Vor dem Agrarministergipfel im Bundeswirtschaftsministerium schlagen die Demonstranten auf ihre Kochtöpfe und fordern die Achtung der Menschenrechte, faire Handelsbedingungen und mehr Unterstützung für die ländliche Bevölkerung weltweit. Schon am Vormittag hatten die 160 Bauern, die die Demonstration mit ihren Traktoren anführen, eine Protestnote an die 70 versammelten Minister aus aller Welt übergeben. „Wir wollen raus aus der fatalen Exportorientierung und Landkonzentration, die Bauern hier und weltweit das Genick bricht“, so Fritz über die Folgen der Agrarpolitik. Allein in den letzten 12 Jahren, mussten in Deutschland ein Drittel der Höfe ihre Tore schließen.
Bündnis-Sprecher Fritz weiter: „Essen ist politisch, immer mehr Menschen erkennen das. Aber die Politik nährt eine Agrarindustrie und lässt sie auf Kosten von Umwelt, Klima und Tieren produzieren. Damit wir alle nicht langfristig die Zeche dafür zahlen, muss die GroKo den Spieß jetzt umdrehen. Diejenigen, die nachhaltig produzieren und essen, müssen belohnt werden.“
Mit Blick auf den morgigen SPD-Parteitag appelliert Martin Schulz als Sprecher der Traktorfahrer an seinen sozialdemokratischen Namensvetter, endlich Mut und Klarheit für eine zukunftsweisende Agrarpolitik zu beweisen. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Schulz sagt: „Viele Bauern haben sich schon längst auf den Weg gemacht und verändern die Landwirtschaft Tag für Tag. Leider noch ohne die Unterstützung der Politik. Wir Bauern brauchen jetzt eine zukunftsfähige Politik, die verlässliche Entscheidungen trifft und Probleme löst. Der Stillstand der alten GroKo hat zu einer Spaltung zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft geführt. Da müssen wir raus.“
Konkrete Projekte in der nächsten Legislaturperiode müssen – neben Glyphosat-Ausstieg und Umbau der Tierställe – die Kennzeichnungspflicht bei tierischen Lebensmitteln, das Verbot von Reserve-Antibiotika in der Tierhaltung und faire Marktregeln zum Schutz von Bauernhöfen sein. Außerdem muss die Zahlung von EU-Agrarsubventionen an außerlandwirtschaftliche Investoren, die immer mehr Bauern den Boden unter den Füßen wegkaufen, sofort beendet werden.
Die Großdemonstration richtet sich gegen die Agrarindustrie, nicht aber gegen Landwirte. Die konventionellen und Öko-Bauern demonstrieren auch im achten Jahr im Schulterschluss mit Lebensmittelhandwerkern und der Zivilgesellschaft gegen die fatalen Auswirkungen der intensiven industriellen Landwirtschaft. Gemeinsam zeigt das breite „Wir haben es satt!“-Bündnis Wege für eine bäuerliche Zukunftslandwirtschaft und ein gutes Ernährungssystem auf.
Weitere Informationen: www.wir-haben-es-satt.de
Statements von Rednerinnen und Redner der Demonstration:
Elisabeth Freesen, junge Bäuerin aus Niedersachsen, die mit dem Traktor angereist ist:
„Ich bin eine junge Bäuerin und ich liebe meinen Beruf. Ich übernehme gerne Verantwortung für den Hof, die Region und eine zukunftsfähige, bäuerliche Landwirtschaft. Zusammen mit den vielen anderen jungen Menschen, die die Demonstration anführen, setze ich mich für eine Zukunft auf dem Land ein. Wir werden unsere Äcker und Teller nicht der Agrarindustrie überlassen. Die GroKo muss junge Menschen auf dem Land, Existenzgründung in der Landwirtschaft und vielfältige ländliche Räume fördern.
Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):
„Gülle und Pestizide belasten Böden und Gewässer, bäuerliche Betriebe ringen ums Überleben und das Insektensterben zeigt, welche dramatischen Auswirkungen die industrielle Agrarproduktion auf die Artenvielfalt hat. Die nächste Bundesregierung muss Lösungen für die massiven Probleme der Landwirtschaft präsentieren. Wir erwarten einen verbindlichen Umbauplan für die Tierhaltung, eine ambitionierte Minderungsstrategie für Pestizide und ein Verbot von Glyphosat und der für Bienen gefährlichen Neonikotinoide.“
Ulrich Veith, Bürgermeister der pestizidfreien Gemeinde Mals aus Südtirol:
„Das Beispiel der Gemeinde Mals zeigt: Es zahlt sich aus, für eine bessere Welt einzustehen. Heute ist Mals frei von chemischen Pestiziden, in einigen Jahren wird es ganz Südtirol sein. Vielleicht zieht Europa mit. Großes entsteht immer im Kleinen. Jeder einzelne kann, ja muss seinen Beitrag leisten. Weitsicht, Mut und Ausdauer, mehr braucht es nicht.“
Fátima Aparecida Garcia de Moura, Federação de Órgãos para Assistência Social e Educacional (FASE), Brasilien:
„Soja ist nicht nachhaltig, es ist kein richtiges Lebensmittel, sondern vorrangig Futtermittel und wird vor allem für den Export produziert. Sojaanbau führt zu Vertreibungen von Familien und Landverlust. In meinem Staat Mato Grosso ist der größte Gewinner des Sojaanbaus der brasilianische Landwirtschaftsminister Blairo Maggi mit seiner Firma Amaggi.“
Christoph Bautz, Geschäftsführer der Bürgerbewegung Campact:
„Der Einstieg in die Agrarwende muss mit dem Ausstieg aus der Pestizid-Nutzung beginnen. Glyphosat lässt unsere Insekten sterben und macht die Äcker vor der Aussaat so leblos wie einen frisch gewienerten Küchenboden. Eine neue Bundesregierung muss klar Farbe bekennen, wann sie das Bienengift verbieten will. Wir Bürger und Bürgerinnen hätten da einen Vorschlag: 2018 ist Schluss!“
Ole Plogstedt, TV-Koch, bekannt aus „Die Kochprofis – Einsatz am Herd“:
„Es geht um viel mehr, als nur um unser Essen. Eine vernünftige weltweite Agrarwende würde nicht nur Tierleid minimieren, sondern ebenfalls dem Welthunger und der Umweltzerstörung entgegenwirken. Nicht zuletzt würde sie auch Menschenrechte und Gesundheit schützen und sogar Fluchtursachen bekämpfen.“
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes:
„Die Gesellschaft erwartet ein Mehr an Tierschutz. Tiere haben keinen Preis, Tiere haben einen Wert und Wirtschaftlichkeit darf kein Grund sein, ihnen Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Deshalb braucht es eine neue Agrarpolitik inklusive einer Nutztierstrategie, die den breiten Konsens der Gesellschaft hin zu mehr Tier- und Umweltschutz endlich in die Spur bringt.“
Stephanie Strotdrees, Bäuerin und Vizepräsidentin von Bioland e.V.:
„In einem gesunden Kreislaufsystem gehören Tierhaltung und Landwirtschaft zusammen. Die Tiere müssen von der Fläche ernährt werden können und der Acker muss Gülle und Mist aufnehmen können. Nur so können wir eine Lösung für die Nitratproblematik schaffen. Fördermittel müssen an eine niedrigere Tierzahl pro Hektar gekoppelt werden.“
Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft:
„Wir brauchen eine grundlegende Reform der europäischen Agrarpolitik. Diejenigen, die umwelt- und klimaschonenden Ackerbau betreiben und Tiere artgerecht halten, müssen durch Direktzahlungen unterstützt werden, nicht wer am meisten Flächen besitzt. Die Bäuerinnen und Bauern sind bereit, aber die Politik muss den Rahmen schaffen. Gerade die kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe braucht das Land.“
Kirsten Wosnitza, Milchbäuerin aus Schleswig-Holstein vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter:
„Eine Agrarpolitik mit dem System ‚immer billiger – immer mehr‘ ist gegen die Interessen von Bauern und Bürgern. Milchbauern wollen keine Überschussproduktion, sondern sie brauchen faire Marktregeln und faire Preise. Dann können öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen bezahlt werden und nachhaltige Milcherzeugung wird eine echte Perspektive haben.“
Rudolf Bühler, Bauer aus Hohenlohe und Vorsitzender der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall:
„Wir Bauern fordern die Agrar- und Ernährungsindustrie auf: Hände weg von Saatgut und Tierzucht. Schluss mit der Enteignung und Vertreibung von Bauern und Hirten durch die Agrarindustrie! Wir treten ein für den Schutz von natürlichen Ressourcen, der indigenen Kulturen, des indigenen Wissens und des Bodens, den Bauern seit Generationen bewirtschaften und bewahren. Für den globalen Schutz der indigenen Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen dieser Welt! Die Vereinten Nationen müssen das endlich durch Bauernrechte sicherstellen.“