Diese Definition des Behindertengleichstellungsgesetzes bildet die Grundlage für wachsende Anstrengungen von Politik und Wirtschaft, Arbeitsplätze und Lebensräume insgesamt so zu gestalten, dass sie ausnahmslos von jedem Menschen bestimmungsgemäß und ohne Einschränkungen nutzbar sind.
In der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung beschränken sich die Anstrengungen zur Herstellung von Barrierefreiheit auf sichtbare Maßnahmen wie Fahrstühle und Rollstuhlrampen sowie Leit- und Informationssysteme für Blinde und Gehörlose. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass diese einerseits im Alltag für jedermann sichtbar sind und andererseits Menschen mit Behinderungen des Bewegungsapparates, des Gehörs oder der Sehfähigkeit den erkennbar größten Teil der rund acht Millionen in Deutschland als schwerbehindert anerkannten Menschen darstellen. Der Verlust von Gliedmaßen sowie andere Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates oder Taub- und Schwerhörigkeit sowie Sehbehinderungen sind jedoch nur einige der heute bereits als Merkmale einer Schwerbehinderung anerkannter Gründe. Neben bereits umfassend erforschten überwiegend organischen Erkrankungen gewinnen Umweltkrankheiten immer mehr an Bedeutung und werden in zunehmendem Maße im Hinblick einer Bewertung als Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) diskutiert.
Multiple Chemikaliensensibilität (MCS) – Behinderung durch Empfindlichkeit
Ihrer Symptomatik entsprechend wird die Multiple Chemikaliensensibilität gelegentlich auch als moderne neue Allergieerkrankung bezeichnet. MCS, ME/CFS (Chronische Fatigue Syndrom), Fibromyalgie und EHS (Elektrosensibilität) u.a. werden als chronisch-entzündliche Multisystem-Erkrankungen eingestuft. Einfach ausgedrückt löst bei einer MCS z.B. der Kontakt zu bestimmten Chemikalien unspezifische Beschwerden aus. Diese gehen von Hautreaktionen, über Kopfschmerzen und Symptome des Magen-Darm-Traktes, bis hin zu Atemnot und schweren Störungen verschiedener Organsysteme. In Folge subjektiv wahrgenommener Symptome und daraus resultierender Einschränkungen, kommt es häufig zu psychischen Begleiterkrankungen.
Die MCS wird erst seit einigen Jahren intensiver erforscht, sodass ihr Krankheitsbild, die Diagnostik und mögliche Therapien noch kontrovers diskutiert werden. Auch die genauen Ursachen sind bisher nicht abschließend erforscht, eine vorausgehende längerfristige Disposition gegenüber den später Reaktionen auslösenden oder ihnen verwandten Stoffen gilt jedoch als nicht unwahrscheinlich. Völlig außer Acht gelassen werden verstärkende Wechselwirkungen verschiedener, potentiell kanzerogener Umweltgifte mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern.
Aufgrund der dokumentierten Symptomatik und verbundener Einschränkungen im Alltag, erlauben die Regelungen des Sozialgesetzbuches in §2 SGB IX eine Einstufung der MCS als Behinderung. Entsprechend müssen die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit MCS auch vor dem Hintergrund des im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verbrieften Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe und Herstellung von Barrierefreiheit betrachtet werden.
MCS und Laserdrucker – Barrierefreiheit konsequent denken und umsetzen
Als auslösende Umweltstoffe einer Chemikaliensensibilität sind vor allen Dingen Holzschutzmittel, Lösungsmittel, Insektizide, Schwermetalle, Desinfektionsmittel und Duftstoffe bekannt. Der regelmäßige und insofern für eine Anerkennung der MCS relevante Kontakt mit diesen Stoffen beschränkt sich vor allen Dingen auf bestimmte Berufsgruppen, für die der Umgang mit ihnen charakteristisch ist. Unbeachtet bleibt dabei jedoch in vielen Fällen vor allen Dingen der Kontakt mit metallischen Partikeln.
Laserdrucker sind heute ein selbstverständlicher Bestandteil des Arbeitslebens. Zudem finden sie immer weiter Zugang auch in private Haushalte. Hierzu hat insbesondere durch die Corona-Pandemie katalysierte Boom der Arbeit im Homeoffice beigetragen.
„So selbstverständlich wie heute Laserdrucker in jedem gewerblichen Büro, in jeder Behörde und zunehmend im improvisierten Homeoffice in Küche, Wohn- oder Schlafzimmer stehen, so wenig machen sich deren Nutzer Gedanken darüber, was mit dem eigentümlichen Geruch, den viele dieser Geräte verströmen, im Hinblick auf ihre Gesundheit verbunden sein könnte“, erklärt Heike Krüger, Vorstand von nano-Control, Internationale Stiftung. „Für Betroffene einer Multiplen Chemikaliensensibilität ist das mehr als eine abstrakte Gefahr, sondern eine konkrete Belastung, die ihnen die Teilnahme am Arbeitsleben und sogar am öffentlichen Leben unmöglich machen kann. Darüber hinaus kann heute nicht ausgeschlossen werden, dass längerfristiger Kontakt zu den von Laserdruckern ausgestoßenen Nanopartikeln sogar ein Auslöser der MCS ist.“
Im Betrieb eines Laserdruckers werden Ultrafeine (UFP) und Nanopartikel an die Umgebungsluft abgegeben und gelangen über die Atemluft in den menschlichen Körper. Aufgrund ihrer geringen Größe (die Wissenschaft definiert ihre Größe zwischen 1 und 100 nm) gelangen Nanopartikel über die Haut und die Atemwege in den Blutkreislauf und überschreiten auch die wichtige Blut-/Hirnschranke.
