Die Welt im Blick
Schaut man sich die Lohnstückkosten seit der Euro-Einführung an, weist Deutschland die beste Entwicklung auf. Italien und Frankreich haben die stärksten Anstiege, während Spanien seit der Wirtschafts- und Finanzkrise seine Kostenposition verbessert hat. Seit 2011 hat sich die Situation allerdings verändert: Die Produktivitätssteigerung ist hierzulande schwach ausgefallen, während die gute Arbeitsmarktsituation zu kräftigen Lohnsteigerungen in der Größenordnung von 3 % geführt hat. Kurzfristig ist dies kein größeres Problem. Die relative Position innerhalb des Währungsverbundes gleicht sich an. Wichtige Konkurrenten der deutschen Industrie sitzen allerdings im außereuropäischen Ausland. Kostennachteile können zurzeit durch den schwachen Euro abgefedert werden. Sollte die Geldpolitik allerdings in den "Normalmodus" zurückkehren, könnte eine Ernüchterung eintreten. Deswegen sind Lohnsteigerungen von 3 % bei schwacher Produktivität auf Dauer zu hoch. Umso wichtiger ist es, alle möglichen Produktivitätsreserven auszuschöpfen. Die jetzt verabredeten höheren Mittel für die digitale Infrastruktur sind hierbei ein wichtiger Schritt als Voraussetzung von Industrie 4.0. Gerade der Industriestandort Deutschland kann hiervon durch Produktivitätssteigerungen profitieren. Zusätzlich winken zusätzliche Exporterfolge.
Deutschland: Mehr öffentliche Investitionen statt Konsum
Die Veröffentlichung der Detailzahlen zum Bruttoinlandsprodukt für das vierte Quartal hat eindrucksvoll die hohe Dynamik der privaten Verbrauchsausgaben in Deutschland belegt. So ist der reale Konsum im zweiten Halbjahr mit auf das Jahr hochgerechneten rund 3 ½ % gewachsen. Dieses Tempo wird sich 2015 nicht halten lassen. Trotzdem haben wir unsere Prognose für diese mit einem Anteil von 55 % wichtigste BIP-Komponente von 1,5 % auf 1,7 % erhöht. Das Wirtschaftswachstum dürfte in diesem Jahr 1,8 % (kalenderbereinigt: 1,6 %) betragen. Auch die anderen Komponenten der Binnennachfrage wie Ausrüstungs- und Bauinvestitionen haben sich zum Jahresende erholt. Der Außenhandel steuert trotz der anhaltenden geopolitischen Verwerfungen inklusive der Russland-Sanktionen moderat zum Wachstum bei.
Neben den "privaten" Komponenten sorgt zunehmend der Staat für mehr Wachstum in Deutschland. Aufgrund der günstigen Konjunktur steigen die gesamten Steuereinnahmen seit 2009 kontinuierlich. Nach Berechnungen des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" wird sich dies fortsetzen. Bis 2019 dürften die Einnahmen der Gebietskörperschaften um jahresdurchschnittlich rund 3 ½ % zulegen. Durch die extrem expansive Geldpolitik der EZB sind zudem die Kapitalmarktzinsen immer tiefer gesunken. Für Anleihen mit bis zu 6 Jahren Laufzeit wurden zuletzt sogar Negativzinsen akzeptiert. Dies erleichtert die Haushaltspolitik. Eine Änderung dieser außergewöhnlich günstigen Bedingungen ist kurzfristig nicht zu erwarten. Der öffentliche Finanzierungssaldo erreichte 2014 mit 0,6 % des Bruttoinlandsprodukts zum dritten Mal in Folge einen positiven Wert. Erstmals seit 2000, als die UMTS-Lizenzen für einen Einnahmeschub sorgten, schrieb der Bund im letzten Jahr schwarz. Bei den Gemeinden, die immerhin für gut 55 % der öffentlichen Bauleistungen verantwortlich sind, war es das vierte Jahr. Bei den Sozialversicherungen, die für den Großteil der Gesundheitsausgaben Verantwortung tragen, wurden im fünften Jahr teils erhebliche Überschüsse erzielt. Insofern ist es nicht überraschend, dass die öffentlichen Bauinvestitionen 2014 mit 3,7 % dynamisch zulegten. Da dieser Bereich über Jahre vernachlässigt worden ist, besteht hier ein großer Nachholbedarf insbesondere bei der Sanierung bestehender Verkehrsinfrastruktur.
