Fast zwei Monate ist es inzwischen her, dass die Europäische Zentralbank ein erweitertes Ankaufprogramm angekündigt hat. Was vor wenigen Jahren insbesondere aus deutscher Sicht unmöglich erschien, ist nun Realität. Seit Anfang der Woche kauft die EZB im großen Stil Anleihen auf. Doch welche Zielsetzung verfolgen die Frankfurter Notenbanker mit den im Fachjargon Quantitative Easing (QE) genannten Anleihekäufen und wirken diese tatsächlich wie erhofft positiv auf Inflation und Wachstum?
Die Ankäufe von 60 Mrd. Euro pro Monat erfolgen bis mindestens September 2016, in jedem Fall aber so lange, bis eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung in der Eurozone erkennbar ist, die im Einklang mit dem EZB-Ziel steht, mittelfristig Teuerungsraten von unter aber nahe 2 % zu gewährleisten. Das nun von der EZB beschlossene erweiterte Programm zum Ankauf von Vermögenswerten schließt die Ende 2014 aufgelegten Ankaufprogramme für gedeckte Schuldverschreibungen (CBPP3) und Asset-Backed-Securities (ABSPP) mit ein, sodass das monatliche Volumen der zusätzlichen Ankäufe bei rund 50 Mrd. EUR liegen dürfte. Mithin plant die EZB in den kommenden gut 1½ Jahren Anleihen im Wert von 950 Mrd. Euro zu erwerben. Die Wertpapierkäufe werden gemäß EZB-Kapitalschlüssel allokiert, von der EZB zur Wahrung der Einheitlichkeit der Geldpolitik des Eurosystems (EZB und NZBs) initiiert und koordiniert, jedoch zu großen Teilen dezentral von den nationalen Notenbanken (NZBs) durchgeführt.
Erweitertes Programm zum Ankauf von Vermögenswerten
Entsprechend des deutschen Kapitalanteils von 25,6 % entfallen monatlich gut 10 Mrd. EUR auf die Deutsche Bundesbank, die neben Bundesanleihen auch Papiere der KfW, der Rentenbank, der L-Bank und der NRW-Bank erwerben kann. Das Eurosystem ist zwar bereit auch Anleihen aufzukaufen, die negative Renditen aufweisen, aber nur solange diese nicht unter dem aktuellen Einlagenzins von -0,20 % liegen. Im Fall von Bundesanleihen kommen die aktuell unter -0,2 % rentierenden kurzlaufenden Papiere derzeit also nicht in Frage, sodass die Bundesbank verstärkt längere Laufzeiten erwerben dürfte.
Was die Verlustrisiken betrifft, so unterliegen - neben den von den nationalen Zentralbanken durchgeführten Ankäufen von Wertpapieren europäischer Institutionen (12 % der zusätzlichen Wertpapierkäufe) - die direkt von der EZB angekauften Wertpapiere (8 % der zusätzlichen Wertpapierkäufe) der Verlustteilung. Mithin unterliegen 20 % der zusätzlichen Ankäufe von Vermögenswerten dem Prinzip der Risikoteilung. Für potentielle Verluste der darüber hinausgehenden Käufe der nationalen Notenbanken (Anleihen im Euroraum ansässiger Zentralstaaten und von Emittenten mit Förderauftrag) besteht hingegen keine gemeinschaftliche Haftung. Zudem gilt unabhängig von der ausführenden Institution eine Ankaufobergrenze von 25 % einer Emission respektive 33 % der Gesamtverschuldung eines Emittenten.
Zielsetzung der EZB
In erster Linie zielt die Notenbank auf die derzeit gedämpften mittelfristigen Aussichten für die Preisstabilität. Mit Hilfe der Ankäufe sollen Inflation und Inflationserwartungen im gesamten Euroraum wieder auf ein Niveau zurückgeführt werden, dass mit dem von der EZB angestrebten Ziel der Preisstabilität im Einklang steht. Zudem setzen die Währungshüter auf eine Stimulierung der Kreditvergabe und in dessen Folge auf einen Anstieg der Investitionstätigkeit, die sich letztendlich in einer höheren Wachstumsdynamik niederschlagen soll.
Inwieweit aber ist QE tatsächlich geeignet, diese Ziele zu erreichen? Oder anders gefragt, über welche geldpolitischen Übertragungskanäle wirken die Marktinterventionen der EZB auf reale Größen wie Wachstum und Inflation. Laut EZB spielen neben den von Wertpapierkäufen ausgehenden Signalwirkungen insbesondere portfoliotheoretische Überlegungen eine entscheidende Rolle bei der Transmission.
