Bloß keine Altäre. Lieber geschmackvoll gedeckte Tische, die alltagstauglich sind, davon träumt Thomas E. Goerke. Der Leiter des Verbandes der Serviermeister Restaurant und Hotelfachkräfte (Sektion Stuttgart) ist Organisator des Couvert d'Or. Ein Wettbewerb mit Kultstatus und von stetig wachsender Beliebtheit auf der INTERGASTRA. Insgesamt 45 Tische präsentieren Auszubildende aus der Gastronomie und Hotellerie an den fünf Messetagen vor den Augen der kritischen Jury. "Beim Couvert d'Or wird die fachlich korrekte Ausführung mit 50 Prozent bewertet, 30 Prozent machen Gestaltung und Dekoration des Tisches aus, 20 Prozent die Menügestaltung", sagt Goerke. Ganz wichtig: Die Dekoration soll nicht dominieren oder stören. Das Besteck und alles andere muss millimetergenau am korrekten Platz liegen, "aber sonst gibt es keine Vorgaben", sagt der Fachmann.
Anarchie und Experimentierfreude
Klingt vielversprechend und passt zur täglichen Praxis. Die goldenen Regeln des Eindeckens gelten nach wie vor als hohes Gut und sind wichtige Orientierungshilfe auf dem Tisch. Darüber hinaus herrscht mittlerweile in vielen Restaurants muntere Anarchie und Experimentierfreude. "Die Auswahl der Gefäße wird immer flexibler gehalten. Manche Küchenchefs servieren die einzelnen Gänge in verschieden geformten Behältnissen. Das ist ganz leger geworden", sagt Dagmar Drescher von der Porzellanmanufaktur Schönwald. Das durchgängig einheitliche Tafelservice sei passé. Die eigene Geschirr-Serie oder individuelle Einzelteile, die der Philosophie des jeweiligen Hauses entsprechen, diesen Traum verwirklichen sich dagegen immer mehr Kunden bei Schönwald.
Wie ein zeitgemäß gedeckter Tisch in der Gastronomie heute aussieht, lässt sich pauschal nicht beantworten, so vielfältig haben sich die Stilrichtungen entwickelt. Aber das Thema Tischkultur an sich rückt mehr in den Vordergrund. "Tischkultur meint das Zusammenspiel von drei Regisseuren für den gedeckten Tisch. Der Koch, exzellenter Service und eine außergewöhnliche Präsentation der Speisen auf Porzellanartikeln unterschiedlichster formaler Aussagen bilden eine Einheit. Die Porzellanteile sollten individuell, außergewöhnlich, multifunktional und kombinierbar sein", fasst Marketingleiterin Gabriele Dettelbacher für Tafelstern zusammen. Der Designaspekt sei inzwischen sogar entscheidender als Stapelbarkeit oder hohe Kantenschlagfestigkeit. Tafelstern, ehemals Hutschenreuther Hotel, stellt am Stand von WMF sein Baukastensystem aus klassischen Teilen und eindrucksvollen Showpieces vor, die mit Besteck und WMF Hotelware direkt vor Ort kombiniert werden können, um zu sehen, ob der Gesamteindruck stimmt.
Plastikblumen sind passé
Denn der spielt eine immer größere Rolle. Vor allem in der Szenegastronomie dominiere offensives Corporate Design, hat Sheila Rietscher, Marketingleiterin von Kahla Porzellan beobachtet. Hausfarben und graphische Elemente fänden sich in der Tapete, im Mobiliar, in der Tischwäsche, auf der Karte, in der Kleidung der Service-Mitarbeiter auf dem Porzellan und auf der Webseite wieder. Die Tischdekoration könne völlig unkonventionell ausfallen. "Ideen aus unterschiedlichen Kulturkreisen werden gemischt, dürfen überraschen, verwirren und schockieren", so Rietscher.
Weniger sei allerdings oft mehr, da sind sich die Experten bei Hotelwäsche Erwin Müller einig: "Nicht alles sollte in Dekoration ersticken. Lieber kleine Highlights und Accessoires als Akzente setzen. Der Charakter des Hauses darf nicht verschwinden." Die ideale Dekoration richte sich nach saisonalen Anlässen, sei leicht zu variieren und insgesamt qualitativ wie optisch hochwertig. Besonders beliebt sei momentan die Kombination von Silber mit Deko-Elementen aus Kristall oder in Kristalloptik. So etwas wie Plastikblumen wolle kein Gast mehr sehen. Bei allem Nebeneinander der Stile und Möglichkeiten gibt es dominierende Trends. Zum Beispiel die Orientierung an Formen und Farben aus der Natur. Serviettenhersteller Duni bietet Stoff für alle Spielarten der Gastronomie. Sprecher Axel Gelhot sieht nach einer Phase der kräftigen Farben, eine Sehnsucht nach angenehmen Grün- und Erdtönen.
Porzellan: harte Schale, sanfte Formen
Beim Geschirr spielen organische Formen eine große Rolle. Rosenthal hat seine Serie "Ingredienti" um Teller erweitert, die so aussehen, als tauche ein Tropfen auf einer Wasseroberfläche ein und erzeuge weiche konzentrische Kreise. Am liebsten möchte man mit dem Finger gleich die sanften Konturen nachfahren. Sinnigerweise heißt das Stück "Goccia" - Tropfen auf italienisch. Viele der neuen Teile sind nicht nur schön anzuschauen, sie sind auch praktisch. Etwa wenn der Spaghettiteller an einer Seite mit einer Mulde ausgerüstet ist, aus der sich die Pasta komfortabel auf die Gabel drehen lässt. Sanfter Schwung beherrscht die Serie "Cera" aus dem Hause Villeroy & Boch. Cera bedeutet Wachs auf italienisch und genauso sehen einzelne Teile aus, als seien sie in wachsweichem Zustand gedehnt worden. Diese teils asymmetrischen Formen bilden einen neuen Rahmen für ein Gericht. Dekore werden weniger als Zierrat, sondern eher als künstlerisches Element eingesetzt.
Mit dem Fischmesser löffeln Villeroy und Boch hat seine Serien, die mit diesen Charakteristika ausgestattet sind unter dem Begriff "Food & Mood" gebündelt. "Die Einzelteile von Cera, Flow und Pi Carré ermöglichen die Trennung der einzelnen Komponenten eines Gerichtes - ein aktueller Trend, der sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird", sagt Georges Schaaf, Product- und Marketingmanager in der Hotel und Restaurant Division. Multifunktionalität auch bei den 14 Esswerkzeugen der Besteckserie Marchesi 18/10. Schaaf: "Das Fischmesser ist auch als Spatel oder Löffel zu verwenden. Hier ist es besonders wichtig, dass der Tisch richtig eingedeckt ist, denn so weiß der Gast intuitiv, wie und wofür er ein Besteckteil nehmen soll".