Verdrehung von Ursache und Wirkung
Die Staatsschuldenkrise in der Eurozone erreicht eine entscheidende Phase. Spanien muss mit seinen Banken unter den Rettungsschirm und auch Italien zeigt krisenhafte Züge. Der vermeintlich Schuldige ist schnell gefunden: das deutsche Spardiktat. Daher müsse Deutschland jetzt mehr Verantwortung übernehmen und für die Partnerländer einstehen. Bei dieser immer lauter werdenden Forderung wird allerdings Ursache und Wirkung vertauscht.
Verfehlungen vieler Länder in der Vergangenheit
Die Kausalitäten sind nämlich umgekehrt: Über Jahre hinweg kam es in vielen Euroländern aufgrund starker Lohnsteigerungen ohne entsprechende Produktivitätsfortschritte zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig führte die Zinskonvergenz in der Eurozone auf das niedrige deutsche Niveau zu starken Fehlallokationen in der Euro-Peripherie: Der öffentliche Sektor nutzte die Zinsersparnis meist nicht zur Haushaltskonsolidierung, sondern zur Aufblähung des Staatsapparats. Die Investoren verfielen dem Irrglauben, dass ein Bauboom zu dauerhaft höherem Wachstum führen könne. Auch der Bankensektor in diesen Ländern erlag dieser Illusion, wie deutlich an Spanien zu sehen ist. Die Eigenheimquote erreicht dort mit 85 Prozent einen europäischen Spitzenwert. Die deutsche Rate von 46 Prozent wirkt im Vergleich dazu winzig. Mit dem Platzen der Immobilienblase geriet der spanische Bankensektor in die Schieflage und musste Hilfe aus dem Rettungsschirm beantragen.
Mögliche Vermögenstransfers zu Lasten des deutschen Sparers
Zwar werden die Hilfsgelder nur unter Auflagen vergeben, um sicher zu stellen, dass Spanien sich um eine Restrukturierung und Bereinigung des Bankensektors kümmert. Die Vorstöße, die Probleme im europäischen Bankensektor mittels einer Bankenunion mit einheitlicher europäischer Einlagensicherung zu lösen, gehen aber in die falsche Richtung. Zwar wäre eine Verbreiterung der Basis des Finanzsystems in normalen Zeiten zur Verbesserung der Finanzstabilität vorstellbar. Gegenwärtig wären mit ihr in erster Linie Vermögenstransfers auch zu Lasten des deutschen Sparers programmiert.
Walter Euckens Prinzip der Einheit von Haftung und Handeln wird zunehmend ignoriert
Jedoch nicht nur bei den Plänen zu einer Bankenunion, auch bei Eurobonds wird das Prinzip von Handeln und Haften durchbrochen. Zudem hat jüngst das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass weitere Schritte in eine Haftungsunion ohne einen demokratisch legitimierten Prozess mit der deutschen Verfassung nicht vereinbar sind. Deutschland verschließt sich aber nicht der Unterstützung schwächerer Euroländer, wie die Beteiligung an den Rettungsschirmen zeigt. Allerdings muss das Ziel dabei lauten, Verkrustungen aufzubrechen und wettbewerbsfähige Strukturen aufzubauen. Es geht also um eine Hilfe zur Selbsthilfe. Wenig zielführend ist es, wenn einzelne Länder immer wieder versuchen, dem Reformkurs auszuweichen, so wie u.a. nach den griechischen Wahlen geschehen. Griechenland muss dringend die notwendigen Verwaltungsreformen durchführen und ein effektives Steuersystem installieren.
Ohne Strukturreformen keine langfristige Besserung möglich
Dass der geforderte Anpassungsprozess möglich ist, zeigen die Länder Irland und Portugal. Dort sind in den vergangenen Monaten die Kapitalmarktzinsen deutlich zurück gegangen. Reformanstrengungen werden vom Markt also durchaus belohnt. Spanien oder Italien sollten sich nicht über die zu hohen Kapitalmarktzinsen beschweren. Schließlich liegt es in ihrer Hand, die notwendigen Strukturveränderungen vorzunehmen und damit das Vertrauen der Anleger zurück zu gewinnen.
Kein europäisches Land spart wirklich
Es sollte auch nicht von einem Spardiktat gesprochen werden. Immerhin weisen alle Länder in der Eurozone, inklusive Deutschland, eine Nettoneuverschuldung auf. Kein einziges Land spart also tatsächlich. Es wird lediglich der Zuwachs der Verschuldung etwas eingedämmt.
Langfristige Aussichten für Eurozone mit hohen Risiken behaftet
Entscheidend in der aktuellen Lage ist nun, inwieweit Handeln und Haften wieder als konstituierendes Prinzip für die Zukunft Europas herangezogen werden. Sollten die Befürworter einer Haftungsgemeinschaft ohne entsprechende Übertragung von Entscheidungs- und Kontrollkompetenzen die Oberhand gewinnen, wäre Europa langfristig keine rosige Zukunft beschert. Denn dauerhafte Transfers würden nicht nur die Leistungsfähigkeit der derzeit Schwächeren hemmen, auch die noch starken Länder würden sich daran verheben.
Beitrag erschienen in "Die Welt", 30.06. 2012