- 1 Die Woche im Überblick
1.1 Chart der Woche
Wenn die Bank of England auf ihrer anstehenden Sitzung das nahezu ausgeschöpfte Wertpapierkaufprogramm von 375 Mrd. Pfund nicht erneut ausweitet, geht ihr das Geld aus - für neue Käufe. Nach mehrjährigem "Gelddrucken" kommen den britischen Notenbankern gemäß dem letzten Sitzungsprotokoll jedoch Zweifel an der Wirksamkeit dieser Maßnahme. Wachstums- und Inflationsdaten stellen ebenfalls die Effektivität dieser Reflationspolitik in Frage. Die jetzige Notenbankentscheidung wird voraussichtlich knapp ausfallen, vermutlich fehlt derzeit die ausreichende Mehrheit für neue Wertpapierkäufe - was sich aber in den kommenden Monaten wieder ändern kann.
1.2 Wochen-Quartals-Tangente
Positive Konjunkturnachrichten aus China und den USA haben zuletzt wieder für bessere Stimmung an den Aktienmärkten gesorgt. Gleichzeitig hielten sich die negativen Auswirkungen der Sturmkatastrophe in den USA auf den Finanzmarkt in Grenzen. Die konjunkturellen Effekte, die sich durch Zerstörung und Wiederaufbau ergeben, werden ohnehin meist überschätzt. Dass die Katastrophe für die Schuldensituation der USA jedoch nicht gerade vorteilhaft ist, liegt auf der Hand. Amerikanische und deutsche Staatsanleihen konnten sich zuletzt gleichwohl auf einem relativ hohen Niveau halten. Der Bund-Future wirkt aber unverändert richtungslos. Auch der Euro, der die Marke von 1,30 US-Dollar noch nicht wieder überwinden konnte, scheint Orientierung zu suchen.
In der kommenden Woche dürften die Finanzmärkte maßgeblich von der Wahlentscheidung in den USA beeinflusst werden. Mit einer dramatischen Kursverschiebung beim DAX muss allerdings nicht gerechnet werden (S. 4). In den Wettbüros wird auf einen Sieg des Amtsinhabers gesetzt, was u. E. auch das wahrscheinlichste Szenario ist. Unabhängig vom Wahlausgang müssen jedoch schon bald Gespräche stattfinden, wie das sogenannte "fiscal cliff" konjunkturverträglich umschifft werden kann (S. 5).
In Europa stehen die Notenbank-Sitzungen im Schatten der US-Wahl. Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren EZB-Zinssenkung ist zuletzt spürbar gesunken. Nur rund ein Drittel der von Reuters befragten Volkswirte erwartet bis Jahresende noch einen Zinsschritt der EZB. In der Umfrage vor einem Monat waren es noch fast doppelt so viele. EZB-Chef Draghi dürfte erneut die Bedeutung des OMT-Programms (Outright Monetary Transactions) zum Ankauf von Staatsanleihen betonen, ohne jedoch mit wesentlichen neuen Details aufzuwarten. Auch die Bank von England dürfte zum Jahresausklang eher weniger Tatendrang verspüren und ihr Ankaufprogramm vorerst nicht ausweiten (S. 1).
2 Im Fokus
2.1 Aktien: Wahlrally unwahrscheinlich
Während die positive Aktienkursentwicklung in den vergangenen Monaten dem Amtsinhaber Barack Obama in die Hände spielt, hoffen weite Teile der US-Wirtschaft offensichtlich auf einen Machtwechsel. Die Wettquoten signalisieren allerdings einen gegenteiligen Ausgang. Die Wahlen werden den erhofften Startschuss zur Jahresendrally vermutlich nicht liefern.
