US-Umweltbehörde bringt Stein ins Rollen
Die EPA (Environmental Protection Agency) hat bei verschiedenen Diesel-Modellen des Volkswagen-Konzerns Abgasmanipulationen aufgedeckt. Um die Typenzulassung nach US-Norm zu erhalten, wurde von VW eine spezielle Software eingesetzt, die während einer Testphase die Stickstoffoxid-Emissionen auf den erforderlichen Grenzwert verringert. Im normalen Fahrbetrieb liegt der Schadstoffausstoff dagegen beim bis zu Vierzigfachen des gesetzlichen Limits.
Volkswagen hat diese Manipulationen bei den US-Modellen eingeräumt. Außerdem ist diese Software weltweit in insgesamt 11 Mio. Diesel-Pkw der Marken VW, Audi, Seat, Skoda verbaut worden. Unbekannt ist bislang, ob diese Software auch bei Testzyklen außerhalb der USA zum Einsatz kam. Andere, zulassungsrelevante Schadstoffgrenzwerte werden in den USA eingehalten. Gravierende Abweichungen zwischen Schadstoffausstoß und Grenzwert sind für Europa bislang nicht bekannt.
Eine teure Affäre
Dennoch dürften auf Volkswagen finanzielle Belastungen in Milliarden-Höhe zukommen. Zur Beseitigung der Mängel aus der Produkthaftung hat VW bereits Rückstellungen von 6,5 Mrd. EUR gebildet, die im Abschluss für das dritte Quartal 2015 stehen werden. Für die Manipulation kann die US-Behörde EPA eine Strafe von höchstens 18 Mrd. USD (rund 16 Mrd. EUR) verhängen. Da Volkswagen mit den Behörden zusammenarbeitet, ist es allerdings wahrscheinlich, dass der Maximalrahmen nicht ausgeschöpft wird. Die genaue Höhe ist jedoch noch nicht genau abzuschätzen. Zwar hat die EPA in den letzten Jahren schon mehrere Hersteller beim Einsatz von Komponenten oder Software zur Manipulation der Abgaswerte ertappt. Die festgesetzten Strafzahlungen sind aber recht niedrig ausgefallen, was allerdings wohl auch den weit geringeren Grenzwertüberschreitungen geschuldet ist.
Welche Ansprüche darüber hinaus geltend gemacht werden könnten, ist schwer abzuschätzen. So hat u.a. der US-Landkreis Harris County hat eine Schadenklage von 100 Mio. USD angekündigt und andere Landkreise aufgefordert, sich seiner Klage anzuschließen. Die spanische Regierung hatte die Rückzahlung der Abwrackprämie von 1.000 Euro pro Diesel-Fahrzeug angekündigt, ist inzwischen aber schon wieder zurückgerudert.
Existenzängste übertrieben
Die finanziellen Belastungen werden Rentabilität und Bonität von Volkswagen zweifelsohne vor allem in den beiden kommenden Jahren stark unter Druck setzen. Dass die Belastungen den Konzern in eine existenzbedrohende Lage bringen, ist gleichwohl nicht zu erwarten. Immerhin generierte die Automobilsparte in den vergangenen fünf Jahren einen operativen Cashflow von 17,9 Mrd. EUR p.a. Die liquiden Mittel und Wertpapiere im Konzernsegment Automobile bezifferten sich per 30.06.2015 auf 27,7 Mrd. EUR. Zudem wollen die Wolfsburger Presseberichten zufolge in den kommenden Jahren im Einkauf jährlich bis zu 3 Mrd. EUR einsparen. Auch Boni und Ergebnisbeteiligung dürften zur Disposition stehen. Darüber hat das Management bereits Investitionskürzungen im Umfang von 1 Mrd. EUR pro Jahr angekündigt. Über Dividendenkürzungen (Ausschüttung für das GJ 2014: 2,3 Mrd. EUR) könnten weitere Mittel mobilisiert werden. Auch das Thema Kapitalerhöhung ist noch nicht gänzlich vom Tisch. Allein über die Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien ließen sich zu derzeitigen Kursen rund 12 Mrd. EUR einsammeln, ohne den gesetzlich vorgeschriebenen Proporz zu den Stämmen zu gefährden. Überraschend große Belastungen könnten zudem durch einen Griff in das umfangreiche Beteiligungsportfolio des Konzerns gedeckt werden.
