Die Stimmungsschwankungen an den Börsen haben zuletzt sichtbar zugenommen. Schwächer als erwartet ausgefallene Konjunkturdaten - vor allem aus dem Euroraum - haben der Hoffnung auf eine baldige Überwindung der Wachstumsschwäche einen Dämpfer versetzt. Dennoch konnten Aktien von der Leitzinssenkung der EZB profitieren. Insgesamt scheint das kurzfristige Kurspotenzial bei Aktien aber begrenzt zu sein. Sollten Anleger also der alten Börsenweisheit "Sell in May and go away" folgen und sich für die nächsten Monate von Aktien verabschieden?
Rückrechnungen bis zum Jahr 1970 zeigen bei einer Reihe von Aktienmärkten für den Zeitraum von Mai bis Oktober eine signifikant niedrigere Performance als für die Phase von November bis April. Eine erfolgversprechende Strategie könnte es somit sein, zu Beginn der saisonalen Schwächephase von Aktien in Geldmarktanlagen umzuschichten. Die Anwendung einer vergleichbaren Strategie, die im Sechsmonatsrhythmus von Aktien in Liquidität umschichtet, taucht erstmals 1986 im "Stock Trader's Almanac" auf. Die Rückrechnung dieser Strategie bis Januar 1990 kann daher durchaus als Realitätstest verstanden werden.
Die Ergebnisse fallen dabei sehr unterschiedlich aus: Während sich beim DAX die Wechselstrategie über den Gesamtzeitraum betrachtet voll ausgezahlt hätte, ist der Unterschied zwischen "Sell in May"- und "Buy and Hold"-Strategie beim Dow Jones Industrials relativ gering ausgeprägt. Damit ist am US-Aktienmarkt ein Ergebnis zu beobachten, das aufgrund der zunehmenden Verbreitung des Wissens um Saisonalitäten eher den Erwartungen entspricht. Die markante Outperformance der Saisonstrategie beim DAX ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass hierdurch die gerade hierzulande dramatischen Kursverluste während der Baisse in den Jahren 1990, 2000 bis 2002 und zum Höhepunkt der Finanzkrise im Jahr 2008 zu einem großen Teil vermieden werden konnten. In der Haussephase 2003 bis 2007 lieferte allerdings "Buy and Hold" sowohl bei DAX als auch beim Dow Jones Industrials einen rund doppelt so hohen Ertrag wie die Timingstrategie. Der wesentliche Vorteil der Saisonstrategien besteht somit in der Verlustbegrenzung.
Saisonales Timing ist also kein Allheilmittel. Nur für den Fall deutlicher Kurskorrekturen würde sich ein Wechsel lohnen, zumal Geldmarktanlagen derzeit kaum Ertrag abwerfen. Zwar begrenzt die gegenwärtige Wachstumsunsicherheit das kurzfristige Aufwärtspotenzial bei Aktien. Die negativen Konjunkturüberraschungen dürften allerdings bald ihren Höhepunkt erreicht haben. Zudem bietet die insgesamt moderate Bewertung von Euro-Aktien einen gewissen Risikopuffer für den Fall zunächst noch rückläufiger Unternehmensergebnisse. Das Chance-Risiko-Verhältnis bei Dividendentiteln ist somit weitgehend ausgeglichen.