Nicht wenige Marktteilnehmer erhoffen sich von den anstehenden US-Wahlen neue Impulse für den Aktienmarkt. Die überwiegende Mehrheit der Wirtschaftssektoren favorisiert - gemessen an der Verteilung der Wahlkampfspenden - die Republikaner. Schließlich werben diese mit niedrigeren Steuern. Zudem propagieren sie den Abbau von Regulierung. Immerhin zeigen Umfragen unter US-Unternehmen, dass die zunehmende Bürokratisierung als wachsendes Problem empfunden wird. Auch für die langfristige Entwicklung der Aktienmärkte ist das Thema Regulierung ein wichtiger Einflussfaktor. So zeigt sich, dass Aktien in Dekaden zunehmender staatlicher Einflussnahme unterdurchschnittliche inflationsbereinigte Erträge abwerfen, wohingegen in Phasen der Deregulierung überdurchschnittliche reale Kurszuwächse zu beobachten waren. Gelänge es den Republikanern unter Mitt Romney eine Überregulierung abzuwenden, wäre dies - das belegt die Historie - auch für die langfristigen Aussichten von Aktien positiv. Allerdings sprechen die Wettquoten mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 % klar für eine Wiederwahl Obamas. Mit einem Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik ist somit wohl nicht zu rechnen.
Ohnehin ließe die angespannte Haushaltslage wenig Spielraum für expansive Impulse jenseits der Geldpolitik. Immerhin dürfte es nach der Wahl gelingen, die drohende fiskalische Klippe zu umgehen, die bislang für einen gewissen Attentismus in der Wirtschaft sorgt. Ob dies für eine Erleichterungsrally an den Aktienmärkten ausreicht, ist fraglich. Auch die Historie zeigt, dass die Kursentwicklung nach US-Präsidentschaftswahlen eher unspektakulär ist. Sechs Monate nach dem Wahltag notierte der S&P 500 im Durchschnitt aller Wahlen seit 1928 nahezu unverändert. Ein ähnlicher Kursverlauf zeigte sich, wenn das Amt des Präsidenten in der Hand der Demokraten verblieb (D→D). Entgegen der weit verbreiteten Meinung schnitten Aktien in der Vergangenheit am schlechtesten ab, wenn ein demokratischer Präsident von einem Republikaner abgelöst wurde (D→R). Weder die realistischen wirtschaftspolitischen Optionen, noch die historischen Erfahrungen sprechen somit für einen deutlichen Kursaufschwung am Aktienmarkt nach den Wahlen.
2.2 USA: Wählen am Klippenrand
In der Berichtswoche finden in den USA die lange und ausgiebig diskutierten Präsidentschafts- und Kongresswahlen statt. Damit rückt endlich auch der Zeitpunkt näher, an dem der Weg frei wird für politische Gespräche, wie man das so genannte "fiscal cliff" umschiffen kann, das die US-Wirtschaft zum Jahreswechsel in eine Rezession zu stürzen droht. Welches Wahlergebnis eine Lösung dieses Problems am wahrscheinlichsten machen würde, kann heute jedoch niemand seriös beurteilen. Schließlich kommt es auf die Kompromissbereitschaft beider Seiten an. Je klarer der Sieg der einen Seite, desto geringer wird ihr Interesse sein, der unterlegenen Seite Zugeständnisse zu machen.
Aufgrund des Wahlmännersystems bei der Präsidentschaftswahl und des Mehrheitswahlrechts bei den Kongresswahlen sind landesweite Umfragen über die Absichten der Wähler häufig irreführend. Die bei "Intrade.com" aktiven Spekulanten halten derzeit für den wahrscheinlichsten Wahlausgang, dass Barack Obama wiedergewählt wird und das Repräsentantenhaus in republikanischer, der Senat aber in demokratischer Hand bleibt. In dieser Konstellation müssten die Republikaner, die seit Jahren in großer Mehrheit jede Form von Steuererhöhung kategorisch ablehnen, wohl über ihren Schatten springen und einer Steuererhöhung für die Bezieher hoher Einkommen, wie sie Präsident Obama seit langem fordert, zustimmen. Sie könnten dadurch die andernfalls drohende Erhöhung der Steuern für alle Haushalte verhindern. Auch dürfte sich eine Mehrheit finden, die anstehenden automatischen Ausgabenkürzungen zu verhindern oder zumindest abzumildern. Wie geplant auslaufen dürften hingegen die 2010 als Stimulus eingeführten niedrigeren Beiträge zur Rentenversicherung und die verlängerte Anspruchsdauer auf Arbeitslosenhilfe. Ein solches Paket würde die Konjunktur dämpfen, sollte aber zu verkraften sein.
