Historische Fuhrwerkhalle hinter restaurierter Ziegelfassade: Früher wieherten hier die Gäule der städtischen Müllkutscher. Heute raunt leises Gemurmel aus jeder Ecke des großen Gründerzeitbaus in Krefeld-City. Wo einst Kaltblüter-Gespanne an Stahlsäulen mit den noch dranhängenden Eisenringen festgezurrt waren, stehen jetzt Flach-Bildschirme zwischen Schallschutzwänden. Mittendrin mit Headset und Tastatur: Sylvia Mazur. Sie ist seit einigen Wochen Call-Center-Agent der theBEEcompany GmbH, für die im Mehrschichtbetrieb von montags bis sonntags 470 Mitarbeiter in 21 Sprachen durch ganz Europa telefonieren.
Dass die 22jährige "Neue" sehbehindert ist, verraten erst die übergroßen Buchstaben auf ihrem Monitor. "Viele Kollegen haben das gar nicht mitbekommen. Wenn sie wegen der Schriftvergrößerung fragen, dann erkläre ich es ihnen," sagt die Bürokauffrau, die ihre dreijährige Ausbildung im Berufsbildungswerk Soest, einer Einrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) für blinde und sehbehinderte Menschen, absolviert hat.
Für die Berufsstarterin war es "gar nicht so leicht, nach der Ausbildung einen Job zu finden, der mir Spaß macht", berichtet sie von zahlreichen erfolglosen Bewerbungen in der Region um ihre Hei-matstadt Duisburg. "Viele Absagen habe ich wegen meiner Sehbehinderung erhalten, dass war wirklich ziemlich frustrierend." Irgendwann hat es dann aber doch geklappt.
Nach der Einladung zum Vorstellungsgespräch bekam Sylvia Mazur die Chance, hier im Call-Center das erlernte Wissen und ihre Kommunikationsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Als "Leiharbeiterin" sozusagen, denn eigentlich angestellt ist Mazur beim Personaldienstleistungsunternehmen JOB AG im benachbarten Mönchengladbach. "Wir haben schon etliche Menschen mit Behinderung zu Arbeitgebern vermittelt", erzählt Petra Hüschen, Leiterin des In-Out-Service der Agentur.
"Sylvia Mazur hat uns von sich überzeugt und ein sehr gutes Feed-Back erhalten", sagt ihr Teamleiter Christian Kurtz. Er ist im Krefelder Call-Center für rund 50 Mitarbeiter als Ansprechpartner, für die Einarbeitung und das Training an den "Telefoninseln", für die Planung und die Abrechung der Projekte zuständig. Kurtz: "Die Sehbehinderung ist kein Hindernis für uns. Wir arbeiten hier fast ausschließlich mit elektronischen Medien und die lassen sich individuell auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen einstellen."
An ihrem neuen Arbeitsplatz ist Sylvia Mazur für die Kunden eines Mobilfunk-Anbieters da. Über ihr Kopfhörer/Mikrofon-Geschirr nimmt sie Bestellungen entgegen, informiert über Tarife für Telefon und DSL, klärt die Kunden über Laufzeiten und Fristen auf und gibt parallel die Daten in ihren Rechner ein. Da sind Freundlichkeit, Höflichkeit und ein langer Atem gefragt. "Die Telefongespräche werden bis auf eine festgelegte Gruß- und Verabschiedungsformel ganz individuell durch die Agents gestaltet", betont Teamleiter Kurtz.
"Die Arbeit in einem Call-Center habe ich mir am Anfang viel schlimmer vorgestellt, aber hier ist das nicht so. Und alle hier sind total nett. Die Arbeit gefällt mir und klappt auch schon ziemlich gut", sagt Sylvia Mazur. "Trauen Sie sich einfach was zu", ermuntert Teamchef Kurtz, "wir tun das nämlich auch."
Hintergrund:
Das LWL-Berufsbildungswerk Soest bildet jährlich 30 bis 40 blinde und sehbehinderte junge Menschen in den Berufsfeldern Wirtschaft und Verwaltung, Ernährung und Hauswirtschaft, Metalltechnik und im Handwerk aus."Die Ausbilder/-innen und Integrationsberater/-innen dort unternehmen alles, um den Absolventen geeignete Arbeitsstellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln", lobt LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch.
Dabei arbeitet das LWL-Berufsbildungswerk Soest im "Netzwerk Berufliche Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen (NBT)" zusammen mit bundesweit 15 ähnlichen Einrichtungen und zwei Selbsthilfeorganisationen. In der "Woche des Sehens" wirbt das NBT gemeinsam mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband und der Bundesagentur für Arbeit für die beruflichen Belange seiner Klientel.