Die öffentlichen Konsumausgaben stiegen im vergangenen Jahr mit 1,1 % zwar weniger stark als das Bruttoinlandsprodukt (1,6 %). Da sie aber keine zyklischen Einbrüche aufweisen, sind sie allerdings in den letzten zehn Jahren überdurchschnittlich gestiegen. Ihr Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Leistung lag mit 19,3 % fast einen Prozentpunkt höher als 2005. Für öffentliche Konsumausgaben bestehen normalerweise keine Marktpreise, so dass ihr Produktionswert über die Kostenseite bestimmt werden muss. Hier sind im Wesentlichen Arbeitnehmerentgelte enthalten. Hinzu kommen soziale Sachleistungen, beispielsweise aus den Bereichen Sozialhilfe und Sozialversicherung. Auch wenn die Steigerung des öffentlichen Konsums die Wirtschaftsleistung erhöht, sollten die Staatseinnahmen verstärkt in öffentliche Verkehrsinvestitionen, Forschung und Bildung fließen. Im Gegensatz zu Konsumausgaben wird hierdurch das Wachstumspotenzial erhöht, auch weil private Investitionen erleichtert werden.
USA: Mehr Rücken- als Gegenwind zu Jahresbeginn
Im Jahresendquartal legte die US-Wirtschaft gegenüber Vorperiode mit einer Jahresrate von 2,2 % zu. Der Arbeitsmarkt "brummte" aber trotz dieser - verglichen mit dem Sommerhalbjahr - geringeren Dynamik. In den drei letzten Monaten des Jahres 2014 stieg die Beschäftigung um fast 1 Mio. Der Start ins neue Jahr fiel unterschiedlich aus. Während die Investitionsnachfrage etwas schwächelt, bleiben Arbeitsmarkt und Konsum im Aufwind. Verzerrt wurden die Monatsdaten zuletzt auch wieder von Schneestürmen - wenn auch nicht annähernd im selben Ausmaß wie im Vorjahr - und von dem, was in den USA als "Verstopfung" der Westküstenhäfen bezeichnet wird. Diese Containerhäfen wickeln einen Großteil des Handels mit China und dem Rest Asiens ab. Es ist umstritten, ob es primär die Streikmaßnahmen der Hafenarbeiter (Bummelstreik, im Februar dann gefolgt von einer mehrtägigen Arbeitsniederlegung) oder strukturelle Engpässe in der Infrastruktur sind, die dazu geführt haben, dass derzeit eine Rekordzahl von Schiffen auf Reede liegt, weil ihre Ladung nicht gelöscht werden kann, während sich an Land die US-Exportgüter stapeln. Dies hat inzwischen einen Umfang angenommen, dass in der letzten Umfrage des ISM viele Teilnehmer über die negativen Auswirkungen des Engpasses auf ihre Geschäftstätigkeit geklagt haben.
Im Q1 dürfte das reale BIP insgesamt mit einer laufenden Rate von knapp 3 % expandieren. Der Gegenwind von der Fiskalpolitik flaut zunehmend ab. Gleichzeitig unterstützt die Geldpolitik nach wie vor die Konjunktur. Der spürbare Rückgang der Energiepreise entlastet zudem die Haushalte und stärkt die Kaufkraft: So legte der reale Konsum der Haushalte im Q4 um annualisiert 4,2 % zu, so kräftig wie seit Anfang 2006 nicht mehr. Im Januar wurde ein weiterer Anstieg um 0,3 % (Jahresrate: 3,6 %) verzeichnet. Dieser positive Impuls dominiert negative Effekte auf den Öl- und Gassektor. 2015 werden die Zuwächse beim realen BIP daher wohl oberhalb des Trends bleiben. Eine neutrale oder gar restriktive Geldpolitik liegt in ferner Zukunft. Im Jahresschnitt erwarten wir 2015 ein Wachstum von 3,3 %.
