Widersprüchliche Börsenregeln
Je komplexer und gleichzeitig bedeutender ein Sachverhalt ist, desto ausgeprägter ist die Neigung zur Vereinfachung. Was das Wetter anbelangt, hat dies zur Entstehung der sogenannten Bauernregeln geführt. So widersprüchlich diese im Einzelnen sein mögen, besitzen sie doch immer einen wahren Kern. Ähnlich verhält es sich mit den Börsenweisheiten. Den Ratschlag "buy low, sell high"(Niedrig kaufen, hoch verkaufen!) würden wohl die meisten Anleger für vernünftig halten. Allein mit der Umsetzung hapert es, wie man regelmäßig an den prozyklischen Mittelzu- und -abflüssen bei Aktienfonds sehen kann. Außerdem: Was heißt schon "hoch" und gibt es nicht auch die Regel "buy the high" (Kaufe, wenn ein neues Hoch markiert wird!) oder "the trend is your friend", die genau das Gegenteil raten? Was also tun?
Die ohnehin schwierige Entscheidungssituation wird im Niedrigzinsumfeld angesichts des Mangels an Rendite versprechenden Anlagealternativen noch verschärft. Aktien werden inzwischen offensichtlich nicht mehr aus Überzeugung gekauft. Denn der Anteil an institutionellen Investoren, der Aktien für überbewertet hält, ist jüngsten Umfragen zufolge so hoch wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Indessen haben in den USA die Nettomittelzuflüsse in international investierende Aktienfonds bereits alte zyklische Höchstwerte erreicht. Wo es Käufer gibt, muss es allerdings auch Verkäufer geben. Letztere sind zum einen im Lager der sogenannten "Insider" zu finden. Zum anderen haben in den letzten Monaten sehr viele Private Equity- und Venture Capital-Unternehmen ihre Beteiligungen an der Börse versilbert. Beides sind Zeichen dafür, dass an den Märkten derzeit Preise zu erzielen sind, die zumindest aus Sicht der Großinvestoren den Wert der Unternehmen übersteigen. In der Vergangenheit stellte dies ein ernst zu nehmendes Warnsignal dar.
Kaum noch Argumente für steigende Kurse
Welche der Anlegergruppen Recht behält, die Trendfolger oder die Antizykliker, wird sich erst im Nachhinein zeigen. Allerdings wird die Liste der Argumente, die für steigende Aktiennotierungen spricht, immer kürzer. Die Konjunkturerholung ist abgefeiert, die Unternehmensgewinne halten nicht das, was die Frühindikatoren versprechen, Aktien sind inzwischen teuer und die USNotenbank fährt ihr Kaufprogramm zurück. Bliebe eigentlich nur der vielzitierte Anlagenotstand. Dass dies aber kein belastbares Kaufargument für Aktien ist, haben nicht zuletzt die jüngsten, zeitweilig heftigen Kursreaktionen im Zuge der Turbulenzen in den Schwellenländern und der Unruhen in der Ukraine gezeigt.