Wochen-Quartals-Tangente
Das politische Klima zwischen dem Westen und Russland bleibt frostig, auch wenn sich an den Kapitalmärkten allmählich Tauwetter ausbreitet. Nach anfänglicher Schockstarre gehen viele Investoren davon aus, dass sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Ukraine-Krise in Grenzen halten. Dennoch ist eine politische Lösung nicht in Sicht: Nach dem Quasi-Übertritt der Halbinsel Krim zu Russland hat US-Präsident Obama das geplante Referendum als Verstoß gegen internationales Recht kritisiert. Neben den USA denken auch die Staaten der Europäischen Union über Sanktionen gegenüber Russland nach. Eine politische Lösung ist nicht in Sicht. Die angedrohte Suspendierung von EU-Abkommen mit Russland dürfte kaum für eine Beruhigung sorgen. Erfolgversprechender scheint uns die Androhung der Einfrierung von Konten. Das Faustpfand der Konten könnte dafür sorgen, dass eine Eskalation vermieden werden kann. Damit bleiben zwar Risiken, doch sind diese für die deutsche Konjunktur (S. 5) aktuell überschaubar. Insofern erholten sich die Aktienmärkte (S. 1) und widmeten sich wieder mehr den fundamentalen Themen. Allerdings ist hier die Lage recht unübersichtlich.
In den USA sind die Konjunkturdaten wetterverzerrt, woran sich in der Berichtswoche mit der Veröffentlichung der Einzelhandelsumsätze für den Februar wenig ändern dürfte. Damit bleibt die Fed ihrem aktuellen Pfad treu, d.h. Spekulationen ob sie früher oder später tapert oder das Tapern gar abbricht, können keine nachhaltigen Kurstreiber sein. Demgegenüber betonte EZB-Chef Draghi die gute konjunkturelle Situation im Euroraum (S. 4), was die Deflationsrisiken relativiere. Eine Leitzinssenkung ist damit vom Tisch und auch mit weiteren Liquiditätsmaßnahmen hat sich die EZB (noch) zurückgehalten. Diese werden u.E. aber im Jahresverlauf kommen, schon um sich gegenüber etwaigen Zinswenden in den USA abzusichern. Allerdings wird dies den Euro später als von uns erwartet schwächen. Insgesamt stehen die Industrieländer besser da als die Schwellenländer.
Hier bleiben konjunkturelle Risiken - abseits der politischen - präsent. In der Berichtswoche wird die chinesische Industrieproduktion veröffentlicht, die Vorgaben vom Einkaufsmanagerindex stellen eine eher schwache Entwicklung in Aussicht. Zudem konnte erstmals ein chinesisches Unternehmen seine Anleihen nicht bedienen. Es steht zu befürchten, dass weitere folgen.
Von diesen Risikoprämien dürften Bunds und Treasuries etwas profitieren. Tauwetter ist noch nicht angesagt, auch wenn der Frühling klimatisch Einzug hält.
Renten: "Depot sucht Sicherheit"
Die abwartende Haltung der EZB hat den Zinssenkungsfantasien zuletzt einen empfindlichen Dämpfer verpasst. Gleichwohl ist nicht mit einem spürbaren Renditeanstieg zu rechnen. Die angespannte geopolitische Lage zementiert den Safe-Haven-Status von Bundesanleihen. Eine offene Flanke bleibt die Entwicklung der US-Treasuries. Diese profitieren derzeit nicht nur von dem Sicherheitsbedürfnis der Anleger, sondern auch von den recht entspannten Erwartungen bezüglich der US-Geldpolitik.
Prognoserevision
Die Sorgen vor einem Krieg in der Ukraine sind etwas abgeflaut und die Renditen deutscher Renten zuletzt wieder leicht angestiegen. Die zweite Fluchtwelle in die Sicherheit innerhalb weniger Wochen hat jedoch den Safe-Haven-Status von Bundesanleihen zementiert. Viele internationale Anleger suchen angesichts des in weiten Teilen der Welt schwierigen ökonomischen Umfelds sowie der fragilen geopolitischen Lage Sicherheit für ihre Depots und sind bereit, einen hohen Preis zu zahlen. Der Anlagenotstand ist gewaltig und sichere Wertpapiere mittlerweile ein rares Gut, auch weil beispielsweise in Deutschland angesichts ausgeglichener öffentlicher Haushalte kaum zusätzliche Papiere angeboten werden. Gleichzeitig sind die Liquiditätsschleusen durch die Geldpolitik der Notenbanken in den Industrieländern noch immer weit geöffnet. Die Inflationsentwicklung erlaubt dies. Im Euroraum ist trotz der jüngsten Stabilisierung bei der Teuerung und einem Anstieg der Kernrate die Inflation in den letzten Monaten deutlich langsamer gestiegen als erwartet. Dies gibt auch auf der Bewertungsseite einen gewissen Spielraum für niedrigere Renditen.
Wir reduzieren daher unsere Prognosen für deutsche Rentenpapiere. Für 10-jährige Bunds senken wir das Renditeniveau für dieses Jahr um 20 Basispunkte. Auch bei US-Treasuries nehmen wir leichte Korrekturen vor.