Der kräftige Rückgang des Ölpreises schlägt bereits auf die Verbraucherpreise durch. Analog zum Pfad der Rohölnotierungen rechnen wir nun mit einem Tief bei der Teuerungsrate im Q1 2015, wobei die Vorjahresrate vorübergehend leicht negativ ist. Danach sollte es jedoch basisbedingt wieder steil nach oben gehen. Wir erwarten für 2015 eine durchschnittlichen Teuerung von 0,7 % (Kernrate: 1,7 %), wobei der Monatswert Ende des Jahres wohl wieder über 2 % liegen wird. Die von der Fed angekündigte geldpolitische Wende rückt daher verstärkt in den Fokus. Trotz der temporär niedrigen Teuerung bleibt die US-Notenbank auf Kurs, die Phase der extrem expansiven Geldpolitik graduell zu beenden. Die erste Zinserhöhung steht wohl für die Sitzung Mitte Juni auf der Agenda. Allerdings dürfte der folgende Straffungsprozess der Fed eher noch langsamer ausfallen als derjenige ab 2004. Eine kräftige Verschärfung der monetären Bedingungen zeichnet sich weiterhin nicht ab. Die Aktienkurse haben neue Höchststände erreicht und das Zinsniveau am Kapitalmarkt ist sogar um einiges niedriger als vor Jahresfrist. Der stärkere Dollar wirkt tendenziell etwas dämpfend auf die Exporte, wird aber in seiner konjunkturellen Wirkung derzeit von den anderen Effekten überlagert.
China: Holpriger Start ins Jahr 4713
Über kaum eine Volkswirtschaft wird so viel diskutiert und geschrieben wie über die chinesische. Folgt man den aufgeregten Debatten, hängt das Wohl und Wehe der globalen Konjunktur, der Rohstoff- und Finanzmärkte oder gar das geopolitische Gleichgewicht von nichts anderem ab als der konjunkturellen Entwicklung in China. Richtig ist, dass das Land heute ein hohes Gewicht an der Weltwirtschaft hat - je nach der Berechnungsmethode rund ein Achtel bis ein Sechstel. Sein Beitrag zum globalen Wachstum ist sogar noch etwas höher, denn keines der anderen "Schwergewichte" wächst mit annähernd so hohen Raten wie China. Auch ist unbestritten, dass das Land über seine Ex- und Importe, nicht zuletzt von Rohstoffen, erheblichen Einfluss auf die Weltmärkte nimmt. Aus zwei Gründen sollten Anleger und Entscheider aber darauf achten, nicht einen übertrieben hohen Anteil ihrer Aufmerksamkeit auf chinesische Daten zu fokussieren.
Erstens ist die "China-Story" im Moment trotz der jüngsten Zinssenkungen der chinesischen Notenbank primär eine strukturelle, keine zyklische. Solange der seit Jahren befürchtete "große Knall" am Immobilienmarkt und/oder im Finanzsystem vermieden werden kann, bewegen sich positive wie negative Überraschungen in einem engen Band. Verglichen mit Russland und Brasilien hat es in China seit 2013 kaum konjunkturelle Überraschungen gegeben. Mit dem im Q4 verzeichneten Anstieg des realen BIP um 1,5 % (7,1 % gegenüber Vorjahr) liegt der Jahreswert für 2014 bei 7,4 % - spektakuläre 0,1 Prozentpunkte unter dem Wachstumsziel der Regierung und den Konsenserwartungen von Anfang 2014. Was tatsächlich nach unten revidiert wird, sind eher die mittelbis langfristigen Erwartungen für das Trendwachstum. Chinas Potenzialwachstum befindet sich auf einem graduellen Sinkflug, auf längere Sicht in Richtung 5 %.
