1.1. Chart der Woche
Die seit Anfang April zu beobachtende relative Schwäche des Bankensektors im Euroraum setzt sich durch die Sorgen um die größte portugiesische Geschäftsbank weiter fort. Im Zuge der EZBBanküberprüfungen gerät die Stabilität des europäischen Finanzsystems verstärkt ins Visier der Anleger. Einerseits dürfte sich der Abwärtstrend der Risikoaufschläge von Staatsanleihen im Euroraum unter diesen Bedingungen zunächst nicht fortsetzen. Andererseits ist mit einer Eskalation bzw. einem neuerlichen Aufflammen der Euro-Schuldenkrise auch infolge des kürzlich beschlossenen Maßnahmenpakets der EZB nicht zu rechnen. Die Banken in Europa sind zudem eifrig dabei, riskante Assets abzubauen. Die Bilanzsummen sind innerhalb eines Jahres um fast 10 % geschrumpft. Die Kehrseite der Medaille ist eine tendenziell zurückhaltende Kreditvergabe.
1.2 Wochen-Quartals-Tangente
Das hässliche Wort von der europäischen Schuldenkrise schreckte zum Wochenausklang die Anleger auf. Diese flüchteten aus Risikoassets in die sicheren Anlagehäfen deutscher und USStaatsanleihen, Gold und US-Dollar. Auslöser war die Verschiebung der Rückzahlung von Geldmarktpapieren des portugiesischen Konglomerats Espirito Santo International, dem Hauptaktionär der größten börsennotierten Bank in Portugal. Nicht nur die Staatsanleihen Portugals, sondern auch Spaniens und Italiens gerieten unter Abgabedruck. Gleichzeitig hat Griechenland mit 1,5 Mrd. Euro deutlich weniger beim Verkauf von Staatsanleihen eingenommen, als ursprünglich geplant war und das auch noch zu höheren Kosten. Mit einer Verzinsung von 3,5 % hat die griechische Regierung ihr Ziel unter 3 % zu bleiben verfehlt.
Wieder einmal können sich die Peripherieländer nur schwer voneinander distanzieren. Also alle zurück auf Los in der Eurokrise? Eher nein. Vielmehr haben Anleger wohl diesen Anstoß gebraucht, um zweierlei zu realisieren: Erst wenn die EZB die Ergebnisse ihrer Bilanzüberprüfungen bei den europäischen Großbanken im Oktober veröffentlicht, kann differenzierter über die Lage der Banken in der Peripherie geurteilt werden. Zudem sind europäische Staatsanleihen in den vergangenen beiden Jahren extrem gut gelaufen - und vermutlich weiter, als es fundamental gerechtfertigt wäre. Insofern ist dieser Auslöser nötig, um Gewinne am Rentenmarkt zu realisieren und wieder auf günstigere Einstiegsgelegenheiten zu warten (S. 1). Damit wird derzeit lediglich eine Übertreibung am Rentenmarkt korrigiert.
Indes bleibt das fundamentale Bild unverändert. Die in der Berichtswoche zur Veröffentlichung anstehenden Konjunkturdaten dürften belegen, dass sich die Wachstumsdynamik in den USA nach dem Ausrutscher im ersten Quartal wieder sichtlich beschleunigt. Industrieproduktion, der Philly Fed Index, Wohnungsbaubeginne und Genehmigungen sowie Einzelhandelsumsätze dürften dies untermauern. In China (S. 5) zeichnet sich für Q2 ebenfalls keine große Änderung des Wirtschaftswachstums ab, das künftig um 7 % schwanken wird. Die Anhörung der Fed-Chefin Yellen vor dem Kongress dürfte das geldpolitische Highlight der Woche sein. Auch hier ist u.E. nichts Neues zu erwarten: Die Wege von EZB und Fed werden sich trennen, was dem US-Dollar zupass kommt (S. 4), aber Aktien und Renten belasten sollte.
2. Im Fokus
2.1 Devisen: Euro-Abwertung droht weiterhin
Der Euro trotzt weiterhin dem geldpolitischen Druck und notiert kaum verändert. In den kommenden Monaten sollte aber dessen Widerstandskraft nachlassen, wenn die EZB ihre zusätzlichen Maßnahmen realisiert und die Zinswende in den USA auf die Agenda rückt.
Beim Euro-Dollar-Kurs herrscht einmal mehr Ruhe. Weder die Bemühungen der EZB noch Spekulationen auf eine womöglich restriktivere US-Geldpolitik ließen den Kurs aus seiner Bandbreite um die Marke von 1,36 ausbrechen. Bei anderen Währungen reagieren die Wechselkurse dagegen zügig auf geldpolitische Kursänderungen. So profitierte das Britische Pfund spürbar von der verbalen Kehrtwende der Bank of England, die nun sogar eine Zinswende in diesem Jahr nicht mehr ausschließt. Die überraschend massive Zinssenkung der schwedischen Notenbank belastete die heimische Währung deutlich. Die Norwegische Krone geriet unter Druck, als die Norges Bank eine restriktivere Geldpolitik in weite Ferne verschob. Während die "Gegenmaßnahmen" anderer Notenbanken am Devisenmarkt durchschlagen, belastet die eigentliche EZB-Politik den Euro kaum.
