Die Prävalenz verschiedener singulärer Erkrankungen ist vielfach bekannt. Unbekannt jedoch ist oftmals die Verbreitung von Komorbiditäten. Die Schätzung des Ausmaßes der Betroffenheit von Patienten mit bestimmten chronisch physischen Erkrankungen, die mit Depression vergesellschaftet auftreten, war das Ziel der Untersuchungen der Forscher. Das Beispiel der Herzinsuffizienz macht die Bedeutung des Zusammenhangs zwischen diesen Erkrankungen klar.
Herzinsuffizienz: chronische Erkrankung mit hoher Belastung und geringerer Lebensqualität
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weit verbreitet und nehmen infolge des demografischen Faktors weiter zu. Sowohl in Europa als auch weltweit sind sie Todesursache Nummer 1. Eine Herzinsuffizienz kann durch verschiedene Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht werden und betrifft hauptsächlich ältere Menschen. Schätzungen gehen davon aus, dass in Europa etwa 15 Millionen Menschen an einer Herzschwäche leiden.1 Die Erkrankung geht u.a. mit Symptomen wie Kurzatmigkeit, Müdigkeit, Flüssigkeitsansammlung im Gewebe und Arrhythmien einher. Die körperliche Belastbarkeit ist vermindert und die Lebensqualität reduziert. Je nach Schweregrad fällt bei fortschreitender Erkrankung die Prognose schlecht aus. Der plötzliche Herztod ist eine der Hauptursachen für die Sterblichkeit.
Gelingt Betroffenen ein Umgang mit den Symptomen der Erkrankung nicht, so können depressive Symptome auftreten. Diese werden jedoch bei Patienten mit Herzschwäche oftmals nicht erkannt und demzufolge nicht behandelt. Forscher von IMS Health analysierten Diagnoseinformationen auf Basis der retrospektiven Datenbank IMS® Disease Analyzer2. In die Auswertungen flossen die Therapieverläufe von 132.994 Patienten zwischen 40 und 90 Jahren aus 1.072 hausärztlichen Praxen im Zeitraum von 2004 bis 2013 ein, deren Behandlung bis zu fünf Jahre (Ende April 2015) nachverfolgt werden konnte.
Insgesamt wurden die Behandlungsverläufe von jeweils 66.497 Patienten mit und ohne Diagnose Herzinsuffizienz analysiert. Die Untersuchung wurde im Vergleich mit einer nach relevanten Merkmalen – Alter, Geschlecht, Versicherungsstatus und Zeitraum ohne Diagnose Depression oder Behandlung mit Antidepressiva von mindestens einem Jahr vor der Diagnose Herzinsuffizienz – selektierten und gleich großen Kontrollgruppe durchgeführt. Im Mittel waren die einbezogenen Patienten 72 Jahre alt und zur Hälfte männlich. Knapp 7 % waren privat krankenversichert und rund 11 % hatten in beiden Gruppen eine länger als ein Jahr zurückliegende Depressionsdiagnose.
Depressionsrisiko besteht sowohl nach Erstdiagnose Herzinsuffizienz als auch Jahre danach
Bereits ein Jahr nach der Erstdiagnosestellung trat bei der Studiengruppe der Herzschwächepatienten signifikant häufiger eine Depression auf als in der Kontrollgruppe (knapp 11 % ggü. rund 6 %). Nach fünf Jahren wurde bei fast 29 % der Patienten mit und 18 % der Patienten ohne Herzinsuffizienz eine Depression diagnostiziert. Eine Herzschwäche stellt einen signifikanten Risikofaktor für die Entwicklung einer depressiven Erkrankung dar, wobei die tatsächlichen Einbußen an Lebensqualität das Risiko der Depression erhöhen. Verstärkt wird dies wenn bereits frühere Depressionsepisoden auftraten. Auch das Vorhandensein weiterer körperlicher Erkrankungen, nämlich Krebs, Demenz, Osteoporose, Schlaganfall und Osteoarthrose steigert das Risiko, an Depression zu erkranken. Hingegen waren männliches Geschlecht und Privatversichertenstatus mit einem niedrigeren Depressionsrisiko assoziiert.
„Die Ergebnisse bestätigen für den deutschen Versorgungsalltag Erkenntnisse aus internationalen Studien zum Zusammenhang zwischen Herzinsuffizienz und Depressionen, wonach letztere umso häufiger auftreten je länger die Herzschwäche diagnostiziert ist. Das hängt mit organischen Funktionseinschränkungen der Patienten über die Zeit wie auch einem zunehmenden Schweregrad der Erkrankung zusammen. Wie wir wissen haben Patienten mit Depression und Herzinsuffizienz eine geringere Lebenserwartung als die Bevölkerung im Allgemeinen3. Deshalb ist es wichtig, ein besseres Erkennen von Depressionen bei Herzinsuffizienzpatienten zu erreichen. Dafür braucht es entsprechende Weiterbildung bei mehr Hausärzten, damit diese Co-Erkrankung adäquat behandelt werden kann. In Anbetracht einer alternden Gesellschaft mit mehr chronisch kranken und multimorbiden Patienten ist auch die Entwicklung nachhaltiger Versorgungskonzepte für die hausärztliche Betreuung erforderlich“ resümiert Prof. Dr. Karel Kostev, Forschungsleiter bei IMS Health.
Die Forscher haben auch für weitere chronische Erkrankungen untersucht, inwieweit diese vermehrt mit dem Auftreten einer Depression verbunden sind und welche Faktoren hierfür jeweils krankheitsspezifisch verantwortlich sind. So besteht ein erhöhtes Risiko für eine Depression bspw. für Patienten mit spät auftretender rheumatoider Arthritis, wobei hier der Schmerz eine wesentliche Determinante ist. Auch koronare Herzerkrankungen erweisen sich als Risikofaktor, die psychische Erkrankung zu entwickeln. Frauen mit Osteoporose sind häufiger depressiv als Frauen ohne diese Krankheit und Patientinnen mit Brustkrebs leider mehr an Depressionen und Angststörungen als Nichtbetroffene.
1 Ewen, S., Mahfoud, F., Böhm, M., 2015: Chronische Herzinsuffizienz. Aktuelle Leitlinienempfehlungen und neue Erkenntnisse. Internist, 56, 791-802.
2 IMS® Disease Analyzer ist eine Datenbank von IMS Health, die anonymisierte Therapie- und Behandlungsverläufe zeigt. Dadurch lassen sich Krankheitsund Therapieverläufe über viele Jahre darstellen. IMS® Disease Analyzer beruht auf einer repräsentativen Stichprobe von mehr als 2.500 niedergelassenen Ärzten in der Bundesrepublik Deutschland, die mit EDV-Systemen ausgestattet sind.
3 Lederbogen, F., Schwarz, P., Häfner, S., Schweiger, U., Bohus, M., Deuschle, M, 2015: Kardiale und metabolische Risikfaktoren bei schweren psychischen Erkrankungen. Nervenarzt, 86, 866-871.