Über die Zusammensetzung von Tonerpulver aus Laserdruckern ist wenig bekannt. Hersteller hüten Informationen als Geschäftsgeheimnisse. Die von nano-Control in Analysen nachgewiesen enthaltenen metallischen Partikel, Kohlenstoffe und flüchtigen organischen Verbindungen wurden jedoch bereits in zahlreichen Studien als mutmaßlich toxisch und potenziell karzinogen bewertet. Ihre Bedeutung im Zusammenhang mit einer Multiplen Chemikaliensensibilität wird von offizieller Seite bisher, wie die Erkrankung selbst, weitgehend ignoriert.
„Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass verantwortliche Stellen wie das Umweltbundesamt hier ganz bewusst die Augen vor einem Problem mit wachsender Bedeutung verschließen“, mutmaßt Heike Krüger. „Laserdrucker erhalten sogar Unbedenklichkeitsnachweise wie den Blauen Engel, einfach weil der Ausstoß ultrafeiner Partikel hierbei nicht berücksichtigt wird und in unseren Augen deutlich zu hohe Grenzwerte für den Ausstoß von Nanopartikeln angesetzt werden.“
Aus dem Blickwinkel der Barrierefreiheit müssen auch Laserdrucker-Emissionen hinterfragt werden, wenn diese Grund zur Annahme geben, Symptome einer MCS auslösen zu können, die wiederum Betroffenen die Teilhabe am öffentlichen und am Arbeitsleben verwehren. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) formuliert dahingehend:
„Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“2
Im Umkehrschluss bezieht sich Barrierefreiheit nicht allein auf bauliche Barrieren, sondern allgemein auf umweltbedingte Hindernisse, zu denen auch eine vermeidbare Belastung der Umgebungsluft gerechnet werden muss.
nano-Control fordert Barrierefreiheit durch Regelungen für Laserdrucker
Für Menschen mit einer nachgewiesenen Multiplen Chemikaliensensibilität in Verbindung mit von Laserdruckern ausgestoßenen Partikeln ist der Aufenthalt in geschlossenen Räumen eine nach BGG nicht zumutbare Belastung. Die Bedingungen sind hierbei im Homeoffice zusätzlich erschwert und verursachen oft eine dauerhafte Belastung. Außerdem warnt nano-Control vor allen Dingen vor den Gefahren, die für Kinder von Laserdruckern im heimischen Umfeld aber auch in Schulen und anderen Einrichtungen ausgehen.
„Nach unserer Überzeugung haben Laserdrucker und Kopierer im Wohnbereich nichts zu suchen und sollten grundsätzlich kritisch betrachtet werden“, betont Heike Krüger. „Wo nicht vollständig auf sie verzichtet und stattdessen zum Beispiel Tintendrucker eingesetzt werden können, müssen sie in separaten Räumen betrieben und mit geeigneten Filtern ausgestattet werden. Nur so lässt sich gleichzeitig Umwelt- und Gesundheitsschutz umsetzen und dabei die Ziele einer sinnvollen Barrierefreiheit auch für MCS-Erkrankte erreichen.“
Mit einem umfassenden 10-Punkte-Plan für die Innenraumluft und die Umweltmedizin appelliert nano-Control an Verantwortliche in Politik und Gesundheitswesen. Zentrale Forderungen sind hierbei die Umsetzung von Schutzmaßnahmen wie aktiver Aufklärung über die Risiken der Laserdrucker-Emissionen sowie die Einführung von sinnvollen Grenzwerten, verpflichtende Warnhinweise aber auch die Anerkennung von bereits diagnostizierten Folgeschäden und die Entschädigung und Versorgung Betroffener, auch in Hinblick auf die Barrierefreiheit.
„Wir sind uns bewusst und erleben in unserer Arbeit tagtäglich, dass unsere Forderungen bei den Verantwortlichen aus Industrie, Wirtschaft sowie Politik und Verwaltung auf wenig Gegenliebe und leider oft auf taube Ohren stoßen“, erklärt Heike Krüger. „Wir sehen aber auch, dass der Umgang mit dem Problem Laserdrucker-Emissionen viel zu sorglos ist und durch die Realitäten des Arbeitsalltags immer mehr an besorgniserregender Bedeutung gewinnt. Hier muss aktiv gegengesteuert werden, um den berechtigten Bedürfnissen Betroffener gerecht zu werden und dem Entstehen sowie der Ausbreitung neuer Erkrankungen wie der MCS und deren gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Folgen frühzeitig entgegenzuwirken.“
Quellen:
1 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), §4
2 § 2 SGB IX Begriffsbestimmungen