Die Hauptsorge (nicht nur) in Wolfsburg: das Kundenvertrauen
Eine Schlüsselfrage bleibt gleichwohl, ob Volkswagenkunden ihrer Marke die Treue halten werden. In den USA wurde der Verkauf der Diesel-Pkw eingestellt, weil für die betroffenen Fahrzeugtypen die Zulassung entzogen wurde. In den letzten zwölf Monaten hat der Konzern in Nordamerika 606.770 PKW abgesetzt, davon waren rund 20 % mit Dieselmotoren ausgestattet. Ob VW mit Pkw-Diesel in den USA wieder Fuß fassen kann, sei dahingestellt. Entscheidend ist jedoch, ob der Imageschaden die Benzinmodelle erfasst. Die Entwicklung der Absatzzahlen bei anderen Rückrufaktionen zeigt, dass Kunden derartige Ereignisse bei ihrer Kaufentscheidung nicht allzu stark gewichten. So wirkten sich defekte Airbags oder Zündschlösser bei Toyota bzw. GM kaum auf die Nachfrage aus, obwohl hier in einigen Fällen sogar Menschen ums Leben kamen.
Die Dieseltechnik steht auf dem Prüfstand
Auch die Angst vor einer generellen Abkehr von der Diesel-Technologie erscheint voreilig. So sprechen wirtschaftliche Gründe nach wie vor für diese Technik. Immerhin verbraucht ein Dieselmotor weniger Kraftstoff als ein Benziner, auch der Literpreis des Treibstoffes ist, jedenfalls in Europa, niedriger. Auch umweltpolitische Ziele in Europa sind vorerst nur mit Dieselfahrzeugen erreichbar. Erst ab dem Jahr 2021 dürfte es schwieriger werden, die Grenzwerte ohne ergänzende und damit teurere Technik einzuhalten. Dass alternative Antriebssysteme dem Verbrennungsmotor in den kommenden Jahren signifikante Marktanteile abnehmen werden, halten wir jedoch für sehr unwahrscheinlich. Zu groß sind derzeit noch die Defizite in puncto Anschaffungspreis, Reichweite oder Infrastruktur. Zudem dürften weltweit nur wenige Länder willens und in der Lage sein, diese Technologien durch großzügige Subventionen oder Kaufanreizprogramme zu fördern.
Für Zulieferbetriebe wird Volkswagen als Kunde vom Zugpferd zum Risiko
Die Auswirkungen des Abgasskandals auf die Zulieferbranche dürften unterschiedlich ausfallen. Schwere Zeiten könnten Zulieferern ins Haus stehen, die einen hohen Umsatzanteil mit dem Volkswagen-Konzern erwirtschaften und möglicherweise geringere Abrufe der Wolfsburger nicht durch Mehrgeschäft mit anderen Autobauern abfedern können. Sollten sich die Kunden von Volkswagen abwenden, würden sie nicht nur unter geringeren Volumina leiden, sondern auch besonders stark den nochmals steigenden Preisdruck aus Wolfsburg zu spüren bekommen. So will der Autobauer bei seinen Zulieferern Berichten zufolge weitere 3 Mrd. EUR einsparen, was rund 2 % seines jährlichen Bedarfs an Materialien und Vorprodukten entspricht.
