Beim Wechselspiel zwischen persönlichem Interesse und Herausforderung durch das Material, wie beim Holz, Metall oder Glas werden Jugendlichen zu Persönlichkeiten, die eine verschärfte, eine klarere Identität gewinnen. Wenn Sie dann noch eine Meisterausbildung durchlaufen, zeigt sich auch für die Außemstehenden, das ist eine tolle, gereifte Persönlichkeit. Diese Lern und Lebensleistungsprozesse können für nicht-Handwerker nur zum Teil nach voll zogen werden. Der Handwerksmeister ist eben mehr als nur ein guter fachlicher Handwerker, er ist ein umfassend auch persönlich gebildeter, durch das Ringen und der Auseinandersetzung mit Materialien und dem Lernen durch diese Herausforderung eine gereifte Persönlichkeit, die auch in der Gesellschaft ihren Mann/ihre Frau stellt. Viele Handwerker sind auch Künstler, sie schaffen Neues, veredeln Materialien und helfen Menschen ihre Wohnungen, Autos und liebgewordene Gegenstände zu verschönern. Ein Handwerker verliert dabei selten den Boden unten den Füssen, da er durch die nicht immer leichte Ausbildungszeit, immer weiss, welche Lernschritte er gegangen ist. Klar ist, dass unser Bildungssystem immer noch sehr stark Menschen benachteiligt, die nicht zu Hause schon vieles lernen könnten und dies oft sehr mühsam nochholen müssen.
Die Gesellschaft mit ihren Verbänden, die Gewerkschaften und Parteien brauchen Menschen, die wissen wovon sie reden. Daher ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen eine duale Berufsausbildung wählen. Allerdings ist es notwendig, dass die Durchlässigkeit zur weiteren Entwicklung der Personen erhegblich verbessert wird. Die starren zeitlichen Grenzen einer Bafög-Förderung oder die immer noch zu geringe Förderung der Meisterausbildung erschwert Arbeitnehmern im Berufsleben eine auch finanziell mögliche Weiterbildung oder gar ein Studium. Bisher ist unser Bildungssystem darauf ausgerichtet, am Anfang möglichst ein Abitur zu absolvieren, damit dem Menschen alle Wege offen stehen. Alle anderen Wege sind immer noch mit erheblichen zusätzlichem Aufwand und Schwierigkeiten verknüpft.
Daher wäre es gut, wenn jeder Mensch den Anspruch auf eine lebenslange Weiterbildung erhalten würde, die er ja nach Wunsch und Zeitpunkt selbst wählen kann. Die Konzentration der staatlichen Mittel auf die Einbahnstrasse Gymnasium verhindert die Durchlässigkeit dse Bldungssystem und lässt die Entwicklungen vieler Menschen in Betrieben außer Acht.
Wie soll denn Arbeitnehmer mit Familie und Kindern im Alter von 40 Jahren ein Studium finanzieren? Es kann doch aber gerade sinnvoll sein, mit 40 halbtags zu arbeiten, zu studieren und so z. B. auch mehr zeitliche Flexibilität bei der Kindererziehung zu bekommen. Hier bräuchten wir erhebliche öffentliche Mittel, dass dies möglich ist. Es kann doch nicht so sein, dass diejenigen, die über ein größeres Vermögen verfügen, sich alle Studien leisten können – bei Bedarf einfach an eine teure Privatuni gehen, um ein Studium zu absolvieren. Zur Gerechtigkeit gehört Chancengerechtigkeit für alle – und nicht Zugangsmöglichkeiten für wenige.
Gerhard L. Endres, Journalist,
Vorsitzender des KAB-Bildungswerks München und Freising