Immer größere Pfade im Gehirn
Die Natur hat es so eingerichtet: Wir nehmen Schmerzen als bedrohliche Erfahrung wahr. Das ist überaus sinnvoll, denn sie können auf gesundheitliche Probleme hinweisen, auf die man dann zügig reagieren kann. Doch bei vielen der rund zehn Millionen Menschen, die unter chronischen Rückenschmerzen leiden, passiert folgendes: Die andauernde Pein hinterlässt erst winzige Spuren und schließlich sogar richtige Pfade im Gehirn. „Je länger die Schmerzen andauern, desto größer werden die Pfade. Dann ist der Schmerz nicht mehr das nützliche Warnsignal, sondern entwickelt sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild“, sagt Dr. Reinhard Schneiderhan, vom gleichnamigen Medizinischen Versorgungszentrum in München-Taufkirchen.
Wissenschaftler haben mittlerweile entschlüsselt, was dabei im Körper passiert: Die Dauerschmerzen verändern die Produktion chemischer Botenstoffe und aktivieren Bahnen von bislang nicht in Betrieb genommenen Nervenstrukturen mit speziellen Nervenzellen. Genau diese Nervenzellen reagieren extrem sensibel und verursachen Schmerzen. Die gereizten Nerven können sich nicht mehr beruhigen und feuern die ungewollten Signale immer weiter ab. Es genügen dann mit der Zeit immer weniger intensive Auslöser (wie z.B., der Druck eines Bandscheibenvorfalles auf einen Ischiasnerv) um die Schmerzkaskade in Gang zu setzen.
Frühzeitige Therapie ist ratsam
Ganz wichtig: Wer regelmäßig unter Schmerzen leidet, sollte nicht den Helden spielen. „Besser ist es sich, frühzeitig in Behandlung zu geben“ rät Dr. Schneiderhan. „In der Anfangsphase können noch frei verkäufliche Schmerzmittel helfen. Nach Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses, in der Regel nach 3 Monaten festbestehender Schmerzen, sind hingegen starke Mittel, wie Opioide oder Gabapentin nötig.“ Außerdem können Antidepressiva und Antiepileptika hilfreich sein. Denn ebenso wie Opioide, können sie die Schmerzweiterleitung bzw. Schmerzwahrnehmung verhindern. Zu den weiteren nachweislich wirksamen Therapiemaßnahmen gehören Infiltrationen-, Psycho-, Physio- und Ergotherapie.“
Schmerzschrittmacher als wirksame Alternative
In glücklicherweise seltenen Fällen reichen aber auch die genannten Maßnahmen nicht aus. Doch das ist kein Grund zum Verzweifeln, denn als letzte Alternative ist es möglich einen so genannten Schmerzschrittmacher zu implantieren. „Mit dieser Hightech-Methode sind wir in der Lage die Weiterleitung der Schmerzsignale zu blockieren und so die Schmerzimpulse auszulöschen“, sagt Dr. Schneiderhan.
Erfahrene Ärzte benötigen nur rund 30 Minuten für den minimal-invasiven Eingriff. Dabei führen sie unter Bildkontrolle Elektroden in den Wirbelkanal und platzieren sie möglichst genau dort, wo die Schmerzimpulse zum Gehirn geschickt werden. Dabei kommt neueste Nano- und Hochfrequenztechnologie zum Einsatz. Nach Einsetzen der Elektroden muss das System zwei bis drei Wochen lang unter verschiedenen Umständen getestet werden. Erst wenn die Schmerzreduktion bei über 50 Prozent liegt, wird auch der Schrittmacher schließlich implantiert. „50 Prozent klingt vielleicht wenig, für die Betroffenen hat es entscheidenden Effekt“, sagt Dr. Schneiderhan. „Viele benötigen keine zusätzlichen Medikamente mehr.“ Die gute Nachricht: Gesetzliche Kassen übernehmen die Kosten für den Eingriff. Bis auf wenige Ausnahmen bleibt der Schmerzschrittmacher dann dauerhaft im Körper.