Trotz der jüngsten Stimmungseintrübung aufgrund der geopolitischen Unsicherheiten dürfte das deutsche Wirtschaftswachstum 2014 noch bei etwa 1,5 % liegen. Während der Außenbeitrag voraussichtlich sogar leicht negativ ausfällt, wird die Binnennachfrage, also Konsum und Investitionen, die Entwicklung tragen. Die privaten Konsumausgaben werden dieses Jahr um gut 1 % zulegen. Die aktuelle Schwächephase der Wirtschaft sollte gegen Ende des Jahres allmählich auslaufen. Die Dynamik fällt 2015 wieder höher aus. Während das Bruttoinlandsprodukt dann um schätzungsweise 1,7 % ansteigt, liegt die Steigerung der privaten Verbrauchsausgaben bei 1,5 %.
Bereits in diesem Jahr werden die Tariflöhne mit rund 3 % deutlich angehoben. Mit der Einführung des Mindestlohns steigen die Bruttolöhne 2015 sogar noch kräftiger. Zudem wird sich der Beschäftigungszuwachs abgeschwächt fortsetzen. Beides verbessert die Einkommen und hilft dem Konsum. Auch die monetären Sozialleistungen dürften einen Schub erhalten: Die sogenannte "Mütterrente" ist Mitte dieses Jahres gestartet und wird sich 2015 erstmals voll auswirken. Zudem werden mit dem "Elterngeld Plus" teilzeitarbeitende Eltern bessergestellt. Leicht einkommensbelastend wirkt sich 2015 die Erhöhung des Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung um 0,3 Prozentpunkte aus. In der Krankenversicherung wird zwar der Arbeitnehmerbeitrag gesenkt. Gleichzeitig dürften die Krankenkassen allerdings Zusatzbeiträge erheben. Die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen legen in diesem Jahr nur wenig zu, sollten aber 2015 wieder an Dynamik gewinnen (vgl. Grafik S. 2). Insgesamt dürften die verfügbaren Einkommen nach 2 ½ % 2015 sogar um rund 3 % ansteigen. Da die Zinsen im Prognosezeitraum auf niedrigem Niveau verharren, wird das Sparen keine Impulse erhalten. Die Sparquote bleibt bei niedrigen 10 %.
Aufgrund der positiven Rahmenbedingungen ist es nicht verwunderlich, dass die Verbraucher in Hochstimmung sind. Das GfK-Konsumklima hatte im August den höchsten Stand seit 2006 erreicht, bevor sich die Stimmung leicht eintrübte. Allerdings ist vom Konsumaufschwung beim deutschen Einzelhandel in den vergangenen Jahren nur wenig angekommen. Dieses Jahr hat sich dies geändert: So lagen die Umsätze in der Abgrenzung inklusive Tankstellen und Apotheken in den ersten sieben Monaten um real 1,2 % höher als im Vorjahr. Auch im Gesamtjahr dürfte dieser Zuwachs erreicht werden. In nominaler Rechnung ergäbe sich damit ein Plus von 1,7 %. Für 2015 ist allerdings keine weitere Beschleunigung zu erwarten. Die aktuelle Geschäftslage der Branche hat sich zwar im Zuge der Ukraine-Russlandkrise zuletzt etwas eingetrübt, liegt aber immer noch im langjährigen Vergleich auf einem hohen Niveau.
In den vergangenen Jahren haben die nominalen Umsätze deutlich stärker als die realen zugenommen. Ursache war der lebhafte Anstieg der Einzelhandelspreise. Zuletzt waren diese allerdings relativ stabil. Im Juli stiegen sie nur noch um 0,6 % gegenüber dem Vorjahr. Bei den wichtigen Lebensmittelpreisen ist der Schub der vergangenen Jahre ausgelaufen. Zudem waren zuletzt die Preise für Benzin und Heizöl sogar rückläufig, nachdem in den Vorjahren höhere Steigerungen zu verkraften waren. Dies stabilisiert die nominalen Umsätze bei Tankstellen und im Brennstoffhandel. Diese Tendenzen dürften vorerst anhalten, so dass die Diskrepanz zwischen nominalen und realen Einzelhandelsumsätzen abnehmen wird.
