Genau dies wäre aber der beste Zeitpunkt gewesen, um bei Aktien zuzugreifen! Seitdem stieg der DAX in der Spitze bis auf gut 10.000 Punkte. Dies entspricht einer Rendite von 14,3 % pro Jahr. Anleger die in der Spitze der New Economy-Blase im März 2000 in das deutsche Blue Chip-Barometer investiert und bis heute durchgehalten hätten, kämen dagegen auf eine magere Rendite von 1,5 % pro Jahr. Dies sind zwar Extrembeispiele. Sie verdeutlichen allerdings eindrucksvoll, dass der Rat von André Kostolany "Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten und schauen Sie die Papiere nicht mehr an. Nach vielen Jahren werden Sie sehen: Sie sind reich" heute zumindest nicht mehr uneingeschränkt gilt.
Seine Überlegungen resultieren aus den Jahren, in denen Aktien in einem säkularen Aufwärtstrend waren. Insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg bis Mitte der 60er Jahre trieben starke Wachstumsraten des Sozialprodukts auch die Aktienmärkte. Nach einer Durststrecke in den inflationsgeplagten 70ern sorgte in den 80ern eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik im Geiste der Chicagoer Schule für neuen Schwung auch an den Aktienmärkten. Seit dem Platzen der New Economy-Blase - und insbesondere mit der Finanz- und Wirtschaftskrise - haben sich die Rahmenbedingungen jedoch stark verändert. So hatte ich bereits im Jahr 2007 darauf hingewiesen, dass die Zeit "des einfachen Geldverdienens vorbei und insgesamt mit einer deutlich höheren Volatilität zu rechnen sei." Die taktische Asset-Allocation, d.h. das Ausnutzen zyklischer Kurspotenziale, gewinnt damit enorm an Bedeutung.
Wie aber erkennt man einen günstigen Einstiegszeitpunkt? Zunächst sollte man sich von der Idee verabschieden, das absolute Tief für den Ein- und das absolute Hoch für den Ausstieg zu erwischen. Für den langfristigen Anlageerfolg ist es vielmehr entscheidend, Positionen dann aufzubauen, wenn Aktien unterbewertet sind und vorsichtiger zu werden, wenn Kurse und Bewertungen bereits stark gestiegen sind. In der Praxis hat sich für das Timing eine Kombination aus fundamentalen, technischen und verhaltensorientierten Indikatoren bewährt. Konkret bedeutet dies, wenn die konjunkturellen Frühindikatoren Spitzenniveaus erreicht haben, die Bewertung hoch und die Stimmung ausgesprochen optimistisch ist: Finger weg von Aktien. Genau dies hatte ich jüngst bei DAX-Notierungen jenseits von 9.500 Punkten empfohlen. Schließlich waren höhere Notierungen nicht mehr durch entsprechende Wachstums- und Gewinnaussichten getragen, sondern lediglich der ultralockeren Geldpolitik der westlichen Notenbanken geschuldet.
Im Zuge der jüngsten Kurskorrekturen hat sich ein Teil der Überhitzung zwar schon abgebaut. Von einer Kapitulation, die im Sinne der Kontraindikation für eine wieder offensivere Positionierung bei Aktien sprechen würde, kann allerdings noch lange keine Rede sein. Viele Marktteilnehmer interpretieren die Korrektur als reinigendes Sommergewitter. Dabei deuten die sich weiter eintrübenden fundamentalen Rahmenbedingungen eher auf eine ausgedehnte Schlechtwetterphase hin. So sind hierzulande die ZEW-Konjunkturerwartungen zum achten, der ifo-Geschäftsklimaindex zum vierten Mal in Folge gefallen. Dies signalisiert eine spürbare Wachstumsverlangsamung. Die durchschnittlichen Unternehmensgewinnschätzungen wirken vor diesem Hintergrund unrealistisch hoch. Gleichzeitig legen rückläufige Frühindikatoren einen weiteren Bewertungsabbau nahe. Die Korrektur dürfte sich somit noch fortsetzen, zumal Aktien nun auch technisch angeschlagen sind. Vorerst gilt es, das Pulver trocken zu halten und auf eine günstige Einstiegsgelegenheit zu warten. Diese sehe ich erst bei einem DAX-Stand im Bereich um 8.300 Punkte.
Beitrag erschienen in "Die Welt", 23. August 2014