Monetäre Wirkungskanäle
Im Zusammenhang mit dem QE-Programm der EZB verbirgt sich hinter dem Stichwort Portfolioausgleichseffekte die Überlegung, dass die liquiditätszuführenden Maßnahmen der EZB die Anreize für Investoren erhöhen, ihre risikoärmeren Papiere, die von der EZB erworben werden, zu ersetzen. Da die Wertpapierkäufe den Preis für den risikolosen Zins drücken, sehen sich Investoren gezwungen, auf alternative risikoreichere Anlagen wie Aktien oder Immobilienvermögen auszuweichen, deren Preise in der Folge steigen. Dies betrifft private Anleger genauso wie institutionelle Investoren.
Da Unternehmen im Euroraum verhältnismäßig stark auf Banken als Finanzierungsquelle angewiesen sind, wirken diese Ausweichreaktionen vorrangig über den sogenannten Bankkreditkanal. Steigende Vermögenspreise im Portfolio der Finanzinstitute führen dazu, dass Kapital für zusätzliche Kredite frei wird. Für Haushalte und Unternehmen verbessern sich durch den Anstieg des Reinvermögens sowie der Aussicht auf zukünftig steigende Gewinne infolge einer besseren konjunkturellen Entwicklung die Voraussetzungen für die Kreditaufnahme. Der resultierende Anstieg der Kreditvergabe führt bei sinkenden Kreditzinsen zu positiven Effekten auf reale Größen wie Investitionen und Konsum.
Nachdem die Substitution von Anlagen in der Regel auch über Währungsräume hinweg stattfindet, sind darüber hinaus Wechselkurseffekte relevant. Portfolioumschichtungen von auf Euro lautenden Titeln zugunsten höherverzinster Anlagen in Währungen anderer Länder führen zu einer Abwertung der europäischen Gemeinschaftswährung.
Ersetzen Investoren die von der EZB erworbenen risikoärmeren Papiere durch risikoreichere alternative Finanzinstrumente wie Aktien oder Immobilienvermögen, führt der resultierende Preisanstieg zudem zu einer Zunahme des von den privaten Haushalten gehaltenen Vermögens (Vermögenspreiseffekt), was wiederum Anreize schafft den privaten Konsum auszuweiten.
Ferner setzt die EZB auf die von den Wertpapierankäufen ausgehende Signalwirkung. Die Entscheidung für ein erweitertes Ankaufprogramm zeigt, dass die EZB zur Erfüllung ihres Mandats alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpft, was wiederum zur Erhöhung der Inflationserwartungen und damit zur Senkung der Realzinssätze beiträgt. Wachstum und Inflation werden gestützt.
Die seit November laufenden liquiditätszuführenden Maßnahmen der EZB in Form von Covered- Bond- und ABS-Käufen sowie die Ankündigung eines erweiterten Wertpapierankaufprogramms, scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Die Kapitalmarktzinsen im europäischen Währungsraum haben neue historische Tiefstände erreicht und der Anstieg der Vermögenspreise auf breiter Basis deutet darauf hin, dass Investoren in Erwartung weiter steigender Kurse ihre Investments verstärkt auch auf risikoreichere Assetklassen wie Aktien ausweiten.
Anstieg der Assetpreise auf breiter Basis
Diese Portfolioanpassungen dürften für einen nicht unerheblichen Teil des seit Anfang November letzten Jahres zu beobachtenden Kursanstiegs bei deutschen und europäischen Aktienindizes verantwortlich sein. Ein ähnliches Bild zeigt sich am europäischen Rentenmarkt, wo zuletzt deutliche Kursgewinne zu verbuchen waren. Überproportional stark profitieren konnten dabei die relativ zu Bundesanleihen risikoreicheren Staatsanleihen aus der Peripherie der Eurozone, deren signifikante Renditerückgänge sich in weiter sinkenden Risikoprämien manifestieren.
Transmissionsprobleme
Offenkundig führen Portfolioausgleichseffekte zu steigenden Vermögenspreisen. Inwieweit diese in der Praxis allerdings realwirtschaftliche Impulse nach sich ziehen, erscheint aber zumindest fraglich. Wir gehen davon aus, dass die Funktionsfähigkeit der monetären Wirkungskanäle zumindest teilweise gestört ist, sodass die QE-Effekte auf Preisentwicklung und Realwirtschaft geringer ausfallen sollten als dies von der EZB erwartet wird.
