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Anton Voyls Fortgang

Henri Chopin, Guy de Cointet, Channa Horwitz / 16. Mai bis 30. Juni 2013

(lifePR) (Düsseldorf, )
Kunst ganz kryptisch, Chaos und Ordnung, Variation und Transformation, Zahl und Rhythmus, Typo und Symbol wird Bild. Nicht figurativ, ganz strikt und radikal, doch sinnlich, dicht, was uns zur Anschauung zwingt. Ganz frisch wird Kommunikation wo man was vom ABC auslässt. Unmöglich wirkt das und plötzlich ist man wach im Kopf.

Der Verzicht auf den Buchstaben E, so wird schon in diesen wenigen Sätzen deutlich, reduziert zwar die gewohnten Ausdrucksmöglichkeiten, lässt aber gleichzeitig eine neue Sprache entstehen, die andere Bilder und Klänge generiert. 1969 verfasste der französische Schriftsteller George Perec den herausragenden Roman La Disparition, (im Deutschen Anton Voyls Fortgang), in dem der Vokal E kein einziges Mal auftaucht. "Der Roman zeigt, was mit Sprache möglich ist, wenn nicht mehr der Autor erzählt, sondern durch das Korsett einer strengen Regel die Sprache selbst. Ausgehend vom verfügbaren Wortmaterial hat sich die Geschichte, haben sich die Personen und die Handlung zu entwickeln. Zwischen Revolutionskomödie, Rätseln, die auf Rätsel folgen, und turbulenter Kriminalparodie schimmern Gewaltexzesse und der nackte Terror hervor. Doch der Terror, der hier herrscht, hat Methode, und zwar linguistische Methode, indem er durch Sprachmanipulation entsteht. Und so manifestiert sich das allmähliche, fast ausnahmslos grausame Verschwinden einer ganzen Sippe im verschwundenen Buchstaben. Anton Voyls Fortgang, so heißt es weiter auf dem Klappentext der deutschen Übersetzung von Eugen Helmlé, "ist ein Abenteuer, das kaum seinesgleichen kennt". Im Einklang mit den Zielen der Gruppe OuLiPo ("Werkstatt für potentielle Literatur") suchte Perec die Möglichkeiten der Sprache durch selbst auferlegte formale Zwänge zu erweitern - eine Intention, die auch für das Werk von Henri Chopin, Guy de Cointet und Channa Horwitz verbindend ist. Alle drei Künstler begannen ihre Arbeiten in den 1960er Jahren zu entwickeln, einer Zeit, in der die konzeptuell-systematische Auseinandersetzung mit Grundparametern unserer Erfahrung im Vordergrund stand. Die Öffnung von Sprache und Kommunikation, die Durchmischung verschiedener Medien wie Bild, Sprache, Musik und Performance, die Strukturierung von Zeit und Raum, die Entwicklung künstlerischer Ordnungssysteme und eigener Grammatiken interpretieren Chopin, de Cointet und Horwitz auf ihre je spezifische Weise.

Die kalifornische Künstlerin Channa Horwitz (*1932) arbeitet seit Anfang der 1960er Jahre an einem mathematisch basierten zeichnerischen System, das es ihr erlaubt, Bewegung und Zeit zu visualisieren. Fast alle ihrer schwarz-weißen und farbigen Arbeiten beruhen auf einem Gitter aus horizontalen und vertikalen Linien, auf geometrischen Grundformen sowie der Zahlenfolge eins bis acht, die sie in immer neuen Variationen durchdekliniert: Ein Algorithmus, der sich zu Strukturen von schwer entschlüsselbarer Komplexität verdichten kann. Obwohl die Strenge ihres Regelwerks beinahe hermetisch wirkt, entfalten die feinen Zeichnungen einen eigentümlichen visuellen Reiz. Er entsteht ebenso aus der räumlichen Sogwirkung vieler Blätter, deren Linien auf Transparentpapier aufgetragen fast schwebend erscheinen, wie auch aus der sichtbaren Spannung zwischen programmiertem Ablauf und gezeichneter Linie, zwischen Regelwerk und Freiheit innerhalb eines komplexen künstlerischen Systems, das Horwitz selbst als "visuelle Philosophie" bezeichnet. Seit den späten 1960er Jahren nutzt Channa Horwitz die Notationen, die sie im Sinne von Klang-Bewegung-Aufzeichnung Sonakinatography nennt, auch als choreographisches Ausgangsmaterial für Performances. Ihre Arbeiten wurzeln ebenso in minimalistischen Verfahren der Strukturierung von Zeit und Raum wie auch in Methoden des Happenings, in dem sich die Funktion der Notation von passiver Aufzeichnung zu aktiver Handlungsanweisung verschob. Channa Horwitz studierte am renommierten California Institute of the Arts. Obwohl seit Mitte der 1960er Jahre in internationalen Ausstellungen vertreten, entwickelte sie ihr Werk in einem von männlichen Kollegen dominierten Umfeld zurückgezogen.