Sollte sich herausstellen, dass man keinen derartigen Kompromiss finden kann, würden wir mit einer neuerlichen temporären Verschiebung der Entscheidung um drei, sechs oder auch zwölf Monate rechnen. Ob dies eine gute Idee wäre, ist fraglich. Schließlich würde damit die Phase der Unsicherheit verlängert und es ist nicht abzusehen, warum sich die Sachlage in einem halben Jahr in einem anderen Licht darstellen sollte.
Das Szenario eines Sturzes von der Klippe - mit einem negativen fiskalischen Impuls von rund 4 % am Bruttoinlandsprodukt - ist glücklicherweise recht unwahrscheinlich. Angesichts der festgefahrenen Diskussion und der vergifteten politischen Atmosphäre lässt es sich aber auch nicht ganz ausschließen. Zwar ist umstritten, welche genaue Wirkung dies auf die US-Wirtschaft hätte. Eine Kontraktion zumindest im ersten Quartal wäre dann aber ziemlich wahrscheinlich.
4 Helaba Kapitalmarktszenarien
Für unseren Kapitalmarktausblick 2012 haben wir das Thema "Helden- und Göttersagen" gewählt. Im Hauptszenario "Gordischer Knoten" (Eintrittswahrscheinlichkeit: 70 %) kann die Eskalation der Euro-Staatsschuldenkrise vermieden werden, so dass die Unsicherheit und hohe Volatilität an den Kapitalmärkten abebben. Dennoch erfordert die Bewältigung der Krise Zeit, so dass der Verlauf an den Kapitalmärkten stärker von politischen, denn von konjunkturellen Einflussfaktoren bestimmt wird. Die großen Euroländer ringen weiterhin um eine Lösung, wobei sich die Vorschläge stärker auf eine Vergemeinschaftung der Schulden fokussieren. Sie unterscheiden sich dahin, ob dies mit oder ohne Aufgabe von nationalstaatlicher Souveränität einhergeht. Mit weiteren Hilfsmechanismen, einer expansiven Geldpolitik sowie vertrauensbildenden Maßnahmen wie einer breiten Zustimmung zum Fiskalpakt sollte eine Stabilisierung der Lage gelingen. Eine weitere Vergemeinschaftung der europäischen Staatsschulden wird immer wahrscheinlicher. Der konjunkturelle Gegenwind aus den Euro-Problemländern dürfte bis Jahresende nachlassen.
Insgesamt dürfte sich 2012 das globale Wirtschaftswachstum vor allem dank einer expansiven Geldpolitik festigen. Impulsgeber bleiben dabei die Schwellenländer. In den europäischen Problemländern wird der Konsolidierungsdruck zwar hoch bleiben, aber die negativen Effekte der Restrukturierungen nehmen allmählich ab. In den USA kommt es dagegen im Wahljahr nicht zu größeren Konsolidierungsanstrengungen, so dass die Wirtschaft erneut um rund 2 % wachsen wird. 2013 dürfte das globale BIP insgesamt wieder stärker expandieren.
In unserem positiven Szenario "Phönix aus der Asche" (10 %) kann die Weltwirtschaft an das überdurchschnittliche Wachstum 2010 anknüpfen. Befeuert wird dies von einer expansiven Ausrichtung der Geld- und Fiskalpolitik. In den Euro-Ländern zeigen sich erste Erfolge der Strukturreformen, so dass auch dort die konjunkturelle Dynamik wieder zunimmt. Aktien strahlen heller denn je und Renten verzeichnen im Gegenzug kräftige Kursverluste.