Vor dem Hintergrund des ohnehin schon ausgesprochen niedrigen Zinsniveaus ist nicht nur der Spielraum für weiter sinkende Kreditzinsen im Euroraum begrenzt, auch sollten vermehrt andere Investitionsdeterminanten wie die (erwartete) Nachfrage- und Gewinnentwicklung der kommenden Quartale eine dominierende Rolle einnehmen. Mithin besteht das Risiko, dass die von sinkenden Finanzierungskosten erhoffte Investitionsbelebung schwach ausgeprägt bleiben wird. Zumal die Auswirkungen sinkender Marktrenditen in der Eurozone geringer ausfallen sollten als in kapitalmarktbasierten Finanzsystemen wie den USA. Laut Europäischer Zentralbank, finanzieren sich in Amerika rund 60 % der Unternehmen über den Kapitalmarkt, im Euroraum liegt deren Anteil dagegen bei lediglich 25 %. Skeptisch stimmt zudem die Tatsache, dass die bereits seit geraumer Zeit sehr niedrigen langfristigen Zinsniveaus bisher nicht zu einer nachhaltigen Belebung der Investitionen geführt haben. Wie die Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen der vergangenen Quartale zeigen, ist weder in Deutschland noch in Italien und Frankreich ein deutlicher Investitionsschub zu erkennen. Einzig in Spanien ist seit gut zwei Jahren eine deutliche Belebung der realen Ausrüstungsinvestitionen zu konstatieren.
Kaum Belebung der Investitionstätigkeit
Mit Unsicherheit behaftet ist auch die Stärke des Vermögenspreiskanals. Die deutlichen Kursgewinne der letzten Jahre an den europäischen Aktienmärkten müssten ebenso wie die in der jüngeren Vergangenheit anziehenden Immobilienpreise zu einer Verbesserung der Vermögensposition der Haushalte geführt haben. Ein quantitativ bedeutsamer Vermögenseffekt hätte sich somit über signifikant steigende Konsumausgaben in einer spürbar höheren Binnennachfrage und damit letztendlich höheren Wachstumsraten im Euroraum niederschlagen müssen.
Insofern scheint es fraglich, ob die durch steigende Vermögenspreise ausgelöste Zunahme des von privaten Haushalten gehaltenen Vermögens, den Anreiz den privaten Konsum auszuweiten nachhaltig erhöhen kann, um darüber wie gewünscht einen positiven Wachstumsbeitrag zu liefern.
Die Zurückhaltung beim Konsum - sowohl in den USA als auch im Euroraum ist zuletzt ein Anstieg der Sparquoten zu verzeichnen gewesen - dürfte nicht zuletzt auf die Unsicherheit über die zukünftig zu erwartenden Erträge zurückzuführen sein.
Einfluss der Geldbasis beschränkt
Des Weiteren steht zu befürchten, dass der Zusammenhang zwischen Geldbasis und Kreditvergabe seit geraumer Zeit gestört ist. Die Kreditvergabe reagierte auf die massive Ausweitung der Geldbasis in Folge der Finanz- und Staatsschuldenkrise ebenso wenig wie auf die spätere Reduktion dieser. Insofern halten wir die Auswirkungen der liquiditätszuführenden Anleihekäufe der EZB auf die Kreditvergabe für begrenzt. Der von der Europäischen Zentralbank veröffentlichte Bank Lending Survey legt nahe, dass in jüngster Vergangenheit in erster Linie die nach wie vor hohen Kreditausfallrisiken in bestimmten Bereichen den begrenzenden Faktor bei der Kreditvergabe darstellen und nicht die zur Verfügung stehende Liquidität.
Abgesehen von den teilweise blockierten monetären Wirkungszusammenhängen ist auch die Stärke der genannten Effekte innerhalb des europäischen Währungsraums nicht eindeutig quantifizierbar.
Bislang stehen diesbezüglich keine Erfahrungswerte zur Verfügung und die vielfach unternommenen Versuche aus den QE-Programmen in den USA und Japan Rückschlüsse auf die Wirkung der EZB-Anleihekäufe zu ziehen, sind insofern mit Vorsicht zu genießen, als dass sich die Finanzstrukturen von der des Euroraums unterscheiden. Unstrittig dürfte lediglich das Vorzeichen derartiger liquiditätszuführender Effekte sein, welches positiv ist.
Störpotenziale
Über die teilweise eingeschränkte Funktionsfähigkeit der Transmissionskanäle hinaus bestehen weitere Störpotenziale, die den Erfolg des europäischen QE-Programms gefährden oder zumindest dessen Wirksamkeit negativ beeinflussen können.
Die in den vergangenen Wochen wiederholten geäußerten Bedenken, Staatsanleihen einzelner Eurostaaten könnten infolge der breit angelegten Wertpapierkäufe knapp werden, stellen ein gewisses Risiko für den Erfolg des QE-Programms dar. Dies gilt in erster Linie für deutsche Staatstitel.
