Der Veterinärmediziner und Vorstandsmitglied der NI, Konstantin Müller nahm sich des verletzten Tieres an und identifizierte es als Großen Abendsegler. Er nimmt angebotenes Wasser und Nahrung in geringem Umfang an. Für das Durchkommen müssen aber noch einige Daumen gedrückt werden, da innere Verletzungen anzunehmen sind. „Fledermäuse sterben an Windkraftanlagen mehr durch ein Barotrauma als durch den direkten Schlag“, weiß Konstantin Müller. „Hier schädigt ein starker Luftdruckunterschied eines nah vorbeisausenden Flügels mit Luft gefüllte innere Organe - v.a. Lunge oder das Innenohr - so dass das Tier abstürzt.“ Der vermutlich so geschädigte zuletzt gefundene Abendsegler hielt sich wohl in einem Grenzbereich auf, was ihn nicht sofort tötete.
„Beim streng geschützten Rotmilan ist es schon das vierte der NI bekannte Rotmilan-Schlagopfer nach 2017, 2018 und 2019, das wir zufällig bei Begehungen auf dem Höhenzug der Kalteiche an den bestehenden drei Windenergieanlagen gefunden haben“, erklärte Peter Draeger.
„Wenn man bedenkt, dass Naturschützer Draeger nur relativ selten diese Anlagen aufsucht, tote Kadaver meist von anderen Tieren entfernt werden und dass gerade bei Fledermäusen die Chance extrem gering ist, ein in der Höhe von über 100 m kollidiertes Tier zu entdecken, kann man nur erahnen, wie viele Vögel und Fledermäuse an diesen Anlagen erschlagen werden“, betonte Dipl.-Biologe Immo Vollmer, Naturschutzreferent der NI.
Biologe Vollmer verwies darauf, dass Zwergfledermäuse und Abendsegler relativ häufig an WEA erschlagen werden. Eine bundesweite Schlagopferdatei der Vogelschutzwarte Brandenburg zählte 726 tote Zwergfledermäuse von insgesamt 3808 Fledermaus-Schlagopfern (Stand Januar 2020). Die deutlich selteneren, aber sich meist in Höhe der Rotoren fliegenden Arten Großer Abendsegler und Rauhautfledermaus weisen mit 1230 und 1088 Schlagopfern noch wesentlich höhere Verluste auf. Die Bearbeiter der Datenbank weisen auf der Internetseite der Vogelschutzwarte Brandenburg darauf hin, dass diese Datensammlung nur Relationen, aber keine absoluten Zahlen wiedergeben kann. Da die meisten erschlagenen Fledermäuse oder Vögel weder gesehen noch gemeldet werden, ist die Dunkelziffer besonders hoch.
Nach einer Hochrechnung des Leibniz Institut für Zoo- und Wildtierforschung ist für die ca. 30.000 deutschen WEA mit gut 250.000 toten Fledermäusen pro Jahr (!) zu rechnen. Beim Rotmilan, dessen Weltpopulation auf maximal 60.000 Tiere geschätzt wird und von denen die Hälfte in Deutschland vorkommt, können es nach der Progress-Studie 2016 sogar über 3000 Totschlagopfer pro Jahr in Deutschland sein (ca. 0,16 Rotmilane/WEA/Jahr).
Biologe Vollmer weist auch darauf hin, dass je nach Lage der WEA die Verluste sehr unterschiedlich sein können. „Gerade deshalb soll nach Naturschutzrecht im Vorfeld der Genehmigung eines Windparks sehr intensiv geprüft werden, ob Beeinträchtigungen zu erwarten sind, die der Errichtung von WEA entgegenstehen. Im Fall der Kalteiche wurde scheinbar zu wohlwollend im Sinne der Antragsteller geprüft und genehmigt oder der Artenschutz von Seiten des Antragstellers verharmlosend dargestellt. Vieles ist erst durch die Präsenz der NI-Mitglieder im Gebiet bekannt geworden.“
„So haben wir die Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein, die Gemeinde Wilnsdorf und die Verwaltungen in dem angrenzenden hessischen Kreis Herborn mehrfach auf die Bedeutung dieses Höhenzuges als Konzentrationsgebiet für windkraftempfindliche Arten hingewiesen“, betonte Naturschutzreferent Vollmer. „Neben den hier mehrfach zu Tode gekommenen Rotmilanen siedeln in nächster Nähe zu den bestehenden Anlagen ebenfalls Schwarzstorch, Wespenbussard und Mäusebussard. Auch Anlagen auf der benachbarten Tiefenrother Höhe scheinen auf einem wichtigen Korridorbereich zu stehen, über den häufig Vögel wechseln. 2019 ist uns auch hier ein Rotmilan-Schlagopfer bekannt geworden.“
Trotz der vielen Meldungen zu Verlusten oder den Siedlungsbereichen durch Windkraft gefährdeter Arten werden dennoch weitere Planungen zur Ausweisung von Windkraft-Vorranggebieten oder zu weiteren Anlagenplanungen durch Investoren auf NRW und hessischer Seite nicht eingestellt. „Dies ist nicht nur unverständlich, sondern auch verantwortungslos“, so der Umweltverband.
„Hier wird offensichtlich von Seiten der Windkraftinvestoren versucht, den Natur- und Artenschutz zu umgehen und auszuhebeln. Auch die hier tätigen „Gutachter“ haben unseres Erachtens auf ganzer Linie versagt und sind mitverantwortlich für dieses Desaster. Wir fordern die für das Windindustriegebiet Kalteiche zuständige Kreisverwaltung Siegen-Wittgenstein aufgrund der nicht abreißenden unzulässigen Tötungsraten an streng geschützten Tieren auf, weitreichende Abschaltverfügungen zu erlassen. Da die Kalteiche zu einer Todesfalle für streng geschützte Wildtiere geworden ist, müssen die Anlagen zurückgebaut werden. „Ein weiter so“ des Kreises Siegen-Wittgenstein, werden wir nicht mehr klaglos hinnehmen“, erklärte Harry Neumann, Landesvorsitzender der NI.