Der Nationalpark Kellerwald-Edersee bietet Naturliebhabern und Wanderern auf verschiedenen Wegen die Möglichkeit, das Reich der urigen Buchen zu entdecken. Einige der Wanderwege verlaufen auf alten Forststraßen, die noch aus den vergangenen Zeiten des Waldschutzgebietes und davor stammen. Diese geschotterten Wege sind teilweise sogar als spezielle Radwege ausgewiesen, und können auch von Familien mit Kinderwägen genutzt werden. Darüber hinaus gibt es im Schutzgebiet kleinere Pfade und Steige, die die Besucher an manchen Stellen über Stock und Stein führen. Auf diesen Wanderrouten begegnen die Wanderer der werdenden Wildnis des Kellerwaldes hautnah. Kopf eingezogen und unter einem tiefhängenden Ast hindurch, um einen gefallenen Baumriesen herum, Beine gestreckt und mit weitem Schritt über einen kleinen Bach, all diesen Situationen können abenteuerfreudige Naturliebhaber auf einem Steig begegnen. Besonders reizvoll ist die vollkommene Ruhe und Abgeschiedenheit auf diesen Routen. Man trifft lediglich gleichgesinnte Wanderer, die ebenfalls die werdende Wildnis im Nationalpark unmittelbar entdecken und erleben wollen.
Das Besondere an dem Brückengrundsteig ist, dass er nicht im Rahmen des Wegekonzepts im Nationalparkplan konzipiert wurde, sondern vielmehr spontan in dieses integriert wurde. Ursache war eine wütende Dame namens Xynthia. Sturmtief Xynthia hinterließ im Januar im Nationalpark Kellerwald-Edersee zahlreiche gebrochene und gefallene Baumriesen. Kurzfristig wurde das Schutzgebiet gesperrt, um die Sicherheit der Wanderer weiterhin gewährleisen zu können. Nachdem die Gefährdungen für die Besucher beseitigt waren, wurden die Hauptwanderwege, Pfade und Steige bereits nach kurzer Zeit wieder freigegeben.
Am Brückengrundweg beließ die Nationalparkverwaltung bewusst die gefallenen Baumriesen über dem Wanderweg, der nun durch diese hölzerne Barriere für Besucher versperrt bleibt. Stattdessen umrunden und durchqueren die Wanderer die beeindruckende Windwurffläche auf einem schmalen Steig, über Stock und Stein, und finden sich inmitten der "Wildnis von morgen" wieder. Sie folgen den Spuren, die Xynthia hinterlassen hat, zahlreiche geworfene Fichten, die den orkanartigen Sturmböen mit Geschwindigkeiten von bis zu 115 km/h nicht standhalten konnten. Derzeit mag es auf diesen Flächen ausschauen wie "Kraut und Rüben". Doch die Natur besitzt eine faszinierende Dynamik. Auf diesen sog. Windwurfflächen bilden sich, durch neugeschaffene Struktur wie stehendem oder liegendem Totholz und die veränderten Lichtverhältnisse, beeindruckend schnell ganz neue Lebensräume. Diese werden sich auch künftig permanent verändern und weiter entwickeln, wodurch mit der Zeit ein wilder Wald voller Schönheit entsteht, und allen Nationalparkgästen ein besonderes Wildnis-Erlebnis bietet.
Katrin Schneider, Leiterin des nahe gelegenen NationalparkZentrums, ist begeistert: "Auf diesem faszinierenden Steig können unsere Besucher nun noch viel intensiver das erleben, auf was wir virtuell im NationalparkZentrum vorbereiten und Lust machen."
Dem stimmt Jutta Seuring, stellvertretende Nationalparkleiterin, zu: "Solche Flächen zu zeigen, ist ein wichtiger Bestandteil der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit des Nationalparks."
Hintergrund:
In den vergangenen Jahren lud der Förderverein für den Nationalpark Kellerwald e.V. seine Mitglieder vor der Jahreshauptversammlung stets zu einer gemeinschaftlichen Wanderung in das Reich der urigen Buchen ein.
In diesem Jahr entfiel jedoch die beliebte Expedition in das Großschutzgebiet. Stattdessen trafen sich zahlreiche Vereinsmitglieder zum Nationalpark-Aktionstag. Im Vordergrund dieses gemeinsamen Engagements stand der Wunsch, die Nationalparkverwaltung tatkräftig bei anstehenden Arbeiten im Gebiet selbst zu unterstützen.
So kam es, das im April diesen Jahres ein Trupp von hochmotivierten Fördervereinsmitgliedern in den Nationalpark zog, um in Zusammenarbeit mit Nationalparkmitarbeitern den Steig im Brückengrund "anzulegen" bzw. auszuformen.
Mareike Schulze, Nationalparkförsterin, hatte zuvor den Verlauf des neu zu gestaltenden Steiges, mit Hilfe von Trassierband markiert. Diese Bänder dienten den Vereinsmitgliedern als Richtschnur der einzelnen Wegabschnitte, die sie bearbeiteten. Ihre vorwiegende Aufgabe bestand darin, die Vegetation auf dem entstehenden Steig zu entfernen und ihn somit für spätere Wanderer zum einen begehbar und zum anderen vor allem seinen Verlauf deutlich erkennbar zu machen. Denn obwohl die Besucher die Wildnis auf Steigen hautnah erleben können, gilt auch auf den "Steigen über Stock und Stein" der Grundsatz des allgemeinen Wegegebots im Nationalpark, um Flora und Fauna nicht zu beeinträchtigen. Daher ist die Besucherlenkung ein wichtiger Bestandteil des Wegekonzepts. Künftig wird der Brückengrundsteig durch Wildnisliebhaber und ihre "Trittspuren" erkennbar bleiben und gepflegt werden. Denn aufgrund der Frequentierung können sich Sträucher oder Bäume nicht auf dem Steig ansamen und ihn überwachsen.