Zweitens ist die Aussagekraft von einzelnen monatlichen Konjunkturdaten wegen ihrer Volatilität stets eingeschränkt. Dies gilt - wie inzwischen jeder weiß - umso mehr für China. Sich despektierlich über die Qualität der chinesischen Statistik zu äußern, gehört vielfach schon zum guten Ton. Der Informationsgehalt der Daten ist aber nie geringer als zu Beginn des Jahres. Da das chinesische Jahr auf einer Kombination aus Mond- und Sonnenkalender beruht, schwankt die Lage des Neujahrfestes im westliche Kalender in den Monaten Januar und Februar. Das Jahr des Schafs (oder 4713 der chinesischen Zeitrechnung) hat am 19. Februar begonnen. Die Feierlichkeiten zum Neujahr beeinflussen alle Arten von Statistiken, von den Preisen über Stromerzeugung, Nachfrage nach Transportdienstleistungen, Industrieproduktion bis zum Außenhandel. Da das Fest nicht verlässlich in einen fixen Monat fällt, versagen nicht nur die üblichen Saisonbereinigungsmethoden. Selbst die Vorjahresraten können zum Anfang des Jahres massiv verzerrt sein. In diesem Licht sind Meldungen der vergangenen Wochen über chinesische Konjunkturdaten im Januar und Februar 2015 zu interpretieren. Vor dem Hintergrund des Energiepreisverfalls und des in China sehr billigen Schweinefleischs (auch hier könnte das Timing des Neujahrs die Daten verzerrt haben) haben wir unsere Prognose für den Verbraucherpreisanstieg 2015 noch einmal auf 1,5 % nach unten angepasst. Dies hat aber wenig mit Deflationsdruck zu tun.
Dänemark: Währungsschaukel
In Dänemark sind nach zwei Jahren negativen Wachstums wieder bessere Zeiten angebrochen. Nachdem bereits 2014 ein Plus beim realen BIP von 1 % gegenüber dem Vorjahr verzeichnet werden konnte, deutet sich für 2015 abermals ein moderater Zuwachs an. Offenbar nutzen auch die Dänen den Spielraum, den ihnen die niedrigen Öl- und Nahrungsmittelpreise lassen, zum Einkaufen: Die im Vergleich zu den skandinavischen Nachbarn lange moderater verlaufenden Einzelhandelsumsätze haben im Verlauf von 2014 deutlich an Fahrt gewonnen. Die weiterhin hohe private Verschuldung von rund 300 % des verfügbaren Nettoeinkommens, die u.a. auf die weite Verbreitung tilgungsfreier Immobilienkredite zurückzuführen ist, beunruhigt die Verbraucher dabei offenbar nicht. Sie ist größtenteils langfristig, bei seitwärts tendierenden Hauspreisen. Insgesamt ist 2015 ein reales Wirtschaftswachstum von 1,3 % zu erwarten. Die Inflationsrate dürfte auch 2015 mit 0,6 % niedrig bleiben.
Angesichts des fragilen Aufschwungs steht der Wechselkurs derzeit noch stärker im Fokus als sonst. Die Dänische Krone ist seit 1999 Teil des Europäischen Wechselkursmechanismus mit einem definierten Leitkurs, der in einem engen Band stabil gehalten wird. Die Euro-Einführung lehnte die Bevölkerung ab. Die Krone hat 2014 insgesamt aufgewertet und galt durch den relativen Zinsvorteil gegenüber der Eurozone bei den Investoren als "sicherer Hafen". Da eine zu starke Aufwertung den Aufschwung stören könnte, ist die Notenbank dem zusätzlichen Druck, der nach der überraschenden Aufhebung des Schweizer Franken-Mindestkurses zum Euro entstand, mit Devisenmarktinterventionen entschieden entgegen getreten. Dazu stehen ihr grundsätzlich ausreichende Mittel zur Verfügung. Außerdem senkte sie ihren Leitzins auf das Niveau der EZB sowie den Einlagensatz in mehreren Schritten bis auf -0,75 % und damit unter den entsprechenden EZBSatz (-0,2 %). Anlagen in Dänischer Krone wurden dadurch unattraktiver, der Aufwertungsdruck reduzierte sich. Zusätzlich zielte die Regierung mit der Aussetzung neuer Bondemissionen darauf, den Devisenzustrom einzudämmen.
Nach Gerüchten über drohende Kapitalverkehrskontrollen kehrte sich die Kursentwicklung um, so dass die Krone trotz des raschen Dementis der Notenbank vergleichsweise deutlich an Wert verlor. Verschärft wurde die Bewegung offenbar von Investoren, die auf die Preisgabe der Wechselkursbindung gewettet hatten und nun ihre Kronen-Positionen aufgaben. Seit Anfang März scheint sich nun wieder "Normalität" einzustellen, so dass die Notenbank unter Berücksichtigung der Konjunktur den Spielraum für eine vorsichtige Revision ihrer letzten Zinslockerung prüfen wird. Eine stärkere Aufwertung wird sie aber aus konjunkturellen Erwägungen weiter zu vermeiden suchen.
