„Heute feiern wir Geburtstag - die gebärdensprachliche Gemeinde ist geboren“, so die Eröffnungsworte von Kirchenrätin Cornelia Wolf in der Egidienkirche in Nürnberg. 110 Jahre nach der Gründung der evangelisch-lutherischen Gehörlosenseelsorge in Bayern, ist seit Anfang des Jahres die EGG formal mit ca. 2.000 Gläubigen aus 16 Gemeindeteilen, als erste eigenständige Kirchengemeinde in Deutschland anerkannt. „Wir haben die Anerkennung bekommen, wir können Lektoren ausbilden und wir können für gehörlose Menschen in Bayern da sein“, betonte die Kirchenrätin.
„Unter den über 1500 hörenden Gemeinden in Bayern gibt es jetzt einen besonderen Farbtupfer: die Evangelisch-Lutherische gebärdensprachliche Kirchengemeinde in Bayern – einzigartig in Deutschland. Eine Gemeinde mit allen Rechten und allen Pflichten, mit eigenem Kirchenvorstand und eigenem finanziellen Budget. Auf Augenhöhe mit all den anderen Gemeinden in den sechs Kirchenkreisen Bayerns.“, so die Festpredigt von Oberkirchenrat Detlev Bierbaum.
Im Namen der Stadt Nürnberg gratulierte Christian Vogel, 2. Bürgermeister, der Kirchenge-meinde. Weitere Festreden hielten der Vizepräsident des Bayerischen Landtages Peter Meyer, die Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung Irmgard Badura sowie Richard Bartsch, Bezirkstagspräsident von Mittelfranken.
Viele Ehrengäste bedachten die Gemeinde mit originellen Geschenken. Ein besonders wertvolles Geschenk brachte Regionalbischöfin Hann von Weyhern mit, ein Ölgemälde des gehörlosen Malers Paul Ritter aus der Sammlung Grieb. Der früher „Malerfürst“ genannte Maler war zu seiner Zeit im 19.-20. Jahrhundert sehr populär. „Das Bild soll an die Kraft erinnern, die in einem gehörlosen Mensch steckt“, so Hann von Weyhern.
Für einen weiteren Höhepunkt sorgte Oberkirchenrat Dr. Hübner mit der Überreichung des Siegels. Hiermit können zukünftig wichtige Dokumente und Urkunden direkt von der Gemeinde gesiegelt werden. „Nur durch diese Eigenständigkeit und Selbständigkeit kann die Gehörlosenkultur auch in religiösem Brauchtum, in christlichen Feiern und Gottesdiensten gelebt und weitergeben werden“, gratulierte Bernd Schneider, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern der Gehörlosen e.V.
Für die musikalische Unterhaltung sorgten die Gebärdenchöre von Gehörlosen, deren Mitglieder sich aus ganz Bayern zu diesem Fest zusammenschlossen. Besonders interessant war für die Besucher der gemeinsame Auftritt des Gehörlosenchors und des hörenden Chors aus Heroldsberg. Beispielhaft wurde hier präsentiert, wie einfach Inklusion gelebt werden kann.
Nach dem Festakt und dem darauffolgenden Sektempfang gab es bis in den späten Nachmittag ein buntes Unterhaltungsprogramm für Groß und Klein. Bei leckeren Speisen und kühlen Getränken bestand die Möglichkeit auf dem Festgelände zu guten Gesprächen und einer hervorragenden Gelegenheit zur Begegnung zwischen Gehörlosen und Hörenden. Viele ergriffen die Chance ihre Gebärdenkenntnisse aufzufrischen, andere versuchten erste Gebärden zu erlernen.
Die gesamte Veranstaltung wurde durchgehend barrierefrei gestaltet, mehrere Dolmetscherinnen sorgten vor Ort für die reibungslose Simultanübersetzung in Gebärdensprache und in Lautsprache.
Nach dem Abschlusssegen ließen die Besucher Luftballons aufsteigen. So ging der bedeutendste Festtag in der bisherigen Geschichte der Gehörlosengemeinde zu Ende. „Alle Hoffnungen, alle Bitten, alle Sorgen packen wir jetzt in einen Luftballon und schicken ihn zu Gott“, so Kirchenrat Derrer.
Über die Veranstaltung wird am 22. Juli 2017 um 9:00 Uhr in der BR-Sendung „Sehen statt Hören“ berichtet.