Das Fest, das die US-Bürger bereits 1914 als Staatsfeiertag begingen, kam über England, Norwegen und Schweden in den 1920er Jahren schließlich nach Deutschland. Hier waren es vor allem der Verband deutscher Blumengeschäftsinhaber und der Bund der Kinderreichen, die sich für die Etablierung des Muttertages engagierten. Mit Erfolg: 1923 konnte der erste „Deutsche Muttertag“ proklamiert werden.
Vier Jahre später, genau vor 80 Jahren, wurde in Münster offiziell das Westfälische Volksliedarchiv gegründet, das heute zur Volkskundlichen Kommission beim LWL gehört. Und natürlich ist auch hier die Mutter eine vielbesungene Person: „Ich und mein liebes Schwesterlein, wir schmieden manches Kettchen. Das Schönste ist für dich, Mama. Bekomme doch ein Küsschen, ja?“ heißt es etwa in einem vor dem ersten Weltkrieg in Herford bekannten Kinderreim.
Die Liebe der Kinder zur Mutter drückt sich in vielen Liedern aus – besonders rührend und schon fast kitschig ist ein Kinderlied aus Hattingen (Ennepe-Ruhr-Kreis), das vermutlich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammt und 1921 in das Archiv kam: „Meine Mutter nennt mich immer Herzchen, und ihr Herzchen will ich immer sein. Will die Mutter immer herzlich lieben, und den Vater nie und nie betrüben, will sie beide auf den Händen tragen bis zu ihren späten Lebenstagen, will sie ehren, lieben und erfreun, will ihr liebs und guts Herz sein, will ihr liebs und guts Herz sein.“
Neben Liedern und Reimen von „braven Kindern“ für ihre „liebe Mama“ finden sich aber auch Balladen und andere Volkslieder im Archiv für Westfälische Volkskunde, die sich mit weitaus ernsteren Themen auseinandersetzen. „Lieder über das Schicksal von Soldatenmüttern sind ebenso vertreten wie Beiträge zum Umgang von Müttern mit der hohen Kindersterblichkeit“, erklärt Anne Wolf, Mitarbeiterin am Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie der Universität Münster. „Selbst für vermeintliche Tabu-Themen wie Kindesmisshandlung gibt es Belege.“ So heißt es in einem eher harmlosen Beitrag: „Heia, mein Kindchen, ich wiege dich. Hätt’ ich ein Stöckchen, ich schlüge dich. Aber du bist noch viel zu klein, musst noch ein wenig gewieget sein.“
Derzeit liegen die insgesamt rund 9.000 Liedaufzeichnungen thematisch geordnet in Mappen vor. Kaum ein Thema bleibt dabei unberücksichtigt: Neben Balladen, Liebesliedern, Trink- und Brauch-liedern zeugen u. a. zahlreiche Stände- und Arbeitslieder sowie Kinderlieder von einer lebendigen regionalen Singpraxis in Westfalen. Wissenschaftler und andere Interessenten, die nach bestimmten Liedern suchen oder etwa mehr über das Liedrepertoire eines Ortes erfahren wollen, können sich unter Tel.: 0251/83-25409 an die Volkskundliche Kommission für Westfalen wenden. Um in Zukunft den Zugang zum Archiv zu erleichtern, werden die Liederblätter gemeinsam mit dem auf Tonbändern und Kassetten vorliegenden Tonarchiv in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt digitalisiert. Demnächst sollen sie auf den Internetseiten der Volkskundlichen Kommission für Westfalen unter „http://www.lwl.org/...“ recherchierbar sein.