„Es zeugt von einem besonderen Selbstbewusstsein, diese Vergangenheit zum Forschungsgegenstand zu machen und zu thematisieren“, hob Stefan Grüttner, Hessischer Minister für Soziales und Integration, in seiner Begrüßungsrede zur 60-Jahr-Feier hervor. Dass sich die verfasste Ärzteschaft eine Kultur der Erinnerung auf die Fahnen geschrieben habe, bezeichnete Grüttner als „ tollen Ansatz.“ Für die gute Zusammenarbeit zwischen dem Land Hessen und der Landesärztekammer nannte er drei Beispiele: die vorbildliche Kooperation beim Aufbau des Krebsregisters, die Übereinstimmung in ethischen Fragen – u.a. vertreten Landesregierung und Landesärztekammer dieselbe Position bei dem Thema Sterbebegleitung– und das Zusammenwirken angesichts der Herausforderungen der Flüchtlingspolitik. Grüttner bedankte sich für die Hilfestellung bei der Versorgung der Flüchtlinge: „Die Kammer hat gedrängelt und die Politik gedrängt.“ Auch bei der Integration ärztlich ausgebildeter Flüchtlinge in das Gesundheitswesen stehe die ärztliche Selbstverwaltung dem Land als kompetenter und zuverlässiger Partner zur Seite, sagte der hessische Minister für Soziales und Integration unter Hinweis u.a. auf die Hospitationsdatenbank der Landesärztekammer. Die Aufgabe der Kammer, einerseits für Ordnung im Beruf sorgen zu müssen, die Politik in Fragen der Gesundheitspolitik fachlich zu beraten und zugleich die Interessen des Berufsstandes zu vertreten, erfordere „politisches Geschick“. Grüttner rief die hessischen Ärzte dazu auf, sich in der Kammer engagieren: „Nur so kann der Grundgedanke der Selbstverwaltung aufrecht erhalten werden und die Interessenvertretung funktionieren.“ Zugleich sprach sich der Minister für den Erhalt des Arztberufs als freien Beruf aus.
Auf die Bedeutung der Freiberuflichkeit ging auch der Medizinethiker Prof. Dr. med. Giovanni Maio in seinem Vortrag ein. So sei der Arztberuf von Natur aus ein freier Beruf und kein Gewerbe. Er stehe vollständig im Dienst der Patienten, daher sei die Freiberuflichkeit keineswegs als Vorrecht zu begreifen, sondern als eine an Selbstregulierung gebundene Verpflichtung. Der freie Beruf zeichne sich aus durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis: „Ärztliches Können heißt zu wissen, was zu tun ist“, erklärte Maio. Dies sei nicht politisch regulierbar, daher bedürfe der freie Beruf stets der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit. Nur so könne er sich der Gemeinwohlorientierung widmen und nicht der Gewinnorientierung. In diesem Zusammenhang kritisierte der Medizinethiker insbesondere die wachsende Ökonomisierung des Arztberufs. Zwar sei der wirtschaftliche Erfolg ein durchaus legitimes Anliegen der Ärzteschaft, jedoch müsse sich dieser sich an einer anderen Logik orientieren als die Industrie. „Der ärztliche Erfolg wird an Werten wie Sorgfalt, Geduld, Reflexivität und Empathie gemessen. Um diese Werte im Sinne der Patienten zu bewahren, braucht die Ärzteschaft eine Geschlossenheit. Diese herzustellen, muss sich die Kammer zur Aufgabe machen“, resümierte Maio. Es ist vor allem unsere Pflicht, diese Werte an junge Ärzte weiterzugeben und ihnen ein Vorbild zu sein“, schloss sich Dr. von Knoblauch zu Hatzbach Maios Worten in der anschließenden Podiumsdiskussion an. „Ärzte gemeinsam sind stark“, fügte Dr. med. Alexander Markoviæ, Ärztlicher Geschäftsführer der Landesärztekammer hinzu.“ Das müssen wir uns jedoch immer wieder vor Augen führen.“
Das Nachmittagsprogramm widmete sich aktuellen gesundheitspolitischen Debatten. PD Dr. med. Stefan Sahm stellte die Initiative „choosing wisely“ vor, die sich dem Thema der Ökonomisierung in der Medizin aus einer anderen Perspektive nähert. Er thematisierte das „reale Phänomen“ der Überversorgung und betonte in diesem Zusammenhang ebenfalls die Bedeutung des freien Berufs. Dieser ermögliche den Ärzten, individuell und situativ zu entschieden, ob und welche Behandlungen sinnvoll seien. So ließen sich unnötige Behandlungen vermeiden und dadurch Ressourcen sparen, die an anderer Stelle genutzt werden könnten. In einem anschaulichen Vortrag präsentierte PD Dr. Carola Seifart das auf Initiative des hessischen Ärztekammerpräsidenten ins Leben gerufene Modellprojekt „Ambulante Ethikberatung“, einer bisher bundesweit einzigartigen Initiative zur Beratung ethischer Konflikte im ambulanten Bereich.
Ein weiterer Fokus des Nachmittagsprogramms galt dem ärztlichen Nachwuchs: Zunächst referierte Nina Walter, Leiterin Stabsstelle Qualitätssicherung der Landesärztekammer Hessen, zum Thema Weiterbildung in Hessen. Die Datenlage zu deren Ruf sei bisher wenig aussagekräftig gewesen, so Walter. Daher führe die Ärztekammer seit 2009 regelmäßig Befragungen durch und habe ein Weiterbildungsregister etabliert, das den Zugang zu Ärzten in Weiterbildung ermöglicht. Aus den Ergebnissen der Befragungen hätten sich bereits Maßnahmen zur Optimierung der Weiterbildungsbedingungen in Hessen ableiten lassen. Obwohl ein Pauschalurteil nicht möglich sei, hätten sich seit Einführung des Registers Ruf und Qualität der Weiterbildung gebessert, fasste Walter zusammen.
Abschließend warb Michael Buff, Facharzt für Allgemeinmedizin, für die Ausübung des Arztberufs in ländlichen Gegenden. „Der Beruf des Hausarztes ist super!“, begann Buff seinen lockeren Vortrag, in dem er den Weiterbildungsverbund im Vogelsbergkreis vorstellte. In Zusammenarbeit mit der Universität Marburg wolle man so Medizinstudenten und Ärzte in Weiterbildung für eine Allgemeinarzttätigkeit auf dem Land begeistern. Dabei würden die Interessenten von Ärzteschaft und Politik unterstützt, beispielsweise durch Hilfe bei der Suche nach KITA- oder Schulplätzen sowie der Wohnungssuche. Dass der Funke bereits übergesprungen ist, zeigte sich in den anschließenden Worten zweier Nachwuchsärztinnen aus der Region, die vor allem im persönlichen Kontakt mit Patienten eine Bereicherung der Tätigkeit auf dem Land sehen.