Zumal die Ankündigung der EZB, nur Staatspapiere zu erwerben die über dem aktuell bei -0,2 % liegenden Einlagezins (Zinssatz für die Einlagefazilität) rentieren, einer zusätzlichen Angebotsverknappung gleich kommt. Hintergrund dieser Regelung dürfte wohl die Absicht sein, potenzielle Verluste der nationalen Notenbanken zu begrenzen.
Bundesbank muss sich an längere Laufzeiten halten Im Fall von Bundesanleihen dürfte die Bundesbank aufgrund dieser Modalitäten und der durch regulatorische Vorgaben zusätzlich erschwerten Angebotsbedingungen also gezwungen sein, sich primär im längerfristigen Laufzeitsegment zu engagieren, während 2- und 3-jährige Papiere derzeit nicht in Frage kommen. Gelingt es der EZB in den kommenden Quartalen wie erhofft, für steigende Inflationserwartungen und tendenziell anziehende Teuerungsraten zu sorgen, so dürfte die Wahrscheinlichkeit für eine Verlängerung respektive Aufstockung des QE-Programms spürbar abnehmen. Die damit einhergehende immer ungünstigere Bewertung von Rentenpapieren, wird die Abgabebereitschafft der Investoren erhöhen, was zumindest der Bundesbank die Arbeit etwas erleichtern sollte. Laut Finanzagentur des Bundes liegt das tägliche Umsatzvolumen am Sekundärmarkt allein in Bundesanleihen bei über 20 Mrd. EUR, sodass die Bundesbank mit ihrer täglichen Nachfrage von ca. 400-500 Mio. EUR zwar zu einer Verknappung des Materials beitragen dürfte, auf größere Angebotsprobleme sollte das Ankaufprogramm aber vorerst nicht stoßen.
Die seit Juni letzten Jahres geltende negativ verzinste Einlagefazilität im Zusammenhang mit den verschiedenen liquiditätszuführenden Maßnahmen der EZB ist kontraproduktiv. Gegenwärtig müssen Geschäftsbanken für die Geldanlage bei den nationalen Zentralbanken bis zum nächsten Geschäftstag 0,2 % p.a. zahlen, was deren Anreize im Rahmen des Anleihekaufprogramms Wertpapiere gegen Zentralbankgeld zu tauschen, senkt. Eine Rückführung auf null ist unseres Erachtens angemessen, steht derzeit aber aus politischen Gründen wohl nicht zur Disposition. Die Haltung von Zentralbankguthaben anstelle von Staatsanleihen würde so an Attraktivität gewinnen, was zusätzlich die Ankaufaktivitäten der Bundesbank erleichtern würde.
Neben diesen eher in der kurzen Frist relevanten Störpotenzialen, sollten auch die mittelfristigen Risiken nicht aus den Augen verloren werden. Eine zentrale Rolle spielen dabei die durch das Programm gesetzten Fehlanreize und die daraus resultierenden Fehlallokationen infolge des Anlagenotstandes. Zwar eröffnet der breit angelegte Ankauf von Wertpapieren den Krisenstaaten größere Handlungsspielräume, es ist aber zu befürchten, dass diese nicht für die dringend notwendigen Strukturreformen der Güter-, Finanz- und Arbeitsmärkte genutzt werden, sondern vielmehr dafür, die bisherigen Reformanstrengungen zurückzufahren oder ganz einzustellen. Die EZB nimmt somit den Reformdruck von den Krisenländern. Zudem steigt mit der zusätzlich zur Verfügung stehenden Liquidität die Gefahr von Vermögenspreisblasen, fehlgelenkten Investitionen und Verzerrungen bei der Risikoeinschätzung. Nicht zu unterschätzen ist darüber hinaus die zunehmende Komplexität und Intransparenz der Geldpolitik, was zusätzliche Unsicherheit schafft.
Zwar besteht hinsichtlich des Erfolgs des europäischen QE-Programms vor dem Hintergrund der genannten Störpotenziale sowie der teilweise eingeschränkten Funktionsfähigkeit der monetären Wirkungskanäle im Euro-Währungsgebiet ein gewisses Enttäuschungspotenzial, Gründe für übertriebenen Pessimismus sehen wir aber dennoch nicht. Bereits im Vorfeld des Euro-QEs haben sich die monetären Indikatoren - auch infolge der vorhergehenden geldpolitischen Maßnahmen der EZB - deutlich aufgehellt Geldmengenwachstum und Kreditvergabe haben sich weiter gefestigt und auch die Kreditbedingungen für Unternehmen und private Haushalte haben sich spürbar verbessert. Dennoch stellen die Entstehung von Assetpreisblasen, ein erlahmender Reformwille in den Krisenstaaten oder auch potenzielle Fehlallokationen infolge des Anlagenotstands nicht zu unterschätzende Risiken für den nachhaltigen Erfolg des europäischen QE-Programms dar.