USA bleiben Achillesferse
An der grundsätzlich aufwärtsgerichteten Renditeentwicklung bis Jahresende halten wir gleichwohl fest. Die zyklische Entwicklung wird zwar durch oben beschriebene Faktoren überlagert, dürfte sich jedoch auch von der EZB nicht vollständig egalisieren lassen und mittelfristig zu einer steileren Zinsstruktur führen. Dreh- und Angelpunkt der Überlegung sind die Zinserwartungen in den USA. Die schwächeren, jedoch größtenteils wetterverzerrten Konjunkturdaten aus den USA haben die US-Renditen zu Jahresbeginn gedrückt. Tritt die Robustheit der US-Wirtschaft wieder deutlicher hervor, dürfte die Diskussion um den richtigen Kurs der US-Notenbank das Geschehen an den Finanzmärkten bestimmen. Der Druck, auf die Bremse zu treten, wird für die Fed spürbar zunehmen. Zuletzt waren die Terminmarktsätze im Geldbereich sehr niedrig. Spätestens im dritten Quartal wird sich u. E. allerdings ein höheres Niveau einstellen und die Renditen 10-jähriger USTreasuries über die 3 %-Marke heben. In ihrem Geleitzug dürfte auch die Bunds-Rendite über die 2 %-Marke springen.
Deutschland - Russland: Gegenseitige Abhängigkeiten
Nicht die Ukraine, sondern Russland ist für Deutschland ein wichtiger Handelspartner. Allerdings besteht diese Abhängigkeit auch in umgekehrter Richtung. Deswegen sollte versucht werden, die politisch vertrackte Lage auf der Krim durch Verhandlungen zu entschärfen. Handelssanktionen sollten möglichst vermieden werden.
Durch die militärische Eskalation auf der Krim-Halbinsel stellt sich die Frage, wie stark eine mögliche Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine und zu Russland Deutschland treffen würde. Die Ukraine selbst ist als Handelspartner für Deutschland von untergeordneter Bedeutung.
Sie nahm 2013 nur Waren von gut 5 Mrd. € auf bei einem deutschen Gesamtexport von 1,1 Billionen Euro. Das Land steht damit an 37. Stelle der Exportdestinationen. Bei den Einfuhren liegt das Schwarzmeerland mit 1,5 Mrd. € sogar nur an 55. Stelle.
Deutsche Energieabhängigkeit
Viel wichtiger für Deutschland ist aber Russland, das 2013 mit rund 36 Mrd. € 3,3 % der deutschen Warenausfuhren aufgenommen hat. Sogar 4,5 % der deutschen Importe kamen von dort. Damit ist die Bundesrepublik auch Russlands wichtigster Handelspartner in der EU. Das östliche Land ist zudem der für Deutschland bedeutendste Lieferant von Erdgas und Erdöl. 39 % des Erdgases und 35 % des Rohöls werden von dort bezogen. Eine erhebliche Belastung des deutsch-russischen Handels beispielsweise durch gegenseitige Sanktionen und Zölle könnte damit nicht nur die Energieversorgung hierzulande gefährden, sondern auch zu empfindlichen Exporteinbußen führen.
Trotz politischer Spannungen ist es allerdings in den letzten Jahrzehnten nie zu einer Einschränkung der Gaslieferungen gekommen. 6.000 deutsche Firmen sind mit Produktionsstätten oder anderweitig in Russland vertreten. Auch sie brauchen ein spannungsfreies Wirtschaftsklima. Bereits jetzt wird der Handel durch die zuletzt schwache Wirtschaftsentwicklung Russlands und den jüngsten Rubelverfall belastet. So sind die deutschen Exporte dorthin 2013 um 5,2 % gesunken, während die gesamte deutsche Ausfuhr in etwa stagnierte. Dies ging mit einem für russische Verhältnisse schwachen gesamtwirtschaftlichen Wachstum von nur 1,4 % einher.
Russische Kapitalgüterabhängigkeit
Allerdings ist auch die russische Wirtschaft auf die Produkte und Direktinvestitionen der deutschen Industrie angewiesen. Immerhin stammen rund 14 % der russischen Einfuhren aus Deutschland.
Russland benötigt für die weitere Entwicklung vor allem einen Investitionsschub. Die entsprechenden Maschinen und elektrotechnischen Güter kommen in nicht unwesentlichem Ausmaß aus Deutschland. Durch die derzeit gestiegene Unsicherheit aufgrund der Krimkrise werden die Direktinvestitionen leiden. Zudem könnten sich die Kapitalabflüsse noch verstärken. Schon im vergangenen Jahr war es nach Angaben der Notenbank zu einem kräftigen Kapitalabfluss aus Russland in Höhe von rund 60 Mrd. US-Dollar gekommen. Insofern bleibt zu hoffen, dass die außenpolitisch vertrackte Situation in der Ukraine doch noch über Verhandlungen und nicht durch eine gegenseitige Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen gelöst wird.