- Vernissage des Künstlers Helmut Braig findet am 12. Mai, 17 Uhr in Birkenried statt
- "Die Erotik ist der Ursprung des Lebens, der Krieg dessen Ende" (Helmut Braig)
Mit der Ausstellungseröffnung in den Galerien von Birkenried zeigt das Kulturgewächshaus Birkenried mit über 100 Zeichnungen und Bildern eine letzte große Ausstellung des Giengener Künstlers Helmut Braig der Jahre 1946 bis 2012. Im vergangenen März feierte das heute noch aktive Multitalent seinen 90. Geburtstag. Den Kopf noch voller Ziele philosophierte er dabei: "Weil das andere Ufer langsam näher rückt, habe ich mich entschlossen, etwas langsamer zu schwimmen, damit es nicht so schnell näher kommt."
Braigs fotografisches Werk
Bisher kaum bekannt sind künstlerische Arbeiten von Helmut Braig, die seine fotografischen Werke zeigen. Er hat sein Schaffen nicht nur mit der Kamera dokumentiert, sondern weitere künstlerische Ideen und Einfälle mit Einsatz der Fotokamera gestaltet. Ausgesuchte Bilder und Grafiken wurden dabei auf menschliche Körper projiziert, hiervon wiederum neue Aufnahmen
gemacht. Diese Fotos zeigen weitere, überraschende Facetten aus dem unendlich vielfältigen Schaffen des Multikünstlers. Selbst die Negative, bzw. Diapositive der dabei entstandenen Aufnahmen wurden von ihm teilweise noch manuell nachbearbeitet. Eine repräsentative Auswahl dieser Arbeiten werden in Birkenried 2013 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Prägung durch den Russlandfeldzug
Es ist nicht schwer zu erraten, was den jungen Braig nach ersten Studienjahren prägte - der zweite Weltkrieg. Frankreich, Polen, Russland, Dänemark und zuletzt im berüchtigten Gefangenenlager Sinzig am Rhein: "Uns faulte die Uniform vom Leib, da wir bei Regen und Sonnenschein ohne jeglichen Schutz über Wochen zusammengepfercht waren und vor lauter Hunger Graswurzeln fraßen, um einfach zu überleben". Nach diesen Erlebnissen mag es nicht verwundern, dass der endlich Heimgekehrte zum Weihnachtsfest 1946 eine Grippe schnitzte.
Kommerzielle Arbeit und künstlerisches Schaffen
Während er als Chefdesigner für den weltbekannten Plüschtierhersteller Steiff in Giengen Spiel- und Präsentationslandschaften weltweit bis hin zur Weltausstellung in Tokio für Furore sorgten, die Schleich-Schlümpfe von ihm das erfolgreiche Umfeld verpasst bekamen, lebte er in seinem Giengener Atelier seine persönlichen Empfindungen, Erfahrungen, Traumata und erotischen Obsessionen aus. Der Krieg endete bei ihm in dem Puppenfilm "Ameisenkrieg" (1963), der als erster Puppenfilm in realer Bewegung und nicht in Stop-Motion gedreht wurde. Weltweite Preise (Tokio, Johannesburg, Schweiz und Frankreich) sowie der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde waren erste internationale Anerkennungen für den ambivalenten Menschen Braig, der sein Leben ernst nahm, zu genießen verstand und mit seiner Meinung nicht geizte.
Surrealistische erotische Szenen
Einen großen Teil der Werke nehmen surrealistische erotische Szenen ein, die in der Birkenrieder Ausstellung immer wieder gegen die Braigschen Kriegsbilder gesetzt sind. O-Ton Braig: "Bei erotischen Darstellungen verschlägt es Publikum und Politikern immer wieder die Sprache, wobei letztere bei der Genehmigung von Wehretats meist skrupellos die Hände hochhalten. Dabei ist die Erotik der Ursprung des Lebens, der Krieg dessen Ende. Die verbrannte Erde, welche von der deutschen Wehrmacht beim Rückzug in Russland zurückgelassen wurde, wo ich selbst Augenzeuge war, lässt mich nicht ruhen und immer wieder Bilder von diesen unmenschlichen Ereignissen malen."
Vieles kommt surrealistisch daher, gelebte Wirklichkeiten in unwirklich wirkende Bildszenen umgesetzt, dadaistische Anspielungen, Grosz'sche Aphorismen, Dalis Verzerrungen von Raum und Zeit. Egal ob mit Bildern, Zeichnungen, in Beton gegossenen Skulpturen oder surrealistischen Installationen. Wälder von Stelen überraschen in seinem Garten und stellen den Besucher vor das Rätsel, ob die Wurzeln eher bei den Azteken oder den birmanischen Tempelstatuen zu suchen sind. Braigs Fantasie kennt keine Grenzen und vermittelt neben all den ernsten Themen auch eine gute Portion von Schalk, wenn sich in den runden und viereckigen Köpfen und Symbolen einbetonierte Benzinkanister, Milchflaschen und ausrangierte Pestizidtonnen verbergen.
Braigs Standpunkt zur Erotik
Nicht erst in neuerer Zeit ist Helmut Braig ein Künstler, der Sexualität, Erotik und Weiblichkeit zu seinem künstlerischen Programm erhoben hat. Sexuelle Anspielungen sind mehr oder weniger deutlich in fast all seinen Werken zu finden. Puritanisch gesinnte Menschen mögen vielleicht einen Teil seiner Bilder als pornografisch ablehnen. Hier würde Braig aber energisch kontern: " Die ungeheuerlichsten sexuellen Entartungen finden in Kriegen statt. Von Bombensplittern abgerissene Busen, von Granatsplittern zerfetzte Penisse, millionenfache Vergewaltigungen. Was ist denn noch perverser?"
Für Braig sind Sex und Erotik nicht nur Lebenselexier und Inhalt menschlicher Freude sondern der unendliche Ursprung des Lebens überhaupt, ein Thema, über das in religiösen und bürgerlichen Kreisen bis weit über die Mitte des letzten Jahrhunderts – wenn überhaupt - nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde. Dazu Braig: "Ich habe immer versucht, die Erotik zu kultivieren. Aus dem muffigen, puritanischen, dunklen Keller zu befreien. Das Geschenk der Götter dort hinzustellen, wo es hingehört. In das Licht der Normalität. Auf vielen Ebenen wird Sexualität und Erotik immer noch so behandelt wie Kriminalität. Beide Elemente sind wie unsaubere Wäsche zu entsorgen."
Sorgen Braigs um seine "Denkmale"
Mit seinem "Waldhaus", mit "Braighausen" (www.braighausen.de) und dem Skulpturenpark an der Giengener Stadtmauer (http://www.giengen.de/2427_DEU_WWW.php) hat er opulente Gesamtwerke geschaffen, die ihm allerdings auch Sorgen bereiten: "Wer hält das später mal instand – das wird sicher irgendwann aus Geldmangel und mangelnder Sachkenntnis verfallen".
Eingebettet in das verträumte Ambiente des Kulturgewächshaus' Birkenried entführt die Ausstellung Besucher wie Kunstsammler in eine Welt jenseits des aktuellen Kunstbetriebs. Braig passt in keine Schublade, er arbeitete immer aus seinen tiefen Emotionen heraus. Was zu sehen ist, berührt einen ebenso tief.
Weitere Informationen über www.birkenried.de oder info@birkenried.de.
Das Kulturgewächshaus Birkenried liegt an der B16 zwischen Günzburg und Gundelfingen bei der 5-köpfigen Giraffe Monika