Internethandel expandiert dynamisch
Der Umsatz des Einzelhandels ohne Kfz-Handel betrug 2012 rund 498 Mrd. €, was 18,1 % des Bruttoinlandsprodukts entsprach. In der engeren Abgrenzung ohne Tankstellen und Apotheken wurden immer noch knapp 447 Mrd. € erreicht. Die Branche wird klar von Lebensmitteln dominiert, die immerhin 42 % der Verkäufe ausmachen. Legt man den Einzelhandel im engeren Sinne zugrunde, so betrug der Umsatzanteil 2012 sogar 47 %. In diesem Bereich sind mengenmäßig kaum mehr Steigerungen möglich. Immerhin besteht durch den Verkauf höherer Qualitäten, beispielsweise den zunehmenden Anteil von Produkten aus ökologischer Landwirtschaft, ein gewisser Wachstumsspielraum. Mit 7,5 Mrd. € lag der Umsatz dieser Güter 2013 aber immer noch unter 4 % der gesamten Lebensmittelverkäufe. Auch der Absatz von Produkten mit gesundheitlichem Zusatznutzen, der von der Industrie vorangetrieben wird, dürfte es der Branche zukünftig erlauben zu expandieren. Die zweitwichtigste Gruppe mit einem Umsatzanteil von einem Zehntel sind die Apotheken. Deren Verkäufe steigen bereits seit Jahren überdurchschnittlich. Die alternde Bevölkerung und immer neue Arzneimittel bescheren der Branche ein hohes Wachstumspotenzial.
Zu einer immer wichtigeren Vertriebsform wird der Internet- und Versandhandel, der nach der amtlichen Kostenstrukturerhebung von 2012 einen Umsatzanteil von knapp 6 % aufweist. Die Dynamik dieser Sparte ist in den vergangenen Jahren sehr hoch gewesen. Aktuell dürfte der Anteil in dieser Abgrenzung auf gut 8 % gestiegen sein. Da diese Verkäufe häufig zulasten des stationären Handels gehen, stimuliert der Internethandel das Wachstum der Gesamtbranche nur bedingt. In den letzten Jahren gehörten der Verkauf von Informations- und Kommunikationstechnik, also von Datenverarbeitungsgeräten, Handys und Unterhaltungselektronik, mit zu den dynamischsten Sparten. Im bisherigen Jahresverlauf allerdings konnte hier real nur ein durchschnittlicher Umsatzanstieg erzielt werden. Im Bereich Kosmetik und Körperpflege war es durch das Ausscheiden eines wichtigen Anbieters im Jahr 2012 zu Verwerfungen gekommen. Der starke Anstieg von real gut 9 % im ersten Halbjahr 2014 gegenüber dem Vorjahr dürfte immer noch als eine Gegenbewegung zu verstehen sein.
Betrachtet man die Marktanteilsentwicklung nach Vertriebsformen, so erwirtschaftet der Fachhandel etwa ein Drittel des Umsatzes. Dabei sinken die Anteile der nicht-filialisierten Händler während die Filialisten hinzugewonnen haben. Wichtig bleiben auch die Fachmärkte mit einem Anteil von knapp 16 % gemessen am gesamten Einzelhandelsumsatz ohne Apotheken und Kfz. Die Bedeutung der Kauf- und Warenhäuser sinkt weiter. Nur noch 2,7 % der Waren werden durch diese Vertriebsform verkauft. Der Anteil der Discounter ist in den letzten Jahren weiter gestiegen und liegt jetzt bei 15,6 %. Leicht verloren hat der Lebensmittelverkauf durch die SB-Warenhäuser(12,5 %), während der Anteil der Supermärkte auf 9,6 % angestiegen ist.
Die Bedeutung des Einzelhandels, gemessen an den privaten Konsumausgaben, hat in den letzten Jahren weiter abgenommen. Hieran dürfte sich auch in Zukunft wenig ändern. Das hohe Gewicht der "Sättigungsgüter" Lebensmittel, Bekleidung, Schuhe verhindert ein dynamischeres Wachstum der Branche.
Wettbewerbs- und Ertragssituation teilweise angespannt
Die Ertragslage des Einzelhandels ist heterogen, was eine generelle Beurteilung schwierig macht. Gemessen an der Umsatzrentabilität stehen beispielsweise die Apotheken trotz Rückgängen aufgrund von gesetzlichen Eingriffen immer noch besser da als der Lebensmittelhandel. Hier ist die Rendite sogar niedriger als in der Gesamtbranche, vor allem aufgrund einer höheren Materialaufwandsquote. Der an der Gesamtleistung gemessene etwas niedrigere Personalaufwand kann dies nur teilweise ausgleichen.