Von den späten 1960er Jahren bis zu seinem frühen Tod war der in Frankreich geborene Konzeptkünstler Guy de Cointets (1934-1983), der den Spitznamen "Duchamp Los Angeles'" trug, ein einflussreiches Mitglied der kalifornischen Kunstszene. Sowohl seine Performances als auch seine Bücher und Zeichnungen widmen sich den Grenzen von Sprache und ihrer Möglichkeiten. Die eleganten, harmonischen Grafiken, die er in den drei Jahrzehnten seines asketischen Arbeitens schuf, lesen sich heute wie Vorwegnahmen der nahenden Digitalisierung. De Cointet widmete sich vor allem alltäglichen Begebenheiten und Abenteuergeschichten, die er unter anderem in Spiegelschrift und Militärcodes übersetzte. Dabei ging es ihm nicht um die Lesbarkeit der Arbeiten, deren Entzifferung durchaus möglich ist. Vielmehr lag ihm, ganz in Verwandtschaft zum damals aufkommenden Strukturalismus, an der Übertragung von Sinn in visuelle Zeichen, die Bild werden. Durch die Dekonstruktion von Sprache, legte er gleichermaßen die Gesetze offen, denen sie gehorcht. Cointet liebte das Spiel mit Identitäten und arbeitete unter verschiedenen Heteronymen. So wandte er seine Faszination für Codes und Rätsel auch auf seine eigene Künstlerpersönlichkeit an.

Auch dem Werk Henri Chopins (1922-2008), einer Schlüsselfigur der visuellen Poesie und Sound Poetry, wird erst in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet. Vor allem in seinen Schreibmaschinengedichten lotet er das Verhältnis von Chaos und Ordnung aus. Chopin zerlegt Wörter in ihre einzelnen Buchstaben, greift ihre Ornamentik auf und verdichtet sie zu einem graphischen Bild. Damit konfrontiert er die Bedeutung der Sprache mit der Möglichkeit einer unendlichen Transformation ihrer Zeichen. Papier und Schreibmaschine gehen hier eine ungewöhnliche Beziehung ein, die in Überlagerungen, Kreuzungen, Umkehrungen und Erweiterungen der Schriftelemente mündet. Durch farbliche Absetzung und die Methode des Übertippens entstehen Schriftbilder mit räumlicher Tiefenstruktur die von Präzision, Feinsinn und Humor zeugen. Henri Chopin prägte nicht nur als Künstler und Klangpoet die zeitgenössische Poesie entscheidend mit, sondern auch als Publizist. In seinen experimentellen Zeitschriften Cinquieme Saison (1959-1963) und Revue OU (1964 - 1974) veröffentlichte er neben seinen eigenen Arbeiten auch Werke anderer Künstler wie unter anderem von Raoul Hausmann, William Burroughs oder François Dufrêne.

Für alle drei Künstler ist dies die erste institutionelle Ausstellung ihres zeichnerischen OEuvres in Deutschland. Mit einer Auswahl von jeweils rund 20 Werken aus den 1960er bis 1980er Jahren richtet die Kunsthalle den Fokus auf Arbeiten auf Papier, die einen repräsentativen Einblick in das Schaffen der Künstler geben.

Kuratiert von Elodie Evers und Magdalena Holzhey

Zur Ausstellung erscheint eine Publikation bei Spector Books mit einer Einleitung von Elodie Evers und Magdalena Holzhey, einem Essay von Gregor Stemmrich sowie einführenden Texten zu den drei Künstlern von Marie de Brugerolle, Luca Cerizza und Chris Kraus.

Im Rahmen der Eröffnung finden am 15. Mai 2013 die Performances "Variations on Sonakinatography" von Channa Horwitz und "Five Sisters" von Guy de Cointet statt.

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