Mit 300.000 Einwohnern (Kataris) und 2,4 Millionen Arbeitsmigranten (Expats genannt) ist das kleine Emirat flächenmäßig nur halb so groß, wie das deutsche Bundesland Hessen. Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani holte die Fußball WM 2022 in sein Land, einer der Hauptgründe dafür lautete: „to put Qatar on the world map“. Den Staat an der Ostküste der arabischen Halbinsel ins globale Gedächtnis zu bringen, scheint ihm gelungen zu sein. Katar will beachtet werden - mit Erfolg, wie man sieht: heute spricht jeder über das einst verschlafene Scheichtum. Hamad war von 1995 bis 2013 Staatsoberhaupt, in seine Amtszeit fällt auch die Gründung des Nachrichtensenders Al Jazeera, der seit 1996 auf Sendung ist und seitdem wie ein Komet in der Medienlandschaft im Nahen Osten gefeiert wird. Vor allem während des Arabischen Frühlings kämpfte Al Jazeera für bessere politische und soziale Strukturen in den arabischen Ländern. Auch der neue Scheich Tamim bin Hamad al-Thani, Hamads Sohn, setzt sich seit 2013 auf mehreren Ebenen für Modernität ein – die diesjährige WM bietet dafür einen guten Anlass.
Doch das konservative Emirat steckt noch im aus Saudi-Arabien stammenden Wahhabismus fest. Diese strenge Religionsauslegung verbietet Homosexualität, Alkoholkonsum und schreibt für Frauen eine Verschleierung vor. Aber auch die schlechten Arbeitsbedingungen rund um die Stadienbauten für die Weltmeisterschaft bringen dem Wüstenstaat viele Negativschlagzeilen ein. Und: die klimabedingte Verschiebung der gewohnten Austragungsmonate vom Sommer in die Winterzeit tut noch ihr Übriges dazu … Bei all der Medienkritik ist die Orientexpertin Annette Sauer der Meinung: „Es war einfach an der Zeit, ein großes Sportevent, wie die Fußball WM oder die Olympischen Spiele, in einem arabischen Land auszutragen. In meinen Augen wäre es jedoch besser gewesen, die WM-Begegnungen auf verschiedene Länder der arabischen Halbinsel aufzuteilen.“
Eigene Eindrücke und Chance auf Modernisierung
Hochmoderne Architektur und futuristische Wolkenkratzer – mit diesen Bildern möchte das Land wahrgenommen werden. Bis 1850 lebte die Bevölkerung vom Handel, der Fischerei und dem Perlentauchen, heute bringt der Gasexport viel Geld nach Katar. Die Hauptstadt Doha beeindruckt mit spektakulären Sehenswürdigkeiten, wie dem Tornado Tower oder dem Burj Qatar, aber auch mit dem traditionellen Souq Waqif. Auf diesem Bazar riecht es überall nach arabischen Gewürzen und Kaffee. In den Cafés liegt der Duft der Shishas in der Luft. Eines der ganz großen Highlights Katars ist jedoch das Museum of Islamic Art, erbaut vom Star-Architekten Ieoh Ming Pei, der auch die Pyramide des Pariser Louvre entwarf. Mit Investitionen in Kunst, Architektur und auch in Sportveranstaltungen möchte sich das Emirat weltoffen präsentieren, doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
„In den Jahren 2012 und 2013 lebte ich selbst in Katar und konnte das Land nur mit einem vom Arbeitgeber unterschriebenen Ausreiseantrag verlassen“, berichtet die Orient-Expertin Annette Sauer. Das sogenannte Kafala-Beschäftigungssystem sah auch vor, dass für einen Jobwechsel innerhalb des Emirats immer eine schriftliche Zustimmung vom jeweiligen Chef erforderlich war. „Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses musste ich Katar innerhalb von 14 Tagen verlassen“, so Annette Sauer, „persönliche Wünsche oder private Verbindungen zählten dabei nicht“ – die Staatsmacht bestimmte die Regeln. Im Jahre 2020 startete Katar ein Reformprogramm, um die Arbeitsbedingungen für Migranten zu verbessern. Die aktuellen Proteste auf den WM-Baustellen sprechen jedoch nicht gerade für große Fortschritte.
Katar bleibt dennoch auf Modernisierungskurs und nahm von 2017 bis 2021 sogar eine Blockade der Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabiens, Bahrain und Ägypten hin. Diese vier Länder warfen dem kleinen Emirat vor, terroristische Organisationen zu fördern und im engen Kontakt mit dem Iran zu stehen.
Fazit: Es bleibt abzuwarten, ob Katar seine Chance nutzen kann und sich als ein modernes Land im Mittleren Osten präsentiert. Im Verlauf der WM-Fußballspiele schaut die ganze Welt auf das kleine Emirat. Sicher war es an der Zeit, das Turnier in ein arabisches Land zu holen, aber: mit welchen Mitteln und ist Katar dafür wirklich schon geeignet?