Doch an Cristin Claas und ihren Mitmusikern Christoph Reuter (Piano, Fender Rhodes) und Stephan Bormann (Gitarre) wirkt nichts so recht unerhört, mal ab-gesehen davon, dass sie musikalisch vor wenig Halt machen: unprätentiös, auf-geräumt, augenzwinkernd und direkt sind treffende Attribute. So sehen Men-schen aus, die sich ihrer Musik sehr bewusst sind, ohne zuviel darüber nachzu-grübeln.
Und dieses Selbstverständnis ist irgendwie immer präsent, in jedem Satz und je-dem Ton. Die Songs bekommen, was sie brauchen, nehmen oft unerwartete, weil unerwartet passende Wendungen. Meist sind es scheinbar einfache Ideen, aus denen kleine Perlen entstehen: neue Klangfarben und Schattierungen, die jedem Stück Individualität und Tiefe geben und zugleich alles zu einem geschlossenen aber facettenreichen Gesamtbild fügen. Stephan Bormann klemmt kurzerhand einen Papierschnipsel zwischen die Saiten, um den Klang seiner Gitarre völlig zu verwandeln. Christoph Reuter lässt gelegentlich das Fender Rhodes beiseite, um seinem Körper oder anderen Perkussionsinstrumenten dienliche Klänge zu entlo-cken. Und bei Cristin Claas sucht sich ein "vielen Dank" ans Publikum fließend seinen Platz in einem ihrer Melodiebögen.
Ihren musikalischen Platz haben die drei Musiker bereits gefunden, sie kennen den Boden, auf dem sie fest mit beiden Beinen stehen. Der Grundgedanke ist einfach: sich selbst zu Musik machen. "Wir sind in der DDR viel mit deutschem Liedgut in Kontakt gekommen, haben Jazz studiert, hören aber auch gern Pop und Klassik. Die Musik passiert einfach aus uns heraus." Was herauskommt, passt in keine Schublade, außer in die eigene. Und die betiteln sie, ganz einfach, mit "Songpoesie".
Wenn Cristin Claas singt, eröffnen sich kleine Welten. Die karge Einrichtung des Clubs im Souterrain atmet Leben, die knarrenden Bühnenbretter scheinen gleich in den ersten Zeilen zu verschwinden. Mit sehr wachen Augen, die unter asym-metrisch fallenden blonden Haaren hervorlugen, mustert sie das Publikum. Ein feines Lächeln umspielt ihre Züge, und gemeinsam mit Pianist Christoph Reuter und Gitarrist Stephan Bormann verwandelt sie Regungen wie dieses Lächeln in filigrane, aber raumfüllende Kompositionen. Fast greifbare Emotionen. Eine Stim-me, zwei Instrumente - mehr braucht eine Cristin Claas nicht, um ihr Publikum zu bannen.
Dabei ist es bei diesem Konzert gar nicht "ihr" Publikum, sondern der versam-melte Außendienst der Plattenfirma. Vertriebstagung in Berlin, Nachmittag, man ist Konzerte von Shakira oder Christina Aguilera gewohnt - und der Saal applau-diert begeistert und fordert lautstark mehr. Die kritischsten Trommelfelle der Branche, die Musik nicht nur nach ihrem eigenen Geschmack, sondern auch nach Verkaufbarkeit taxieren müssen, in wohlige Schwingungen versetzt durch solch feine, poetische und ungewöhnliche Klänge. Das wiegt einiges.
Die Überzeugungskraft ist kein Zufall. Seit fünf Jahren und zwei Alben touren die drei Virtuosen auf eigene Rechnung durch die Republik und füllen stetig mehr und größere Clubs, spielen Festivals mit Musikern wie Nils Landgren oder der An-haltischen Philharmonie. Mit ihrem sehr eigenen, schwer zu verortenden Stil zwi-schen Jazz und Klassik, Folkloristischem und Pop. Mit sichtbarem, fast jugendli-chem Elan, der Finesse musikalischer Erfahrung und einem augenzwinkernden Charme, der auch vielen Jazz-Granden gut zu Gesicht steht. Mit einem Selbstver-ständnis, als wäre es nie anders gewesen.
Sprung zurück, um einige Jahre. Ein Wintertag, Christoph Reuter ist in einem Tonstudio in Bernburg, ziemlich genau in der Mitte von Sachsen-Anhalt. Er hat gerade die Aufnahmen mit seiner Band beendet, und beim Einpacken der Noten spielt ihm der befreundete Tonmann beiläufig die Aufnahmen einer Sängerin vor. Reuter ist elektrisiert. Binnen weniger Tage schreibt er gleich zehn Stücke für die ihm unbekannte Stimme, sie raubt ihm die Gedanken für anderes.
Die Stimme bleibt nicht lange gesichtslos und anonym, und Cristin Claas ist völlig überrascht: Da sitzt jemand Wildfremdes an einem Flügel im Aufnahmesaal des Studios und spielt ihr diese reiche Auswahl an Musik vor. Wie damit umgehen? Die anfänglichen Zweifel verfliegen schnell, die Atmosphäre stimmt. Beiderseits ist klar: Hier sprechen zwei die gleiche musikalische Sprache.
