Angesichts der nicht "explizit von der Versicherungsbranche verursachten" Zinsentwicklung an den Kapitalmärkten, ist dieser Schritt in den Augen von Gerd Güssler, ausgewiesener Marktkenner und Geschäftsführer des Freiburger Informationsdienstleisters KVpro.de, "ein kluger, vorausschauender Schritt in die richtige Richtung, obwohl die Unternehmen den garantierten Rechnungszinses von 3,5% in den letzten Jahre mehrheitlich sogar übertroffen haben und eine Absenkung rückblickend gesehen nicht erforderlich wäre". Michael Baulig, Vorstandsmitglied der uniVersa Krankenversicherung a. G., bezeichnet diese Absenkung als einen "Akt der Vernunft und Voraussicht". Dennoch, so auch die Einschätzung von Dr. Hans Olav Herøy, Vorstandsmitglied der HUK-Coburg Versicherungsgruppe am Rande eines KVpro.de-Branchendialogs in Berlin, "werde es Gesellschaften geben, die diesen Schritt erst später vollziehen und sich dadurch einen kurzfristigen Wettbewerbsvorteil verschaffen dürften".
Hintergrund und Fakten
1.) Garantierter Rechnungszins / § 4 Kalkulationsverordnung
Die Alterungsrückstellungen, sprich die vorausgezahlten Krankheitskosten, werden am Kapitalmarkt angelegt und verzinst. Die Zinseinnahmen aus der Alterungsrückstellung sind wie gezahlte Beiträge zu betrachten und helfen u. U., notwendige Beitragsanpassungen (BAP) aufgrund der allgemeinen Kostensteigerung, höhere Kosten für medizinische Versorgung oder Beitragsanpassungen die durch Inflation erforderlich wären, abzufedern.
Die Kalkulation der PKV-Beiträge ist in der Kalkulationsverordnung geregelt. In § 4 der KalV heißt es, dass der einkalkulierte Rechnungszins 3,5% nicht übersteigen darf. Es darf also kein Unternehmen von vorne herein mehr als 3,5% Zins an Einnahmen, resultierend aus der Anlage der Altersrückstellungs-Gelder, einkalkulieren bzw. einpreisen, um so die zu zahlenden Beiträge der Versicherten zu reduzieren und sich möglicherweise Vorteile gegenüber anderen Versicherungsgesellschaften zu verschaffen. Oder anders ausgedrückt: Wer mehr Zinseinnahmen einkalkuliert, braucht entsprechend weniger Beitrag vom Verbraucher. Zinseinnahmen sind entsprechend wie Beitrag zu verstehen.
2.) 90% des "Überzins" als Direktgutschrift / § 12a VAG Alterungsrückstellung
Dem PKV-Kunden stehen zusätzlich die über den garantierten Zins von 3,5% hinausgehend erwirtschafteten Zinserträge zu 90% zu, die der Alterungsrückstellung gutgeschrieben werden. Dieser Zinsanteil der 3,5% übersteigt wird "Überzins" genannt. Der "Überzins" beeinflusst somit den Tarifbeitrag des Verbrauchers. Je mehr Zins insgesamt erwirtschaftet werden kann, desto geringer der erforderliche Tarifbeitrag. Eine Absenkung des Rechnungszinses erfordert natürlich auf der anderen Seite einen höheren Tarifbeitrag. Die erforderlichen Mittel müssen entweder aus Beitrag oder Zinsen erwirtschaftet werden. (Siehe Grafik)
3.) Absenkung des Rechnungszinses nur für das Neugeschäft ab 21.12.2012
Nur für PKV-Käufer von neuen, ab dem 21.12.2012 geltenden Unisextarifen, gilt der abgesenkte Rechnungszins von 2,75%. Die Absenkung ist eine Empfehlung, sie ist freiwillig, kein Muss. Jedes Unternehmen entscheidet im Rahmen seiner unternehmerischen Sorgfaltspflicht selbst, ob es der DAV-Empfehlung folgt oder nicht.
Bei Bestandskunden mit Alt- bzw. Bisex-Verträgen bleibt alles wie es war, d. h. 3,5% Rechnungszins, garantierte Direktgutschrift auf die Alterungsrückstellung zuzüglich 90% des „Überzinses“.
Mehr Zinseinnahmen aus den Kapitalanlagen erfordern weniger Beitrag vom Kunden. Umgekehrt gilt auch, weniger Zinseinnahmen erfordern ggf. ein mehr an Beitrag des Kunden.
