Wochen-Quartals-Tangente
In der abgelaufenen Handelswoche war für jeden etwas dabei: Die Verbesserung der Unternehmensstimmung im Euroraum sowie der Sprung des deutschen ifo-Geschäftsklimaindex beförderte die Aktienmärkte. Der DAX gewann über 5 % hinzu und tastete sich an die magische Grenze von 10.000 Punkten heran. Motor dieser Entwicklung war jedoch der fallende Ölpreis. Die OPEC hat auf ihrem jüngsten Treffen beschlossen, die Förderquoten konstant zu halten, was insbesondere die Rentenmärkte elektrisierte. Der Ölpreis gab auf den Beschluss hin nach und fiel auf ein 4- Jahrestief. Die aktuellen Preisdaten zeigen, dass dies die Inflation weiter Richtung Nulllinie drückt.
So beläuft sich der Anstieg der deutschen Verbraucherpreise im November auf nur noch 0,6 % zum Vorjahr, im Euroraum sogar auf 0,3 %. Spekulationen um ein EZB-Kaufprogramm für Staatsanleihen wurden erneut befeuert und führten im Gegenzug zu breiten Kursgewinnen an den europäischen Rentenmärkten. Während die 10-jährige Bundesanleihe auf ein neues Rekordtief von unter 0,7 % gefallen ist, schaffte das französische Pendant den Sprung unter 1 %.
In der kommenden Woche findet die letzte EZB-Sitzung in diesem Jahr statt. Die EZB wird ihre Projektionen für Wachstum und Inflation vorstellen und die begrenzten europäischen Aussichten vermutlich zum Anlass nehmen, den Marktteilnehmern noch mehr Liquidität in Aussicht zu stellen (S. 4). Ob sie damit die Verzinsung 10-jähriger Staatsanleihen weiter drücken kann, sei dahingestellt.
Schließlich droht aus den USA Ungemach. Denn auch dort (S. 5) haben die rückläufigen Ölpreise zu signifikanten Kursgewinnen an den Rentenmärkten geführt. Die Verzinsung der 10- jährigen US-Treasuries um 2,2 % ist u. E. fundamental nicht gerechtfertigt. Die Ölpreise sind für den US-Konsumenten wie ein kleines Vorweihnachtsgeschenk. Es wird die US-Wirtschaft zusätzlich stimulieren, so dass die Sorglosigkeit am Rentenmarkt bezüglich der näher rückenden Zinswende der Fed bedenklich ist.
Sinkende Ölpreise belasteten den Goldpreis. Das anstehende Goldreferendum in der Schweiz wird wohl keine Unterstützung bieten. Selbst durch ein von uns nicht erwartetes positives Votum für die Initiative dürfte der Goldpreis nicht nachhaltig ansteigen. Die dann über einen längeren Zeitraum gestreckten Goldkäufe der SNB hätten wenig Markteinfluss, zumal die großen, über hohe Goldreserven verfügenden Notenbanken den Prozess aus eigenem Interesse begleiten würden.
EZB übernimmt Rolle des "Marktes"
Mit einem erweiterten Ankaufprogramm u.a. von Staatspapieren wird Mario Draghi den Lockerungskurs vermutlich fortsetzen und von einer Zinssteuerung zu einer Lenkung der EZBBilanzsumme übergehen. In diesem Umfeld erscheint eine Rücknahme des negativen Einlagenzinses u. E. zweckmäßig.
Teuerungsrückgang spielt Mario Draghi in die Karten
Bei der letzten entscheidenden Sitzung des EZB-Rats in diesem Jahr wird sich alles um die Frage drehen, wann die EZB mit dem Ankauf von Staatsanleihen beginnt. Dass sie darauf zusteuert, ist nach den jüngsten Erklärungen Mario Draghis auch den letzten Skeptikern klar geworden. Der durch sinkende Rohölpreise bewirkte Teuerungsrückgang im November auf 0,3 % im Euroraum bietet den Befürwortern ebenso Argumentationsmasse, wie die vermutlich nach unten korrigierten EZB-Projektionen für Wachstum und Inflation. Dabei spielt es fast schon keine Rolle mehr, dass sich energiepreisgetriebene Inflationsraten nur schlecht zur Abschätzung der Deflationsrisiken eignen. Die Erfahrungen mit der Geldpolitik in diesem Jahr - im Zweifel lieber zu viel als zu wenig - lassen den Schluss zu, dass schon bald Nägel mit Köpfen gemacht werden. Spätestens im Frühjahr ist mit dem Beginn des Ankaufprogramms zu rechnen.
Der Ankauf von Staatsanleihen hat für die EZB jedoch aus einem anderen Grund eine überragende Bedeutung. Mit diesem Instrument kann sie die Risikoaufschläge im Euroraum steuern. Damit ist sie in der Lage, Entwicklungen wie sie 2012 fast zur Kernschmelze der Währungsunion geführt haben, schon früh entgegenzuwirken. Sie kontrolliert nicht nur das kurze Ende der Zinsstruktur über den Leitzins, sondern auch die längeren Laufzeitenbereiche. Für einige Finanzminister im Euroraum dürfte damit ein Traum in Erfüllung gehen, da sich vordergründig ihre "Spielräume" erweitern.