Selbstverständlich hängt der Euro-Dollar-Kurs auch von der Entwicklung in den USA ab. Aber jenseits des schwachen US-Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal 2014 zeigen andere Indikatoren ein deutlich freundlicheres Konjunkturbild. So wächst die Beschäftigung robust, die Arbeitslosenquote fiel auf 6,1 %. Auch die Stimmungsindikatoren der Unternehmen sowie der Verbraucher signalisieren ein spürbares Wachstum. Zudem klettert die Inflation in den USA allmählich nach oben. Die US-Notenbank wird ihre Wertpapierkäufe im Herbst beenden. Vor dem Hintergrund der Arbeitsmarkt- und Inflationsentwicklung und der Prognosen der Notenbankvertreter erscheinen die Erwartungen an den Geldmärkten zu vorsichtig. Dort wird eine erste Zinsanhebung frühestens für den Sommer 2015 eingepreist. Die Zinswende dürfte aber bereits im ersten Halbjahr 2015 erfolgen. Dadurch besteht Überraschungspotenzial auch am Devisenmarkt. Auf den wachsenden Zinsvorsprung des US-Dollar bei zweijährigen Staatsanleihen reagierte der Euro-Dollar-Kurs bislang kaum.
Die EZB hat außer den Zinssenkungen ihre weiteren expansiven Maßnahmen noch nicht realisiert. So werden die neuen, konditionierten Geldtender im September und Dezember vergeben. Die Details für das angekündigte Kaufprogramm von forderungsbesicherten Wertpapieren (ABS) stehen noch aus. Die Euro-Geldbasis sollte dann spürbar ansteigen, der Rückgang ist bereits ausgelaufen. Umgekehrt wächst die Zentralbankgeldmenge in den USA kaum noch, so dass nun auch die monetären Aggregate für einen fallenden Euro-Dollar-Kurs sprechen. Zeitweise können von der Geldpolitik losgelöste Kapitalströme die klare Richtungsvorgabe der Notenbanken dominieren. Letztlich war in der Vergangenheit das Zinsargument jedoch zumeist ausschlaggebend. Daher dürfte der Euro-Dollar-Kurs dann doch noch 2014 auf 1,30 und tiefer fallen.
2.2 China: Die langfristige Perspektive
Der frühere chinesische Regierungschef Zhou Enlai wird gerne damit zitiert, dass er im Jahr 1971 auf die Frage nach der Bedeutung der Französischen Revolution von 1789 geantwortet haben soll: "Es ist noch zu früh, das zu beurteilen." Obwohl manche argumentieren, er hätte eigentlich die Unruhen in Paris im Jahr 1968 gemeint, gilt das Zitat vielen als Zeichen dafür, dass man in der chinesischen Führung in ganz anderen Zeiträumen denkt als anderswo - insbesondere verglichen mit dem Anlagehorizont vieler Kapitalmarktteilnehmer.
In der Berichtswoche steht - wie immer sehr zeitnah - die Veröffentlichung des Bruttoinlandsproduktes(BIP) im Q2 auf der Agenda. Wir gehen davon aus, dass die konjunkturelle Dynamik etwas höher ausfällt als zum Jahresbeginn. Gemessen an der Vorjahresrate dürfte der Anstieg des realen BIP aber wie im Vorquartal bei 7,4 % liegen - einer für chinesische Verhältnisse eher unterdurchschnittlichen Rate. Nach den enttäuschenden 1,4 % gegenüber Vorquartal im Q1 dürfte das Q2 mit einem Zuwachs von 1,8 % aber wieder besser ausfallen. Darauf deuten Monatsindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes hin. Eine klare konjunkturelle Wende nach oben und nachhaltig anziehende Wachstumsraten zeichnen sich jedoch derzeit nicht ab. Die Regierung wird wohl 2014 ihr Wachstumsziel von 7,5 % verfehlen. Die von uns erwarteten 7,2 % liegen aber im Rahmen dessen, was die chinesische Führung als notwendig erachtet, um die vom Land in die Städte abwandernden Arbeitskräfte (ca. 10 Mio. pro Jahr) erfolgreich zu absorbieren.
Entscheidender als kurzfristige konjunkturelle Schwankungen sind die mittel- bis langfristigen Perspektiven. Insgesamt befindet sich China in einer Phase, in der ein Umdenken über die Höhe und die Zusammensetzung des Wachstums sowie dessen soziale und ökologische Auswirkungen stattfindet. Überholte Vorstellungen von zweistelligen Wachstumsraten als der Normalität führen lediglich zu verfehltem Konjunkturpessimismus, wenn die tatsächlichen Zahlen dann bei im internationalen Vergleich noch immer sehr hohen 7 % liegen. Nach Einschätzung der People's Bank of China wird das "normale" Wachstum in China in den kommenden drei bis fünf Jahren rund 7 % betragen und danach eher noch einen Tick niedriger ausfallen. Dies reflektiert nicht nur demografische Trends, sondern auch die dämpfenden Effekte der vielfältigen - und langjährigen - Reformprojekte. Eine weitgehende Liberalisierung des Kapitalverkehrs ist beispielsweise bis 2017 geplant. Der inkrementelle Ansatz ist dabei vor allem wegen der erheblichen Komplexität und der ausgeprägten Interdependenzen der verschiedenen Reformfelder angemessen. Stärkung des privaten Konsums, Abbau der riesigen Bestände an Währungsreserven, Dämpfen der Nachfrage nach Immobilien, erhöhte Transparenz des Schattenbankensystems, Eindämmung der Schulden der untergeordneten Gebietskörperschaften, Liberalisierung des Kapitalverkehrs, Freigabe der Zinsen auf Bankeinlagen, Einführung einer Einlagensicherung - alle diese Reformen haben erhebliche und zum Teil schwer abschätzbare Risiken und Nebenwirkungen. So lange die Teuerung unter dem Ziel von 3 % und das Wachstum über 7 % bleibt, wird die Regierung weiter auf die strukturellen Reformen fokussieren. Eine merklich expansive oder restriktive Konjunkturpolitik ist nur zu erwarten, wenn sich die Zielgrößen aus diesem "Band" entfernen sollten.