Die griechische Wirtschaft wuchs vor der Krise recht dynamisch, was vermutlich die Sicht auf Fehlentwicklungen versperrt hatte. Die strukturellen Mängel wie eine wenig wettbewerbsfähige Industrie, ineffiziente Staatsunternehmen, geschützte Berufsgruppen und Märkte sowie eine verkrustete Bürokratie wurden nicht ausreichend betrachtet. Hätte der griechische Staat weniger Stellen geschaffen und weniger Defizitfinanzierung betrieben, wäre vermutlich die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ähnlich lethargisch wie in Portugal verlaufen. Auch dort verschlechterte sich die Wettbewerbsfähigkeit infolge steigender Lohnstückkosten und verschleppter Reformen, nur dass die Staatsfinanzen geordneter blieben.
Das griechische Sparprogramm wird daher auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn gleichzeitig die Wirtschaft effizienter wird. Die hierfür vorgesehenen Reformen können sich jedoch nur allmählich positiv auswirken. Das BIP wird nach einem Rückgang um 6 % 2011 im Jahr 2012 voraussichtlich nochmals um mindestens 3 % fallen. Die strukturell schwachen Güterexporte und die wesentlich bedeutenderen Dienstleistungsexporte (Tourismus, Schifffahrt) werden vorerst nur verhalten zulegen. Das Leistungsbilanzdefizit (2011 noch 9 % des BIP) dürfte sich nur wegen der stark fallenden Binnennachfrage rasch vermindern.
Die griechische Regierung, die EU und der IWF verständigten sich bereits im Oktober 2011 auf ein zweites Rettungspaket. Vorgesehen ist ein Beistandsvolumen von 130 Mrd. €, mit dem die Finanzierungslücken nach dem Auslaufen des ersten Paketes bis 2014 geschlossen werden sollen. Ziel ist es, den Schuldenstand bis 2020 auf 120 % des BIP zu senken, was bei erfolgreichen Reformen als tragfähig angesehen wird. Bestandteil des Abkommens ist ein freiwilliger Forderungsverzicht der privaten Anleihegläubiger von mindestens 50 %, ergänzt durch die Gewährung neuer 20 bis 30 Jahre laufender festverzinslicher Anleihen zu günstigen Konditionen. Die neuen Anleihen sollen sich auf etwa 35 % des bestehenden Anleihevolumens belaufen, rd. 15 % ihrer Forderungen sollen den privaten Gläubigern sofort zurückgezahlt werden. Die privaten Gläubiger, die aktuell rd. 205 Mrd. € der gesamten Staatsverschuldung über 350 Mrd. € halten, werden in den Verhandlungen vom Institute of International Finance (IIF) vertreten. Nach IWF-Prognosen werden durch den vorgesehenen Forderungsverzicht der privaten Gläubiger die Staatsschulden von 162 % des BIP 2011 auf 151 % 2012 und danach weiter stetig fallen. Der Anteil der privaten Gläubiger an den Staatsschulden würde von knapp 80 % (2011) auf etwa 40 % (2012) sinken.
Gefahr eines Moratoriums
Einerseits sind die Schulden der privaten Gläubiger möglichst rasch zu restrukturieren sowie die neuen Hilfskredite von der EU und dem IWF zu gewähren, damit die griechische Regierung die am 20. März 2012 fälligen Staatsanleihen über 14,5 Mrd. € refinanzieren kann. Andererseits müssen die wirtschaftspolitischen Maßnahmen sowie die aktuelle Haushaltslage durch die sogenannte Troika, die sich aus Experten der EU-Kommission, der EZB und des IWF zusammensetzt, erst noch überprüft werden. Gleichzeitig bestehen bei dem anstehenden Forderungsverzicht Unsicherheiten über die Beteiligungshöhe der privaten Gläubiger. Damit besteht das Risiko, dass die angestrebte "schrittweise" Lösung des Schuldenproblems nicht durchführbar ist. In diesem Falle würde die griechische Regierung offiziell ein Moratorium auf ihre Schulden erklären müssen. Bestehende Vereinbarungen über das Reformprogramm und deren Finanzierung wären dann hinfällig. Da die griechische Regierung kein Geld drucken kann, wäre sie zunächst auf eine Überbrückungsfinanzierung durch die EU-Regierungen bzw. durch die EZB angewiesen, bis eine langfristig tragfähige Lösung vereinbart worden ist. Ein solcher Prozess würde nicht nur langwierig sein, sondern voraussichtlich auch zu einem höheren Schuldenschnitt als im zweiten Rettungspaket vorgesehen führen. Zudem dürfte eine generelle Zahlungseinstellung Griechenlands die europäischen Kapitalmärkte immer noch stark belasten und zusätzliche Stützungsmaßnahmen der EU und der EZB erforderlich machen, um die Ansteckungsgefahren auf andere Krisenländer wie Portugal einzugrenzen. Alle Beteiligte dürften daher bestrebt sein, ein Moratorium zu verhindern, da die damit verbundenen Unwägbarkeiten und Belastungen hoch sein werden.
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