Der aktuellen Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und Sozialliberalen bleibt bis zu den regulären Parlamentswahlen (spätestens September) nur noch rund ein halbes Jahr zur wirtschaftspolitischen Einflussnahme. Ob sie bei den Wahlen ein weiteres Mandat erhält, ist nach derzeitigem Stand der Meinungsumfragen unsicher.
Ungarn: Flottes Tempo
Die Konjunkturzahlen für das vierte Quartal bestätigten für Ungarn ein schwungvolles Jahr 2014 mit einem realen BIP-Wachstum von 3,5 %. 2015 dürfte sich die Dynamik leicht abschwächen, mit 3 % im Jahresdurchschnitt wird das Wachstum aber rund das Doppelte des EU-Durchschnitts betragen. Der Konsum hat merklich an Kraft gewonnen, die Einzelhandelsumsätze folgen einem dynamischen Aufwärtstrend. Dazu trägt, auch dank staatlicher Beschäftigungsprogramme, der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf gut 7 % entscheidend bei. Aber auch bei der Leistungsbilanz verblassen dank lebhafter Exporte der Automobil- sowie der Chemiebranche die Erinnerungen an das alte Dauer-Defizit. Der günstige Forint-Kurs hilft den Exporteuren. Die Inflation dürfte insgesamt niedrig bleiben. Für einen leichten Anstieg sprechen allerdings u.a. der langsam anziehende Ölpreis, nachlassende Basiseffekte der staatlich verordneten Energiepreissenkungen und die starke Inlandsnachfrage. Bei ihrer Sitzung im Februar entschied die Zentralbank daher, den Leitzins auf dem rekordniedrigen Niveau von 2,1 % zu belassen.
Die Aufhebung des Mindestkurses für den Schweizer Franken im Januar hat für Ungarn keine neuen Probleme gebracht: Anfang Februar ist ein Gesetz in Kraft getreten, das Fremdwährungsschuldner entlastet. Ende 2014 lag der Anteil von Krediten privater Haushalte in fremder Währung bei fast der Hälfte ihrer Verbindlichkeiten. Sie hatten vor einigen Jahren vermeintlich günstige Kredite insbesondere in Schweizer Franken aufgenommen, gerieten jedoch durch den Wertverlust des Forint zunehmend unter Druck. Nun können sie die Kredite zu einem begünstigten Kurs umwandeln und so die Belastung reduzieren. Die überfällige Senkung der umstrittenen Bankensteuer soll nach mehreren Verschiebungen ab 2016 schrittweise umgesetzt werden. Durch die Änderung des Referenzjahres für die Steuerbasis ergibt sich eine weitere deutliche Entlastung. Da die Unberechenbarkeit der Wirtschaftspolitik oft kritisiert wurde, soll dies wohl auch das Vertrauen der Investoren stärken. Den Forint, der wieder auf das Niveau von gut 300 Forint/Euro zurückgekommen ist, sollte dies - zumal bei robusten Wachstumsdaten - stabilisieren.
Zu Russland nimmt Ungarn eine Sonderposition in der EU ein: Das Land ist durch Energielieferungen weit stärker abhängig, als es der Außenhandel vermuten lässt. Denn nach Russland gehen weniger als 4 % der ungarischen Exporte. Der Importanteil liegt jedoch mehr als doppelt so hoch, da Ungarn seinen Öl- und Gas-Bedarf weitestgehend aus Russland deckt. Zwar ist die Erweiterung des Kernkraftwerks Paks geplant, was eine unabhängigere Deckung des Energiebedarfs ermöglichen würde. Doch schafft auch hier die Zusage milliardenschwerer russischer Investitionen neue Abhängigkeiten, so dass sich der ohnehin EU-kritische Ministerpräsident auf diplomatischer Gratwanderung befindet. Auch innenpolitisch ist die Situation nicht mehr so komfortabel: Bei einer Nachwahl zu den Parlamentswahlen büßte die Regierung im Februar überraschend ihre Zwei- Drittel-Mehrheit ein, mit der sie seit 2010 äußerst effektiv ihren Kurs durchsetzen konnte. Möglicherweise legt dies aber auch die Basis für weitere staatlich finanzierte Wohltaten.