Leider lassen sich viele Teilelieferanten bei ihrer Umsatzverteilung nach einzelnen Kunden ungern in die Karten schauen. Da die deutschen Zulieferer ihren Schwerpunkt oft noch in Europa haben und die heimischen Autobauer häufig ihre wichtigsten Kunden sind, dürfte sich der Anteil von Volkswagen aber meist zwischen 20 und 40 % bewegen. Dabei ist zu erwarten, dass er umso niedriger ausfällt, je größer ein Zulieferer ist. Schließlich sind große Konzerne wie Continental oder Bosch in der Regel globaler aufgestellt und oft in Geschäftsfeldern außerhalb der Automobilindustrie tätig, deren Ertragslage durch die Abgasaffäre nicht berührt wird. Für kleinere Zulieferbetriebe, die stark von Volkswagen abhängig sind, können jedoch erhebliche Risiken bestehen - insbesondere wenn sie nur einzelne oder einige wenige Werke beliefern. Hier könnte nämlich selbst ein insgesamt moderater Nachfragerückgang bei Volkswagen in gravierende Produktionskürzungen münden.
Viele Autoteile können unabhängig vom Kraftstoff verbaut werden
Sollte der Dieselmotor selbst durch die Abgasaffäre an Beliebtheit verlieren, ist vor allem das Produktangebot einzelner Zulieferer für den weiteren Geschäftserfolg entscheidend. Da viele Komponenten unabhängig vom Kraftstoff in einem Auto verbaut werden, dürften drohende Umsatzeinbußen trotz des hohen Marktanteils des Diesels in Europa meist nur moderat ausfallen. Einige Produkte wie Kraftstoffpumpen, Einspritz- oder Abgassysteme sind jedoch speziell auf die Dieseltechnik ausgelegt. Die wichtigsten Lieferanten für Dieselkomponenten sind mit Bosch und Continental wiederum die Großen der Branche.
Dabei beziffert Continental den Umsatzanteil, der auf Dieselprodukte entfällt, auf 1,2 Mrd. EUR. Dies entspricht in etwa 5 % des Erstausrüstungsgeschäfts mit der Automobilbranche beziehungsweise 3 % des Konzernumsatzes. Der Diesel-Pionier Bosch berichtet diesbezüglich keine konkreten Zahlen, hier dürfte der Dieselanteil aber deutlich höher liegen. Älteren Presseberichten zufolge dürfte der Umsatzanteil bei gut 10 % auf Konzernebene und rund 20 % im Bereich Fahrzeugtechnik liegen, wobei etwa die Hälfte des Geschäfts auf Nutzfahrzeuge entfällt. Bei kleineren und fokussierten Betrieben kann die Bedeutung des Dieselmarktes nochmals deutlich größer ausfallen.
Stärkerer Fokus auf Schadstoffemissionen zweischneidiges Schwert für Zulieferer
Durch die Abgasaffäre ist das Thema Schadstoffemission nicht nur in den Fokus von Ermittlern und Behörden, sondern auch von Verbrauchern und Politik gerückt. Hieraus könnte sich abermals der Druck auf die Autobauer erhöhen, ihre Fahrzeuge noch sauberer zu machen. Ein Großteil der damit verbundenen Wertschöpfung dürfte an die Zulieferindustrie wandern. Dabei stehen nicht nur Hightech-Produkte im Fokus, die einen direkten Effekt auf den Kraftstoffverbrauch haben. Auch scheinbar einfache Teile können, beispielsweise über eine Gewichtsreduktion, ihren Beitrag leisten. Allerdings werden den hieraus winkenden Erträgen erst einmal höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung vorgelagert sein. Dazu aber müssen die Zulieferer über die finanziellen Mittel verfügen, um von der Konkurrenz nicht abgehängt zu werden.
