurch in Deutschland u.U. nicht mehr ausreichend zur Verfügung stünden. Die Lösung liege in vertraulichen Preisen mit einer direkten Rabattabwicklung zwischen Krankenkassen und Herstellern wie in anderen Ländern.
Launch Excellence: Wann sind Produktneueinführungen erfolgreich?
Dr. Simone Seiter, Vice President Launch Excellence bei QuintilesIMS, stellte Ergebnisse aus der neuesten Launch Excellence-Studie mit Fokus auf Deutschland vor. Die Studie wird in bestimmten Abständen seit 20 Jahren in 8 Ländern durchgeführt. Bis heute wurden ca. 12.000 Launches analysiert. Dabei richtet sich das Augenmerk auf die Marktpenetration neu eingeführter Arzneimittel in den 18 bis 24 Monaten nach Ausbietung. Einige zentrale Ergebnisse: Über ein Viertel der als exzellent klassifizierten Launches in Deutschland stammen von kleineren Unternehmen und betreffen oftmals neuartige Therapiekonzepte (Abb. 2 zum Herunterladen). Weiterhin erwiesen sich auch bei suboptimaler Nutzenbewertung durch den G-BA sehr gute Launches als möglich. Und: es zeigt sich eine Korrelation zwischen exzellenten Launches und digitalen Aktivitäten.
Seiter hob drei Bedingungsfaktoren als wesentlich für erfolgreiche Launches hervor: Eine gute Vorbereitung, ausreichende Ressourcen und eine gelungene Kommunikation des Wertbeitrags eines Präparats an die relevanten Stakeholder.
Mehrere Faktoren bei Umsetzung von Multichannel-Strategien zu beachten
Eine gelungene Umsetzung einer Multichannel-Strategie hängt von mehreren Erfolgsfaktoren ab wie Arnim Jost, Director Commercial Technology und Christian Passarge, Principal Technology & Applications (beide QuintilesIMS) sowie Patric Jarchow, Head of Global Multi-Channel Strategy and Execution, Merck KGaA, in ihren Vorträgen verdeutlichten. Neben einer cross-funktionalen Team-Besetzung spiele das nahtlose Funktionieren auf der technischen Ebene eine wesentliche Rolle. Dazu gehöre für ein endnutzer-orientiertes User-Interface die Option, auf marktgängigen Standards aufzusetzen ebenso wie die Einbindung spezialisierter Tools, um eine Orchestrierung unterschiedlicher Kanäle vorzunehmen. Inhaltlich-konzeptuell sei zu berücksichtigen, dass globale Anforderungen oftmals nicht mit lokalen Erfordernissen übereinstimmen und daher im Sinne einer zielgruppengerechten Adressierung entsprechend abzugleichen und zu justieren seien. Das Thema wurde wie auch einige weitere in einem Spezialforum am Nachmittag vertieft.