Diese Ergebnisse sind Teil der ersten repräsentativen Studie über Ursachen, Verbreitung und Folgen von berufsbedingter räumlicher Mobilität in Deutschland und fünf weiteren europäischen Ländern. Für das bislang beispiellose Forschungsprojekt wurden insgesamt 7.150 Personen im Alter von 25 bis 54 Jahren befragt, 1.663 davon in Deutschland. Die Studie mit dem Titel "Job Mobilities and Family Lives in Europe" wird von der EU-Kommission finanziell gefördert und am Institut für Soziologie der Universität Mainz koordiniert. Außer Deutschland sind daran Belgien, Frankreich, Polen, Spanien und die Schweiz beteiligt. Am Freitag wurden in Mainz erstmals die Ergebnisse für Deutschland im internationalen Vergleich präsentiert. "Die Unterschiede zwischen den einzelnen europäischen Ländern fallen eher gering aus. Dabei liegt die Mobilität derzeit in Spanien am niedrigsten, in Deutschland dagegen am höchsten", fasst Univ.-Prof. Dr. Gerardo Meil von der Universidad Autónoma de Madrid die Erhebungen zusammen.
Im Hinblick auf das Mobilitätsverhalten der Deutschen zeigen sich Unterschiede je nach Alter und Ausbildung. Während ältere Arbeitnehmer und Nicht-Akademiker nur ungern umziehen, sondern eher pendeln, präferieren junge Menschen und Akademiker einen Umzug. Mit steigendem Alter sind die Menschen zunehmend weniger mobil. Akademiker sind generell mobiler als die übrigen Bildungsgruppen, wobei zwischen diesen Bildungsgruppen kaum Unterschiede bestehen, so die Autoren der Studie.
Daneben lassen sich deutliche Geschlechtsunterschiede feststellen: Männer sind doppelt so häufig mobil wie Frauen. Haben die Frauen jedoch keine Kinder, übertrifft ihre Mobilitätsrate die der kinderlosen Männer. Führt Elternschaft bei Frauen eindeutig zu einem Rückgang der Mobilität, unterscheiden sich Väter hier nicht von Männern ohne Kinder. Als Folge dieses Befunds steht nach Auffassung der Mainzer Soziologen unter anderem zu befürchten, dass erhöhte Mobilität die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders für Frauen weiter erschwert und dass Mütter auf dem Arbeitsmarkt ins Hintertreffen geraten könnten.
"Frauen mit Kindern zeigen sich nach unseren Ergebnissen generell wenig mobilitätsbereit", erklärt Heiko Rüger, Mitarbeiter am Institut für Soziologie. Dabei bestätigt sich, dass berufsbedingte Mobilität nicht ohne Folgen für die Familienentwicklung bleibt. "Die Auswirkungen zeigen sich vor allem in einer Hinsicht: Mobile Frauen sind signifikant häufiger kinderlos als nicht mobile erwerbstätige Frauen. Daneben kann Mobilität auch häufiger zu einem Aufschub von Elternschaft führen, das heißt, die Menschen bekommen ihre Kinder später als ursprünglich geplant", erläutert Rüger weiter.
Mobilsein scheint im Berufsleben vieler Deutscher in den letzten Jahrzehnten zur Normalität geworden zu sein. "Wir gehen davon aus, dass Mobilität heute nicht mehr überwiegend zu einem Karrierefortschritt führt, sie dient de facto eher dazu, Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg zu vermeiden", so Detlev Lück aus der Arbeitsgruppe um Prof. Schneider. Diese Entwicklung könne dazu führen, dass Menschen, die nicht in der Lage sind, Mobilitätsanforderungen Folge zu leisten, als Modernisierungsverlierer von einem höheren Risiko bedroht sind sozial abzusteigen. Und deren Anteil an der Bevölkerung sei mit etwa einem Viertel nicht eben gering. Das zunehmende Mobilitätsgeschehen geht dabei nicht nur auf die gestiegenen Anforderungen seitens der Wirtschaft zurück. "Mit den Veränderungen von Partnerschaft und Frauenrolle und dem damit verbundenen Anstieg der Paare, in denen beide Partner berufstätig sind, liegt ein wesentlicher Grund dafür außerhalb der Wirtschaft", so Lück. Mobilität ist dann eine Problemlösestrategie zur Vereinbarung der Berufstätigkeit beider Partner, etwa durch lange tägliche Pendelzeiten oder durch Wochenendpendeln.
Auch wenn Mobilität für viele Deutsche mittlerweile zu ihrem Berufsalltag gehört, sind nicht alle glücklich damit. Nur ein Drittel der Mobilen betrachtet die eigene Mobilität als "Chance" und verbindet damit etwas Positives. Dagegen sehen 55 Prozent Mobilität als "notwendiges Erfordernis" an und 12 Prozent erleben ihre Mobilität sogar als "Zwang". Wer mobil wird, hat dafür oftmals gute Gründe. Doch nehmen die Mobilen dafür auch gravierende Nachteile in Kauf: Häufige Erschöpfung und fehlende Zeit für die Pflege sozialer Beziehungen sind nur zwei der häufig genannten Nachteile von Mobilität. "Insgesamt ist der Berufsalltag für Mobile deutlich belastender als für Berufstätige, die vor Ort leben und arbeiten", stellt Prof. Dr. Ruth Limmer fest, Psychologin und Projektpartnerin an der Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg. Sie betont außerdem, dass bei bestimmten Berufsmobilen wie zum Beispiel Fernpendlern oder älteren Erwerbstätigen nicht nur der berufliche Alltag, sondern auch die Belastung im Privatleben deutlich erhöht ist. Kann die berufsmobile Situation nicht verändert werden, ist mit erheblichen Einbußen des psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens zu rechnen.
"Insgesamt", so betont Prof. Schneider abschließend, "haben die Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Familie zu einem spürbaren Anstieg beruflicher Mobilitätserfahrungen in den letzten 20 Jahren in Deutschland geführt."