Leandra Bigale, Beatrice Born, Ulrich Fischer, Johann Haberlah, Paula König, Merle Voigt, Ziqiu Zhao
Sichtbar unter https://ausstellungen.muthesius-kunsthochschule.de/...
Eine digitale Ausstellung von Studierenden der Muthesius Kunsthochschule, kuratiert von Lena Johanna Reisner, initiiert und betreut von Prof. Antje Majewski.
Der Globus erscheine als ein Ball, umsponnen von einem Netz aus Längen- und Breitengraden, bemerkt Michel Serres in einem Essay über Jules Vernes Reisen. In der langen Phase der europäischen Expansion haben Kolonialmächte unter dem Paradigma der Entdeckung – gemeinsam mit den Wissenschaften – an der Erweiterung und Differenzierung ihrer Weltkarten gearbeitet. Karten und die Kartographie als eine Form der Produktion von Wissen sind nicht neutral. Sie wurden historisch eingesetzt zur Kontrolle von Raum und erleichterten die geografische Ausdehnung sozialer und politischer Systeme. Mit der Geschichte der modernen Nationalstaaten und militärischen Technologien sind sie ebenso verbunden wie mit der Definition und Ausübung von Eigentumsrechten. Mehrere künstlerische Arbeiten in An Imperfect Map (Will Have to Do) untersuchen Territorialität sowie Fragen der Planbarkeit, Gestaltung und Kontrolle von Landschaften.
Topografische Karten und Satellitenbilder haben den Blick von oben auf das, was sie zeigen, gemeinsam. Die Aufsicht auf die Oberfläche der Erde ist dabei in der Regel entweder technologisch vermittelt oder eine Abstraktion, welche den Blickpunkt an einen Ort außerhalb des Geschehens verlagert. In An Imperfect Map (Will Have to Do) wird diese Perspektive aufgegeben. Jenseits der Karte als einem Objekt und ihrer Bedeutung für eine politische Geschichte geografischer Wissenschaften beschäftigen sich die künstlerischen Arbeiten mit Praxen des Sammelns, Bearbeitens, Zusammenfügens sowie der Aufzeichnung, Notation und Spekulation. In Malerei, Zeichnung, Skulptur, fotografischen und musikalischen Verfahren werden Aspekte von Landschaft abgebildet, welche die kartografische Aufsicht verlassen, ohne dabei eine Horizontlinie ins Bild zu bringen.
In ihrem Gedicht A Map to the Next World, dem der Titel zur Ausstellung entlehnt ist, spricht die Muscogee Lyrikerin Joy Harjo von einer Karte aus Sand, die nicht bei einfachem Licht gelesen werden könne und ein Feuer in das benachbarte indigene Dorf tragen solle zur Erneuerung des Geistes. Die von Joy Harjo beschriebene Karte erscheint als ein flüchtiges Bild, das nicht unabhängig von den Menschen existiert, die für das darin enthaltene Wissen, die Erfahrung und die Orte, die sie erschließen, Sorge tragen.
Wie könnte eine unperfekte Karte aussehen, die dazu befähigt ist, dem globalen Netz aus Längen- und Breitengraden Orte und Erzählungen zu entwinden? Vielleicht würde sie produktive Leerstellen und Offenheiten erzeugen, Räume, die sich der Kontrolle entziehen, um stattdessen von Zugehörigkeit und Formen der Beziehung zu erzählen. Eine unperfekte Karte ist kein Objekt, sondern eine fortwährende, poetische Bewegung zur Orientierung in einem offenen Terrain.