So funktioniert der Überzins. Beispiel: / Altversicherte vor dem 20.12.2012 Bisex / Neuversicherte ab dem 21.12.2012 Unisex
1.) erwirtschafteter Zins / 4% / 4%
2.) garantierter Rechnungszins als Gutschrift auf die Alterungsrückstellung / 3,5% / 2,75%
3.) Überzins (Differenz zwischen Pos 1 und Pos 2) / 0,5% / 1,25%
4.) Aus dem Überzins (Pos 3) gehen 90% zusätzlich in die Alterungsrückstellung / 0,45 / 1,225%
5.) Finale Zinsgutschrift (Pos 2 und Pos 4) / 3,95% / 3,875%
- / Bisex / Unisex
In diesem Beispiel hätte der Unisex-Kunde final eine um 0,075% geringere Zinsgutschrift als der Bestandsversicherte Bisex-Kunde erhalten.
4.) Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht!
Selbst wenn der Rechnungszins theoretisch auf „Null“ gesetzt werden würde, hätte der Kunde bei einem Zinsertrag von 3,5% trotzdem 3,15% als Gutschrift erhalten. Nämlich 90% aus dem „Überzins“ (3,5% x 0,9= 3,15%). Natürlich müsste dafür der Beitrag des Kunden in diesem Fall vorab steigen, da der Versicherer keine Zinseinnahmen mehr in den Tarifbeitrag einkalkulieren dürfte.
5.) Nettoverzinsung im Fünf-Jahres-Zeitraum
Betrachtet man die Nettoverzinsung über die letzten fünf Jahre (2007 bis 2011), schlugen sich diese Versicherer am besten: Spitzenreiter war die Debeka mit 5,05%, gefolgt von der DEVK mit 4,72%, der PAX mit 4,38% und dem Deutschen Ring mit 4,36%. Zum Vergleich: Der niedrigste Wert lag bei 3,52%.
6.) Nettoverzinsung im Jahr 2011
Das beste Ergebnis erzielte erneut der Klassenprimus Debeka mit 4,76%, gefolgt von der Concordia mit 4,50%, Allianz mit 4,30% und der DEVK mit 4,26%. HUK und Württembergische lagen knapp unter 3,5%. LKH und Münchener Verein bei 3,0%. 2,40% erreicht die Mannheimer, die zwischenzeitlich mit der Continental (3,90%) fusioniert ist.
7.) Was passiert wenn der garantierte Zins nicht erreicht werden kann?
Kann der garantierte Rechnungszins nicht erwirtschaftet werden, so muss das Unternehmen die nicht erwirtschafteten Zinsanteile (bis zur Zinsgarantie) aus Eigenmitteln selbst aufbringen. Das bedeutet, die Differenz zum garantierten Zins muss aus dem Unternehmensgewinn oder dem Eigenkapital in die Alterungsrückstellung des Verbrauchers eingestellt werden. Anders ausgedrückt: Wird der garantierte Zins nicht am Kapitalmarkt erwirtschaftet, so muss das Unternehmen den Zins aus eigener Tasche an den Verbraucher bezahlen, da es sich um eine Garantiezusage handelt, die in jedem Fall erfüllt werden muss, völlig unabhängig davon welcher Zins tatsächlich erwirtschaftet wurde.
Fazit:
Die Absenkung des Rechnungszinses auf 2,75% ist lediglich eine Handlungsempfehlung für die Versicherungsunternehmen. Sowohl dies, als auch die regelmäßigen Überprüfungen und Analysen der Kapitalanlagesituation durch die BaFin, wird nicht dafür sorgen, dass alle Unternehmen diese Absenkung aktuell umsetzen. Unternehmen, die nicht absenken, werden versuchen durch auf den ersten Blick günstigere Beiträge, Wettbewerbsvorteile zu erzielen (vor allem in Vergleichsprogrammen, die ausschließlich Beitragshöhen ausweisen) umso Marktanteile hinzugewinnen zu können. Durch die Absenkung des Rechnungszinses kommt es nicht zu einer Absenkung der Alterungsrückstellungen. Dies wird ja durch die neue Beitragskalkulation für Unisex verhindert. Die Verzinsung der Alterungsrückstellungen findet dadurch sogar mit einem höheren Anlagebetrag statt. Im Ergebnis werden die Alterungsrückstellungen in Euro sogar höher. Nur der Euroanteil aus der Verzinsung der Alterungsrückstellungen wird bei einem Rechnungszins von 2,75% niedriger sein als jetzt. Es verlagert sich ein Teil des garantierten Rechnungszinses auf den erfolgsabhängigen „Überzins“ – siehe Tabelle „So funktioniert der Überzins“.