Allerdings gibt es immer noch die alten Schulden- und Defizitgrenzen im Euroraum, die limitierend wirken. Hinzu kommt ein weiteres "Problem". Die vorher disziplinierende Macht der Märkte, liegt nun in der Hand der EZB. Es ist ein nicht unrealistisches Szenario, dass Gespräche von EZB-Verantwortlichen mit Finanzministern zukünftig etwas anders ablaufen und die EZB versucht stärker Einfluss zu nehmen.
Negativer Einlagenzins eher hinderlich
Die EZB muss - zumindest in Deutschland - einen nicht unerheblichen Preis für ihre Strategie zahlen. Mit der Einführung negativer Zinsen hat sie, so ist jedenfalls die allgemeine Wahrnehmung, direkt in das Leben vieler Menschen (Sparer) eingegriffen und deren Weltbild quasi auf den Kopf gestellt. Damit hat sich die Geldpolitik noch tiefer in schwieriges (politisches) Fahrwasser begeben, was langfristig ihrer Reputation schaden könnte. Da sie mit dem Ankauf von Staatsanleihen diesen Prozess akzentuieren würde, wäre es u. E. ein kluger Schachzug, zeitgleich den negativen Einlagenzins zurückzunehmen. Zumal dieser bei der geplanten Ausweitung der EZB-Bilanzsumme eher hinderlich ist - wer will schon Liquidität, wenn man im Anschluss einen Strafzins zahlen muss.
USA: Endspurt zum Jahresende
Thanksgiving ist vorbei, die Truthähne und Kürbiskuchen sind verspeist und die Schnäppchenjäger sind wieder zurück vom "Black Friday" - mit dem Beginn des Dezembers geht es in den Endspurt zum Jahresende. Die Berichtswoche beginnt mit dem "Cyber Monday" - und weiteren Schnäppchenjagden - und sie bringt außerdem den letzten Schwung der wichtigen Monatsanfangsdaten im Jahr 2014. Sie dürften bestätigen, dass es derzeit global wenige Länder gibt, denen die wirtschaftliche Entwicklung so viel Anlass zum "thanksgiving" erlaubt wie den USA - auch wenn viele Amerikaner das ganz anders sehen.
In der gewerblichen Wirtschaft ist die Stimmung so gut wie selten. Im Q3 lag ein gemäß den Anteilen an der Gesamtwirtschaft (rund 20 % Verarbeitendes Gewerbe, 80 % andere Sektoren) gewichteter ISM-Einkaufsmanagerindex so hoch wie seit 2004 nicht mehr. Im Oktober signalisierten der Index für die Industrie mit 59,0 und der Index außerhalb der Industrie mit 57,1 weiterhin eine überdurchschnittliche Dynamik. Im November dürfte sich daran nicht viel geändert haben. Die regionalen Stimmungsbarometer der Federal Reserve Banken von New York und Philadelphia sind (auf vergleichbarer Weise berechnet) beide gestiegen. Wir rechnen beim Einkaufsmanagerindex für die Industrie daher nur mit einem leichten Rückgang von seinem sehr hohen Niveau auf 58,0 Punkte.
Außerhalb des Verarbeitenden Gewerbes dürfte sogar ein leichter Anstieg bevorstehen.
Arbeitsmarktbericht zum November wieder solide
Für die Notenbank steht bei der Frage, wann die Nullzinsperiode zu Ende geht, nach wie vor der Arbeitsmarkt im Zentrum. Worauf warten die eigentlich noch? Die Arbeitslosenquote ist auch 2014 wieder deutlich stärker gefallen als es die Mitglieder des geldpolitischen Komitees erwartet hatten.
Mit prognostizierten 5,7 % im November nähert sie sich zügig dem oberen Rand dessen, was man als Vollbeschäftigung bezeichnen kann. Der Beschäftigungsaufbau in der Privatwirtschaft lag im Schnitt der letzten drei Monate bei etwa 220.000 pro Monat, deutlich über dem Wert von rund 100.000, ab dem die Arbeitslosenquote zurückgeht. Im November dürfte der Stellenaufbau erneut merklich oberhalb von 200.000 liegen. Die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung ist im Vier-Wochen-Schnitt unter 300.000 gefallen. Relativ zur Höhe der Beschäftigung ist dies der niedrigste Wert seit es diese Daten gibt (1967). Laut der Verbraucherumfrage des Conference Board schätzen die Haushalte die Arbeitsmarktlage so positiv ein wie zuletzt vor der Krise im Jahr 2008. Die Beschäftigungskomponenten der ISM-Einkaufsmanagerindizes lagen im Oktober (gewichtet) so hoch wie seit 2005 nicht mehr. Selbst die lange enttäuschende Zahl der offenen Stellen hat sich zuletzt spürbar verbessert. Die "Tauben" im FOMC können sich daher auf immer weniger Indikatoren (Erwerbstätigenquote, Partizipationsrate, Arbeitslosenquote "U-6") berufen, bei denen zudem jeweils unklar ist, in welchem Umfang ihre aktuelle Entwicklung auf eine konjunkturelle Unterauslastung zurückzuführen ist und in welchem Maße sie primär die Folge struktureller (z.B. demografischer) Prozesse ist. Was noch fehlt, ist stärkerer Lohndruck. Dies dürfte sich aber in absehbarer Zeit ändern. Zudem sind die Löhne ein stark nachlaufender Indikator. Als Orientierungsgröße für die Zinswende sind sie daher definitiv nicht geeignet.
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