Adair Turner weckt Phantasie, dass die Schulden weggezaubert werden können
Ich habe jüngst ein Buch geschenkt bekommen, das für jeden Tag eine Losung ausgibt: Arthur Lassen, Heute ist mein bester Tag. Ein kleines bisschen erinnert es an die Abreißkalender aus der Kindheit. Beim ersten Durchblättern bin ich bei dem Satz "Phantasie ist die Fähigkeit, in Bildern zu denken" hängen geblieben. Kurz zuvor hatte ich einen Artikel über die jüngsten Ideen von Adair Turner zur Lösung der Schuldenkrise gelesen. Zweifelsohne beweist Turner mit seinem Vorschlag viel Phantasie. Wer aber ist Adair Turner und wie sieht sein Vorschlag im Detail aus?
Möglicher Notenbankchef mit gewagtem Vorschlag
Adair Turner ist Vorsitzender der Financial Services Authority (FSA), der britischen Finanzaufsichtsbehörde. Da 2013 die britische Notenbank die FSA wieder unter ihr Dach nimmt, so wie es bis 1997 der Fall war, wird derzeit spekuliert, dass Turner dann Gouverneur der Bank of England werden könnte. Der Vorschlag kommt also von einem möglichen Notenbankchef.
Alle großen Notenbanken kaufen Staatsanleihen
Seit Beginn der Finanzkrise haben alle großen Zentralbanken weltweit Anleihen ihrer Länder aufgekauft. Nicht nur die EZB sitzt auf einem großen Paket von Staatsanleihen, auch die Federal Reserve in den USA, die Bank of Japan und die Bank of England beschreiten einen vergleichbaren Weg. Der Vorschlag Turners bezieht sich auf die britische Notenbank, die rund ein Drittel der Schuldentitel des eigenen Landes hält.
Umwandlung in zins- und tilgungsfreie Anleihen
Seine Idee ist es, diese in unverzinsliche Anleihen mit unendlicher Laufzeit umzuwandeln. Es fallen also weder Zinsen noch Tilgungen an. Ein erheblicher Teil des Schuldenberges würde quasi weggezaubert. Eine verlockende Vorstellung, die der Phantasie Turners entspringt. Ist das tatsächlich der gewünschte Befreiungsschlag für den britischen Staatshaushalt?
Rechte Tasche - linke Tasche
Zwar spart sich der Schatzkanzler die Zinszahlungen. Wenn die Notenbank aber keinen Kupon auf wesentliche Teile ihres Wertpapierbestandes mehr erhält, schmälert dies ihren Überschuss. Entsprechend gehen auch die Überweisungen an den Staat aus dem Notenbankgewinn zurück. Dann würde auch der jüngste Vorschlag zur direkten Überweisung der Kuponzahlungen aus dem Wertpapierbestand der Notenbank in den Staatshaushalt obsolet werden. Aber was soll's - schließlich geht es nur um rechte Tasche, linke Tasche. Man sieht also, dass der Vorschlag gar nicht eine wirkliche Verbesserung des Staatshaushalts verspricht.
Turners Idee weckt weitere Begehrlichkeiten
Turner regt aber die Phantasie an. Er schafft es auf den ersten Blick, die Illusion zu erzeugen, dass die Staatsschulden weggezaubert werden können: also ein Schuldenerlass durch die Hintertür. Die Ursachen der ausufernden Staatsverschuldung - das Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben - würde damit jedoch nicht beseitigt. Vielmehr weckt dieses Modell Begehrlichkeiten. Die Länder gäben ihre Sparanstrengungen auf und ließen von Strukturreformen ab. Der Schuldenberg türmte sich abermals auf. Die Notenbank geriete erneut unter Druck, Staatsanleihen aufzukaufen.
Gefahr des Vertrauensverlusts
Selbst wenn zunächst keine inflationären Effekte zu spüren wären, dürften sich mittelfristig die Inflationserwartungen aus der Verankerung lösen. Dann könnten die Staaten auch gleich die No-tenbank bitten, Geld direkt für sie zu drucken. In der Folge würde das Vertrauen in das "Papiergeldsystem" erodieren.
Verschuldungsspirale beenden
Ein Schuldenerlass kann aber unter bestimmten Rahmenbedingungen auch von Erfolg gekrönt sein, wie Beispiele aus Entwicklungs- oder Transformationsländern belegen. Dies erfordert jedoch, dass das Problem an der Wurzel gepackt wird. Dazu zählt einerseits eine disziplinierte Ausgabenpolitik. Zum anderen kommt es aber auch darauf an, die Einnahmen des Staates nachhaltig zu verbessern. Strukturreformen zur Stärkung der Wachstumskräfte sind zwar zunächst schmerzhaft. Die Erfolge werden nämlich erst mit zeitlicher Verzögerung sichtbar. Gelingt es damit aber einen höheren Wachstumspfad zu erreichen, kann man sich aus der Verschuldungsspirale befreien. Zu-mal in diesem Fall das Vertrauen der Finanzmärkte gestärkt und vermutlich eine geringere Zinslast erreicht würde.
An Strukturreformen geht kein Weg vorbei
An Strukturreformen geht also kein Weg vorbei - mit oder ohne Schuldenverzicht! Dazu fällt mir noch eine weitere Losung aus meinem neuen Buch ein: Wenn nicht jetzt, wann dann?