In der regionalen Musikszene kennt man sich. Die Suche nach einem dritten Mit-streiter fällt nicht schwer. Seit 2002 komplettiert der Gitarrist Stephan Bormann das Spektrum der Band und bildet den perkussiven, groovenden Kontrapunkt für das jazzige und bisweilen sphärische Spiel von Christoph Reuter. Cristin Claas' Stimme legt sich wie ein drittes Instrument darüber. Es passt einfach. Musika-lisch wie menschlich. Jedes Jahr, regelmäßig über Ostern, wird gemeinsam an der Ostseeküste Urlaub gemacht, teilweise mit anderen befreundeten Musikern oder auch Familienanschluss. Die Band wächst mehr und mehr zusammen.
Zwei Alben entstehen in Eigenregie. Komponiert wird gemeinsam, ohne dass das ein Dogma wäre. Wer mit der Idee ankommt, ist einerlei, gespielt wird, was allen zusagt. Bei drei Musikern hat jeder seinen eigenen, markanten Anteil am Gan-zen. Es gibt kein weiteres Konzept, es fließt einfach. Die drei spielen sich die Tö-ne wie Bälle zu, detailverliebt und versponnen, faszinierend anzuhören und zu betrachten. Eine Einheit, in der sich jedes Instrument auslebt, ohne den Song selbst aus den Augen zu verlieren. Der steht im Fokus ihrer eigenwilligen Musik. Und immer wieder blitzen sie auf, die kleinen, schillernden Feinheiten.
Die Texte schreibt meist Cristin Claas. Irgendwann hat sie gemerkt, dass eigene Zeilen und Geschichten ihrer Stimme eine größere Tiefe verleihen und die ohne-hin großen Möglichkeiten noch erweitern. Auf "In The Shadow Of Your Words" verbindet sie spielerisch und scheinbar mühelos ein warmes, jazziges Vibrato mit kühler Eleganz und zarter, ironischer Leichtigkeit. Der dritte und ebenfalls weit-gehend eigenverantwortlich produzierte Tonträger ist das bisher reifste Werk der Band. Jedes Stück ist so ausgewogen und gleichzeitig heterogen, wie es drei gleichberechtigte aber völlig unterschiedliche Musiker eben hervorbringen kön-nen.
Am 15. Juni erscheint "In The Shadow Of Your Words" bei SONY BMG. Musik, die in keine Marketingschublade passt, von Musikern, die ihren ureigenen Weg gehen und nicht auf vermeintliche Märkte zielen. Daraus spricht Überzeugung. Und Be-geisterung, die sicherlich bald weit über die Vertriebsabteilung hinausgeht.
Für Cristin Claas ist Singen lange etwas sehr Privates, selbst der Familienkreis ist bis weit in die Jugend hinein zu öffentlich. Dabei kommt sie aus einer musika-lischen Familie: Der Vater ist auf verschiedenen Instrumenten versiert, der Groß-vater war gar Opernsänger. Die Entscheidung, Jazzgesang zu studieren, kommt mit Mitte 20 erst spät. "Das war gut so", sagt sie, "zu diesem Zeitpunkt wusste ich, was ich will." Von 2002 bis 2005 studiert sie in Weimar, seit 2005 in Leipzig. Cristin Claas konzentriert sich voll und ganz auf ihre eigene Musik. "Ich leiste mir den Luxus, nur mein eigenes Projekt zu verfolgen. Und das ist ein herrliches Le-ben."
Christoph Reuter wollte schon immer Pianist werden, seit er als Kind seinen Vater regelmäßig im Nebenzimmer spielen hörte. Einen der limitierten Plätze in der Musikschule bekommt er nur per Zufall, da eine Freundin seiner Schwester ausfällt. Jahre später an der Hochschule nehmen sie ihn sofort: Er studiert Jazz-piano in Leipzig und Berlin, 2007 macht er sein Konzertexamen bei Prof. Richie Beirach. Christoph Reuter ist umtriebig, spielt in verschiedenen Jazz-Projekten, schreibt für Theater, Film und Orchester. Der Schwerpunkt ist aber von vornher-ein Cristin Claas. "Cristins Stimme zu hören, das war wie ein musikalisches Erwe-ckungserlebnis: Da war klar, was ich machen will."
In Stephan Bormanns Lebenslauf markiert die Gitarre einen wichtigen Wende-punkt. Eigentlich ist ein technisches Studium die Perspektive. Mit dieser Aussicht lernt er, noch in der DDR, Gießerei-Facharbeiter - die falsche Richtung: "Mein Musikstudium in Dresden war da der einzig mögliche Ausweg." Ein erfolgreicher: Er spielt mit eigenen Bands, als Sideman und in diversen Musicalproduktionen, veröffentlicht eigene Kompositionen im AMA Verlag und erhält Lehraufträge an den Hochschulen in Dresden, Magdeburg und Leipzig. Seit 2002 gehört seine Aufmerksamkeit Cristin Claas.