Finanz- und Liquiditätslage vor allem bei kleinen Spielern von Bedeutung
Die Finanzausstattung ist auch an anderer Stelle von entscheidender Bedeutung. So führt ein abrupter Nachfragerückgang bei kleineren Zulieferbetrieben, die auf einzelne oder nur wenige VW-Werke fokussiert sind, möglicherweise zu einem Liquiditätsengpass. Zudem ist Volkswagen möglicherweise versucht, seine Zahlungsziele zu straffen, was sich ebenfalls negativ auf den Cashflow auswirken könnte. Entsprechend ist bereits jetzt zu beobachten, dass die Risikoprämien für Fremdkapital selbst bei großen Zulieferern spürbar gestiegen sind. Offenbar wird derzeit die gesamte Branche in „Sippenhaft" genommen. Unternehmen sollten deshalb gerade jetzt möglichst transparent gegenüber ihren Finanzpartnern sein und etwaigen Finanzbedarf frühzeitig klären.
Konjunkturelle Auswirkungen überschaubar
Die konjunkturellen Auswirkungen des VW-Skandals in Deutschland dürften überschaubar bleiben, obwohl der Fahrzeugbau hierzulande die bedeutendste Branche ist. Immerhin erwirtschaftet die Automobilindustrie einen Umsatz von jährlich rund 400 Mrd. €, was einem Anteil am gesamten Verarbeitenden Gewerbe von annähernd 24 % entspricht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die tatsächliche Bedeutung sogar noch größer ist, denn in der amtlichen Statistik sind zahlreiche Zulieferer nicht im Fahrzeugbau erfasst. So gehören beispielsweise die Reifenhersteller zur Gummiverarbeitung und einige elektronische Komponenten sind Bestandteil der Elektroindustrie.
Gemessen an der Produktion liegt der Anteil des Fahrzeugbaus bei 19 % der Industrie und die Automobilexporte erreichen 18 % der gesamten deutschen Warenausfuhren. Ähnlich liegt die Größenordnung der automobilen Bruttowertschöpfung (17 %). Da aber das Verarbeitende Gewerbe nur knapp 23 % der gesamten hiesigen Wirtschaftsleistung ausmacht, entspricht die Wertschöpfung des Fahrzeugbaus weniger als 4 % der deutschen Bruttowertschöpfung. Die Bedeutung für die deutsche Konjunktur ist damit überschaubar, selbst wenn man die erwähnten nicht erfassten Zulieferer mit in Betracht zieht.
Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass von der deutschen Automobilindustrie erhebliche Ausstrahleffekte auf andere Branchen ausgehen. Zusammen mit dem Maschinenbau, der Elektrotechnik, der Stahlindustrie und anderen Bereichen dominiert der Fahrzeugbau regionale Cluster. Wenngleich die kurzfristigen Auswirkungen des VW-Skandals für die deutsche Konjunktur eher geringfügig sind, besteht die Gefahr, dass mittelfristig umfangreiche Investitions- und Forschungsprojekte verschoben oder gar aufgegeben werden. Dies hätte erhebliche Konsequenzen für die gesamte deutsche Industrie. Besonders bedeutend ist der Fahrzeugbau für die deutschen Investitionen in Forschung und Entwicklung. Nach den Ergebnissen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung investierte der Fahrzeugbau 2013 hier 17 Mrd. EUR. Dies entspricht fast einem Viertel der FuE-Aktivitäten aller Wirtschaftszweige. Allerdings gehen wir nicht davon aus, dass VW seine Forschungsausgaben bzw. seine Investitionen nennenswert reduziert.
Besonders abhängig von der Automobilindustrie und damit auch von VW sind die zentraleuropäischen Länder Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen. Insbesondere die Slowakei ist ein führender Volkswagen-Standort. Nirgendwo werden mehr Autos pro Einwohner produziert. Diese europäischen Staaten haben im Gegensatz zu Deutschland kein so gut diversifiziertes Branchen-Portfolio, so dass Probleme in der Autoindustrie schneller und stärker auf die Konjunktur durchschlagen würden. Wir gehen allerdings auch für diese Länder davon aus, dass Friktionen auftreten, konjunkturelle Effekte aber von untergeordneter Bedeutung sein werden.