Im negativen Szenario "Sisyphus" (20 %) fällt die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession und die europäische Staatsschuldenkrise eskaliert. Die Industrieländer geraten in ein deflationäres Umfeld. Europa schafft es nicht, das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen. Vielmehr setzt eine breite Kapitalflucht aus dem Euroraum ein. Der Versuch Staaten und Banken gleichzeitig zu retten stellt sich als Sisyphusarbeit heraus. Anleger suchen Sicherheit, wovon der US-Dollar und Anleihen höchster Bonität profitieren. Auf die Aktienmärkte hingegen rollt ein Einbruch zu.
5 Helaba Basisszenario mit Prognosetabelle
In unserem Hauptszenario "Gordischer Knoten" (Eintrittswahrscheinlichkeit: 70 %) kann die Eskalation der Euro-Staatsschuldenkrise vermieden werden, so dass die Unsicherheit und hohe Volatilität an den Kapitalmärkten abebben. Mit weiteren Hilfsmechanismen, einer expansiven Geldpolitik sowie vertrauensbildenden Maßnahmen wie einer breiten Zustimmung zum Fiskalpakt sollte eine Stabilisierung der Lage gelingen. Dabei zeichnet sich eine weitere Vergemeinschaftung der europäischen Staatsschulden ab. Der konjunkturelle Gegenwind aus den Euro-Problemländern dürfte bis Jahresende nachlassen. Insgesamt wird sich 2012 das globale Wirtschaftswachstum vor allem dank einer expansiven Geldpolitik festigen. In den europäischen Problemländern wird der Konsolidierungsdruck zwar hoch bleiben, aber die negativen Effekte der Restrukturierungen nehmen allmählich ab. In den USA kommt es im Wahljahr dagegen nicht zu größeren Konsolidierungsanstrengungen, so dass die Wirtschaft erneut um rund 2 % wachsen wird. 2013 dürfte das globale BIP insgesamt wieder etwas stärker expandieren.
Rentenmärkte: Die EZB sorgt mit extrem niedrigen Leitzinsen, Liquiditätsmaßnahmen wie Kaufprogrammen für Staatsanleihen gefährdeter Euro-Länder sowie Langfristtender für Finanzmarktstabilität. Die hohe Unsicherheit um den Verbleib Griechenlands im Euroraum hat zu einer extremen Risikowahrnehmung im Euroraum geführt. Investoren nehmen daher sogar eine negative Realverzinsung für deutsche Staatsanleihen in Kauf. Da jedoch der finanzielle Verpflichtungsrahmen Deutschlands im Zuge der Euro-Rettung weiter zunimmt, dürfte die Nachfrage nach sehr teuren Bundesanleihen tendenziell sinken. Die langfristige Bonität Deutschlands wird zunehmend kritisch hinterfragt. Die Verzinsung 10-jähriger Staatsanleihen dürfte in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte zwischen 1,1 % und 2,0 % schwanken, in den USA zwischen 1,4 % und 2,2 %.
Euro: Die Sorgen um die europäische Schuldenkrise werden im zweiten Halbjahr 2012 dank politischer bzw. eher geldpolitischer Maßnahmen in den Hintergrund gedrängt. Die US-Geldpolitik wird durch ein neues Kaufprogramm noch expansiver. Der Euro dürfte sich daher gegenüber dem US-Dollar erholen. Der Euro-Dollar-Kurs sollte sich bis Ende 2012 im Bereich von 1,25 bis 1,40 bewegen.
Aktienmärkte: Mit einer Beruhigung der Schuldenkrise und wieder robusteren Konjunkturindikatoren wird der Risikoappetit der Anleger zunehmen. Dies dürfte zu weiteren Umschichtungen zugunsten von Aktien führen. Außerdem spricht die günstige Bewertung für Dividendentitel, zumal die Liquiditätsversorgung auch künftig sehr großzügig ausfallen wird. Der DAX dürfte sich daher deutlich oberhalb von 7.000 Punkten etablieren.