Eine Stärkung der Ertragslage in der Gesamtbranche ist in den kommenden Jahren eher nicht zu erwarten. Der Preisdruck im stationären Handel wird durch die zunehmende Transparenz aufgrund des Online-Vertriebs noch zunehmen. Dies zeigt sich auch bei den Befragungen des Handelsverbandes Deutschland (HDE), die als zentrale Themen der Branche den Online-Handel und eine vermutete Kaufzurückhaltung der Verbraucher sehen. Auch bei den Gehaltstarifen muss aufgrund der günstigen Arbeitsmarktlage mit Zuwächsen gerechnet werden, die die Produktivitätssteigerungen übersteigen.
Gleichzeitig hat die Flächenerweiterung in den vergangenen Jahrzehnten den Wettbewerbsdruck in der Branche verstärkt. Die Umsatzentwicklung konnte zumeist nicht mithalten. In den letzten Jahren haben die Händler ihre Verkaufsflächen allerdings nur noch wenig erhöht. Zunehmend setzten die Unternehmen auf die Optimierung bestehender Flächen sowie die Aufgabe von unprofitablen Geschäften. Zusätzlich dürfte sich der an Bedeutung gewinnende Internethandel hier positiv ausgewirkt haben. Die Verkaufsfläche in Deutschland erhöhte sich seit 2009 nur noch um 0,6 % p.a. Gleichzeitig ist seit 2010 der Umsatz der Branche stärker gestiegen, so dass die Flächenproduktivität seitdem leicht zugenommen hat. Da ein Großteil des Umsatzanstiegs auf reinen Preissteigerungen basiert, dürfte sie sich in den nächsten Jahren nicht weiter erhöhen. Dagegen hat sich die "reale" Flächenproduktivität ungünstiger entwickelt.
Durch Zuwanderung vorerst keine schlechten Perspektiven
Deutschland hat im Vergleich der europäischen Flächenstaaten die höchste Kaufkraft pro Einwohner und den am Umsatz gemessen größten Einzelhandelsmarkt vor Frankreich und Großbritannien. Auch im internationalen Vergleich war die bisherige Entwicklung allerdings eher bescheiden. Zwar stiegen die realen Umsätze in den letzten Jahren deutlich stärker als in den Krisenländern Italien und Spanien. Jedoch konnten die französischen Händler ihre Verkäufe trotz der dort schwierigen Wirtschaftslage seit 2007 stärker steigern als die deutschen. Frankreichs Bevölkerung ist allerdings in diesem Zeitraum um 3,5 % gestiegen, während Deutschland nur ein minimales Plus verzeichnete. Erst in den letzten drei Jahren übertrifft hierzulande die Zuwanderung das heimische Geburtendefizit. In den nächsten Jahren dürfte die Zuwanderung nach Deutschland aufgrund der verhältnismäßig günstigen Wirtschaftsentwicklung zwar anhalten. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Zuwächse mit dem Auslaufen der starken Zuwanderung aus Osteuropa und dem Abklingen der Wirtschaftskrise in der Eurozone zurückgehen werden. Die vorerst steigende Bevölkerung dürfte dem deutschen Einzelhandel helfen. Viele der Einwanderer benötigen zuerst Nahrungsmittel und andere Güter, die die Branche anbietet.
Insgesamt bestehen damit gute Chancen, dass der Einzelhandel in den nächsten Jahren stärker vom Aufschwung profitiert. Eine beträchtliche Zahl von Zuwanderern, die sich zuerst mehr auf Einzelhandelsgüter statt Dienstleistungen konzentrieren, steigende Realeinkommen, die anhaltend günstige Beschäftigungslage und niedrige Zinsen für Konsumentenkredite kommen der Branche zugute. Der Preisdruck wird aufgrund der hohen Transparenz durch das Internet gleichwohl hoch bleiben.
Die langfristige Perspektive bleibt allerdings unverändert. Während die deutsche Bevölkerung nach dem Abklingen der momentan sehr hohen Zuwanderung aufgrund des Geburtendefizits schrumpft, steigt die französische und die britische Einwohnerzahl vorerst weiter. Damit dürfte der deutsche Einzelhandel in der nächsten Dekade seine Vorrangstellung gemessen am Umsatz verlieren. Voraussetzung hierfür ist, dass Frankreich durch eine beherzte Reformpolitik den Anschluss an Deutschland nicht auf Dauer verliert. Großbritannien hat bereits einen dynamischen Wachstumspfad eingeschlagen.