„Die Versorgungslage der ME/CFS-Erkrankten in Deutschland ist verheerend“, heißt es von Seiten der Patientenorganisationen. Die Erkrankung führt zu einem hohen Grad körperlicher Beeinträchtigung bis hin zur Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit. Bislang ist das Krankheitsbild in Medizin und Öffentlichkeit wenig bekannt und es gibt in Folge mangelnder Forschung keine kurative Behandlung. Der dringende politische und medizinische Handlungsbedarf konnte bei der Anhörung im Thüringer Landtag eindrücklich vermittelt werden. „Die Anhörung weckt Hoffnung auf eine Verbesserung der prekären Versorgungslage. Nun bedarf es einer zeitnahen Umsetzung des geforderten Maßnahmen-Dreischritts aus Aufklärung, Forschung und Versorgung durch die Thüringer Landesregierung“, so die Patientenvertreter:innen. „Letzteres schließt auch die Entwicklung individualisierter Beschulungskonzepte für ME/CFS-erkrankte Kinder und Jugendliche ein.“
Erste Beobachtungsstudien lassen erkennen, dass 20 Prozent aller Post-COVID-Erkrankten das Vollbild ME/CFS entwickeln, sodass mit einem deutlichen Anstieg der Patientenzahlen zu rechnen ist. Kernsymptom von ME/CFS ist die Belastungsintoleranz, die zu einer Verschlechterung aller Symptome nach physischer oder kognitiver Anstrengung führt. Für die zahlreichen Betroffenen gibt es mit der Charité Berlin und der TU München deutschlandweit nur zwei spezialisierte Ambulanzen. Betroffene aus Thüringen und anderen Bundesländern können sich dort nicht vorstellen. Bei der Anhörung wurden daher verschiedene Optionen zur Verbesserung der Versorgung diskutiert, darunter die Einrichtung eines Mitteldeutschen Kompetenzzentrums und einer Ambulanz am UK Jena sowie die flächendeckende Aufklärung von Ärzt:innen. Auch der Bedarf aufsuchender und telemedizinsicher Versorgungsangebote für immobile und bettlägerige ME/CFS-Erkrankte wurde verdeutlicht.
Den Auftakt bei der Anhörung machten Prof. Stallmach (UK Jena) sowie die Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen. Die Patientenseite wurde vertreten durch Fatigatio e.V. – Bundesverband ME/CFS, Deutsche Gesellschaft für ME/CFS, Lost Voices Stiftung sowie POTS und andere Dysautonomien e.V. Die medizinische Perspektive wurde durch Dr. Vilser (AMEOS Klinikum St. Neuburg) und Dr. Hohberger (UK Erlangen) abgebildet. Auch Prof. Scheibenbogen (Charité Berlin) und Prof. Behrends (TU München) waren als ME/CFS-Expertinnen geladen und konnten eine fundierte Stellungnahme abgeben.
Im Namen der mehr als 250.000 Menschen in Deutschland, die bereits vor Pandemiebeginn an ME/CFS erkrankt sind, sowie im Namen aller Post-COVID-Betroffenen unterstützen wir den Antrag der Thüringer FDP-Fraktion und unterstreichen dessen Dringlichkeit. Wir bedanken uns für die Möglichkeit zur Stellungnahme und hoffen auf eine schnelle Umsetzung des Antrags im Interesse der Betroffenen.
Infobox – Krankheitsbild ME/CFS und Versorgungssituation in Deutschland
▪ ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) ist eine schwere neuro-immunologische Multisystemerkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Beeinträchtigung führt. Die WHO stuft ME/CFS seit 1969 als neurologische Erkrankung ein.
▪ Auslöser von ME/CFS sind meist Virusinfekte, z.B. mit EBV, Influenza, HHV-6 oder Sars-Cov-2.
▪ In Deutschland waren vor der Pandemie schätzungsweise 250.000 Menschen betroffen. Rund 16 % sind Kinder und Jugendliche.
▪ ME/CFS ist ein eigenständiges komplexes Krankheitsbild und nicht mit dem Symptom Fatigue gleichzusetzen. Charakteristisch für ME/CFS ist die Belastungsintoleranz (PEM: Post-Exertional Malaise), eine ausgeprägte und anhaltende Verstärkung aller Symptome nach geringer physischer und/oder kognitiver Anstrengung.
▪ Die Diagnose wird nach differenzialdiagnostischer Abklärung anhand klinischer Diagnosekriterien gestellt (Kanadische Konsenskriterien).
▪ 60 % der Erkrankten sind arbeitsunfähig, ein Viertel kann das Haus nicht mehr verlassen, viele sind pflegebedürftig oder bettlägerig.
▪ In Deutschland sind nur zwei Kliniken auf ME/CFS spezialisiert – das Charité Fatigue Zentrum (Berlin) und das Fatigue Centrum für junge Menschen (TU München). Betroffene aus anderen Bundesländern können sich dort nicht vorstellen.
▪ Die medizinische und soziale Versorgungslage der Betroffenen ist prekär. Bislang gibt es keine kurative Behandlung oder Heilung.
▪ Ausführliche Literatur: Charité Fatigue Centrum (CFC), European Network on ME/CFS (EU-ROMENE), Centers for Disease Control and Prevention (CDC).
Fatigatio e.V., Bundesverband ME/CFS
Seit 1993 unterstützt der Fatigatio e.V., Bundesverband ME/CFS ehrenamtlich in der größten deutschen ME/CFS-Patientenorganisation über 2200 Mitglieder im deutschsprachigen Raum. Wir leisten Selbsthilfearbeit, schaffen Informationsangebote und bieten individuelle Hilfestellung. Der Einsatz für Versorgung, Forschung und Aufklärung sowie ein starkes internationales Netzwerk bilden die Basis des Bundesverbands ME/CFS.
Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V.
Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS ist eine 2016 gegründete Organisation, die für die Rechte, Bedürfnisse und Versorgung von ME/CFS-Kranken eintritt. Dafür verbindet sie die Expertise von Erkrankten und Angehörigen mit der Expertise eines erfahrenen Ärztlichen Beirats.
POTS und andere Dysautonomien e.V.
POTS und andere Dysautonomien e.V. hat 2017 die Arbeit mit der Unterstützung seines medizinischen Beirats aufgenommen, um über Dysautonomien, insbesondere PoTS (Posturales Tachykardiesyndrom), zu informieren und Betroffene, unabhängig von der Ursache, zu begleiten, zu fördern und ihre Situation zu verbessern.